Monitoring Bad Aibling
Das Forschungsprojekt Einfach Bauen möchte zeigen, dass robuste Bauteile mit High Tech-Varianten mithalten können. Nach einer zweijährigen Langzeitmessung ist nun der Abschlussbericht erschienen.
Text: Stumm, Alexander, Berlin
Monitoring Bad Aibling
Das Forschungsprojekt Einfach Bauen möchte zeigen, dass robuste Bauteile mit High Tech-Varianten mithalten können. Nach einer zweijährigen Langzeitmessung ist nun der Abschlussbericht erschienen.
Text: Stumm, Alexander, Berlin
Quantifizierte Daten gelten als unumstößlich und neutral. Wir verlassen uns im Gebäudesektor beispielsweise auf sie, wenn wir den U-Wert und die Effizienz der Betriebsenergie berechnen, die wichtige Indikatoren für die Erreichung der Klimaziele sind.
Die Messung und damit die Generierung der Daten ist aber alles andere als profan. Man spricht vom Performance Gap: Die vom Hersteller unter ganz spezifischen Laborbedingungen entstandenen Kennzahlen unterscheiden sich mitunter drastisch von den tatsächlich erzielten Werten. DerPerformance Gap trifft insbesondere bei hochtechnologischen Bauteilen auf, die für ein „ideales“ Nutzerverhalten ausgelegt und zudem störanfälliger und reparaturintensiver sind. Diese Problematik war eine der Ausschlaggeber für „Einfach Bauen“ – ein an der TU München angesiedeltes Forschungsprojekt der Lehrstühle von Thomas Auer und Florian Nagler. Die These: Einfache, robuste Baumaterialien, die sortenrein trennbar sind, erreichen im reellen Betrieb bei unterschiedlichen Tages- und Jahreszeiten ähnlich gute Wer- te wie Hi-Tech Komponenten.
Was ist Einfach Bauen?
Einfach Bauen basiert zusammengefasst auf einschichtigen Wand- und Deckenkonstruktionen, verzichtet auf Hilfsstoffe und materialfremde Sonderbauteile, trennt konsequent Gebäude und Techniksysteme, nutzt durch Bauteile mit großer thermischer Speichermasse die klimatische Trägheit aus und setzt den Fokus auf angemessene Fensterflächen, um einen zusätzlichen Sonnenschutz obsolet zu machen. Wichtiger Impuls sind die Erkenntnisse aus dem Prinzip 2226 von Baumschlager Eberle, das mit wenig Technik die Wohlfühltemperatur im Inneren von 22 bis 26° C anstrebt. (für 2226 siehe Bauwelt 27–28.12 und 22.21). Um das Prinzip Einfach Bauen zu überprüfen, errichtete das Büro Florian Nagler Architekten für die B&O Gruppe drei formal baugleiche Mehrfamilienhäuser in Bad Aibling. Die dreistöckigen Gebäude unterscheiden sich lediglich in den jeweils monolithischen Baumaterialien: Holz, Beton und Ziegel (Bauwelt 4.21). Das von ZukunftBau geförderte Forschungsprojekt besteht aus drei Teilen: im Vorfeld berechnete Simulationen für optimale Raumgrößen (Einfach Bauen 1) und der Bau der drei Forschungshäuser mit der Entwicklung des Leitfadens (Einfach Bauen 2).
Mitte April 2023 erschien der Bericht „Einfach Bauen 3 – Messen, Validieren, Rückkoppeln“. In diesem Forschungsteil führte das Team um Auer und Nagler Langzeitmessungen hinsichtlich zwei zentraler Parameter durch. Zum einen testete man die eingesetzten neuartigen Materialien und Konstruktionslösungen der Außenwände auf ihre Dauerhaftigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Dämmwirkung, zum anderen sollte das Gebäudekonzept in Bezug auf Energieverbrauch und thermischen Komfort geprüft werden.
Der Einbau der Messtechnik erfolgte über den Jahreswechsel 2020/21. Im Februar wurde die Dateninfrastruktur mit einem Netz aus über 300 Sensoren aufgebaut. Von März bis August 2021 schloss die Hausverwaltung die Mietverträge ab. Das Haus war also während der Messungen belegt. Zudem führte man Interviews mit den Bewohnenden durch, um die gewonnenen Messdaten mit dem Nutzerverhalten abzugleichen.
Material-Check
Welche Außenwandkonstruktionen wurden verwendet und wie schneiden sie bei den Langzeitmessungen ab? Beim Holzbau kam Vollholz zum Einsatz, das in drei Schichten aufgebaut ist und im Inneren Luftkammern enthält (Wandstärke 30 cm, Rohdichte 410 kg/m3, Druckfestigkeit 17 N/mm2). Es besteht nur aus gesägten Hölzern und verzichtet, anders als andere Massivholzwände, vollständig auf meist durch Folien gewährleistete Dampfsperren sowie zusätzliche (Außen-)Dämmung. Die einzelnen Schichten sind nur an notwendigen Bereichen verleimt, um auf Kleber so weit wie möglich zu verzichten. Beim Feuchteverlauf spielte hier auch die Gefahr der Schimmelpilzbildung eine Rolle. Das Monitoring zeigte, dass es dazu nicht kam. Neue Erkenntnisse gewann man auch beim Wärmedurchgangskoeffizient (U-Wert), wobei das Forschungsteam alle Angaben unter Vorbehalt ausgibt, da bei den langen Messungen nicht zu jeder Zeit alle Standardumgebungsparameter eingehalten werden konnte.
Das Vollholz erreichte hier die besten, also niedrigsten Werte, und hielt die angegebenen Laborwerte genau ein: U-Wert 0,22 W/m2K. Das trifft auf das Haus mit Hochlochziegel (Wandstärke 42,5 cm, Rohdichte 850 kg/m3, Druckfestigkeit 3,4 N/mm2) nicht zu, das beim U-Wert mit 0,4 W/m2K deutlich schlechter abschneidet als die offiziell angegebenen 0,25 W/m2K. Was hier die genaue Ursache ist, bedarf noch weiterer Untersuchungen. Der Hochlochziegel kann zudem nur bedingt als „neuartig“ bezeichnet werden. „Der Ziegel kommt nurmehr selten zum Einsatz, üblicher sind Ziegel mit EPS-Füllung, die zwar als sortenrein rezyklierbar gelten, allein wegen dem hohen Mehraufwand – der Ziegel muss im Wasserbad von der Füllung gelöst werden – ist hier aber eher der Wunsch der Vater der Gedanken“, erläutert Tilmann Jarmer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Entwerfen und Konstruieren der TU München und mitverantwortlich für das Monitoring.
Dritter im Bunde: das Betonhaus (Wandstärke 50 cm, Rohdichte 750 kg/m3, Druckfestigkeit 12 N/mm2). „Beim Einsatz von dämmendem Infra-leichtbeton konnten wir uns auf die Untersuchungen und experimentellen Bauten von Mike Schlaich und Regine Leibinger berufen, aber auch bei diesem Material handelt es sich mit den Forschungshäusern um den ersten langfristig gemessenen Praxistest“, sagt Jarmer. Die Konstruktion der Außenwand kommt ohne Bewehrung aus, ist dafür aber einen halben Meter dick. Statt auf den angegebenen U-Wert von 0,36 W/m2K kamen die über den Zeitraum des Monitoring stärker schwankenden Messdaten im Mittel auf einen besseren Wert von 0,32 W/m2K.
Um das Auftreten von Schwindrissen im Beton (wegen geringer Zugfestigkeit) bei Extremwettern zu überwachen, errichtete das Team zusätzlich auf einem angrenzenden Grundstück eine Testwand (siehe Bild S. 52). Kontrolliert wurde auch, wie stark bei Regen der Feuchtetransport der Wand zunimmt. Fazit: Bei allen drei Gebäudevarianten wurde das gewünschte abnehmende Feuchteverhalten und somit eine Austrocknung der Wände festgestellt.
Thermo-Check
Wie schneiden die Forschungshäuser hinsichtlich des thermischen Komforts ab? Für die Messungen entschied man sich jeweils für das zweite Obergeschoss, um das „Worst-Case Scenario“ bezüglich der Überhitzungsstunden im Sommer untersuchen zu können. Die Verschattung der Gebäude untereinander ist hier am geringsten. In der Etage befinden sich zwei 2,5-Zimmer Wohnungen sowie eine 1-Zimmer-Wohnung. Im Grundriss unterscheidet sich die Süd- von der Nord-Wohnung lediglich durch einen Flur sowie eine zusätzliche Loggia, die an das Wohnzimmer anschließt. Die Nord- und Süd-Wohnungen waren bewohnt, die 1-Zimmer-Ost-Wohnung hingegen blieben für die Zeit des Monitorings zur Kontrolle unbewohnt.
Wie schneiden die Forschungshäuser hinsichtlich des thermischen Komforts ab? Für die Messungen entschied man sich jeweils für das zweite Obergeschoss, um das „Worst-Case Scenario“ bezüglich der Überhitzungsstunden im Sommer untersuchen zu können. Die Verschattung der Gebäude untereinander ist hier am geringsten. In der Etage befinden sich zwei 2,5-Zimmer Wohnungen sowie eine 1-Zimmer-Wohnung. Im Grundriss unterscheidet sich die Süd- von der Nord-Wohnung lediglich durch einen Flur sowie eine zusätzliche Loggia, die an das Wohnzimmer anschließt. Die Nord- und Süd-Wohnungen waren bewohnt, die 1-Zimmer-Ost-Wohnung hingegen blieben für die Zeit des Monitorings zur Kontrolle unbewohnt.
Der Einfachheit halber beziehen sich alle im Artikel dargestellten Graphen auf die Schlafzimmer der Südwohnung der drei Häuser, in denen wir fiktiv Frau Mauer, Herr Holz und Frau Leichtbeton leben lassen. An den Graphen auf S. 57 lassen sich verschiedene Informationen ablesen: In der Winterwoche (24.–30.1.) steuerte Herr Holz die Raumtemperatur durch Auf- und Abdrehen der Heizung, während das Fenster fast immer geschlossen blieb. Frau Leichtbeton hielt die Heizkörpertemperatur konstant zwischen 30 und 40° C und regulierte durch gezieltes Stoßlüften den teils sehr hohen CO2-Gehalt.
Die Graphen auf S. 58 zeigen, dass die Punktewolke bei Herr Holz im Sommer mit über 28° C die höchsten Innenraumtemperaturwerte erreicht, die damit oberhalb des Komfortbandes liegen. Ergo: Das Holzhaus benötigt als ein-
ziges einen außenliegenden Sonnenschutz an den Fenstern der Westfassade, wenn man Überhitzung im Sommer ausschließen möchte. Allerdings zeigen sich Übertemperaturstun-den auch an moderaten bis kühlen Tagen von unter 20° C auf. Nach Norm war es zu warm, was Herr Holz durch Öffnen der Fenster hätte beheben können. Er mag es offensichtlich wärmer als der Standardmensch.
ziges einen außenliegenden Sonnenschutz an den Fenstern der Westfassade, wenn man Überhitzung im Sommer ausschließen möchte. Allerdings zeigen sich Übertemperaturstun-den auch an moderaten bis kühlen Tagen von unter 20° C auf. Nach Norm war es zu warm, was Herr Holz durch Öffnen der Fenster hätte beheben können. Er mag es offensichtlich wärmer als der Standardmensch.
Weitere Erkenntnisse der Betrachtung der operativen Temperatur waren, dass das Holzhaus viel stärker auf passive Solarenergie sowie Geräte und Personen reagiert. Insgesamt bestätigte sich die Annahme, dass die thermische Trägheit der Bauteile die Überhitzung im Sommer reduziert, während die Feuchte der Raumluft durch die raumumschließenden Bauteile passiv reguliert wird. Beim Leichtbetonhaus fällt der positive Effekt der thermischen Masse auf den Raumkomfort am größten aus, zudem zeigte sich, dassdie Baumverschattung an der Ostfassade einen großen Einfluss auf das Raumklima und die Beleuchtungsstärke im Sommer und in den Übergangsjahreszeiten hat.
Energie-Check
Wie steht es um den Heizenergieverbrauch? Sie ähneln sich in Nord- und Südwohnungen innerhalb desselben Gebäudes und unterscheiden sichim Gebäudevergleich. Alle gemessenen Energieverbräuche lagen unterhalb der nach EnEV vorher berechneten Verbrauchswerte. Am besten schnitten die Massivholzwohnungen mit einem Verbrauch von gerundet 50 kWh/m²a ab. Die Nutzerumfrage ergab jedoch, dass es sich in beiden Wohnungen um sparsame Bewohner handelt, die konstant nach Norm unkomfortabel niedrige operative Temperaturen unter 20° C einstellten. Das Ergebnis beinhaltet also eine Portion Zufall.
Überraschend war der Heizenergiebedarf von Frau Mauer, der im Vergleich zu den anderen Wohnungen im Mauerwerkhaus sehr hoch ausfiel. Sie ließ die Heizung im Schlafzimmer durchgängig auf höchster Stufe laufen. Wenn es zu warm wurde, öffnete sie das Fenster, anstatt die Heizung herunterzudrehen. Grund war das Bett, das vor den Thermostatregler positioniert war; zudem wurden Miete und Nebenkosten von ihrem Arbeitgeber bezahlt, weshalb womöglich kein Anreiz für Energiesparmaßnahmen vorlag.
Erste Erkenntnis: „Das Komfortmodell stellt keine absolute Wahrheit dar“, wie Thomas Auer betont. Zweite Erkenntnis: Das Nutzerverhalten hat einen spürbaren Einfluss auf den Energiebedarf. Das Ergebnis der Bewohnerbefragung war ein „eher positiv“, auch wenn die Untersuchung einiger weniger Wohnungen keine signifikante Statistik zulässt. Als allgemein positiv wird die hohe Raumhöhe wahrgenommen. Negativ fiel sowohl der fehlende Sonnenschutz als auch der fehlende Keller auf. Letzteres ist dem Versuchsanspruch von einfach Bauen mit Minimalmitteln geschuldet und sollte durch breitere Flure, eine Speisekammer und gemeinschaftliche Abstellkammern aufgefangen werden.
Einfach Bauen kehrt zurück
Wie geht es weiter mit Einfach Bauen? Für ein Projekt der Wohnungsgenossenschaft Wogeno in Bad Aibling verwendete Florian Nagler Architekten die gleiche Wandkonstruktion in Vollholz wie beim Forschungshaus. Die Gesamtdicke der Wand ist von 39 auf 26 cm reduziert, wodurch insgesamt circa 55 m2 zusätzliche Wohnfläche gewonnen werden konnten. Die Decken sind nicht mehr in Stahlbeton, sondern ebenfalls in Holz realisiert. Die thermische Speichermasse wird durch ein Treppenhaus aus Stahlbeton geschaffen. Der reduzierte Einsatz von Beton wirkt sich positiv auf die Ökobilanz aus.
Zudem stehen weitere Forschungsprojekte kurz vor dem Bau: Die „Forschungshäuser Garching“ werden ein viergeschossiges Wohnheim für 200 Studierende, bei dem die Energieverbräuche per App einsehbar sein sollen. Und die in Bad Aibling geplanten „Forschungshäuser 2“ setzen statt Beton auf verschiedene Holzkonstruktionen und tragende Innenwände aus Lehmstein, Stampflehm und Recyclingziegeln.
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