Nach Helden kommen Kollektive
Am 8. März ist Internationaler Frauentag. Was führt in der Architekturbranche nachhaltig zu strukturellen Veränderungen?
Text: Kleilein, Doris, Berlin
Nach Helden kommen Kollektive
Am 8. März ist Internationaler Frauentag. Was führt in der Architekturbranche nachhaltig zu strukturellen Veränderungen?
Text: Kleilein, Doris, Berlin
Komplett mit Männern besetzte Podien und das generische Maskulinum gehören auch im Architekturbetrieb der Vergangenheit an. Der Nachwuchs geht ohnehin anders an die Sache heran. Doch was führt wirklich zu strukturellen Veränderungen?
Der Frauentag ist an vielen Orten ein kämpferischer Tag, an dem seit 1911 weltweit für grundlegende Rechte demonstriert wird: erst für das Frauenwahlrecht, dann für Mutterschutz, für gleiche Bezahlung, für das Recht auf Abtreibung. Heute ist der 8. März in 26 Ländern ein Feiertag. In China beispielsweise haben an diesem Tag alle Frauen den Nachmittag frei; nett, aber ungefähr so zeitgemäß wie der Blumenstrauß zum Muttertag.
Wofür kämpfen Architektinnen? Müssen sie hierzulande überhaupt noch kämpfen oder sind sie nicht längst gleichberechtigt, im Büro, auf der Baustelle, in Universitäten? Wir alle wissen – und in den Statistiken der Bundesarchitektenkammer ist es nachzulesen –, dass dies nicht der Fall ist: Frauen verdienen weniger, leiten weniger Projekte, gründen weniger Büros. Im Studium sind Frauen noch in der Überzahl, später schrumpft ihr Anteil auf 37 Prozent, bei den Freischaffenden sogar auf ernüchternde 23,7 Prozent.
Dabei hat sich gerade in den letzten Jahren viel bewegt, vor allem seit 2018, als die #MeToo-Debatte in der Architektur ankam: An Architekturlehrstühlen gründen sich Arbeitskreise zu Gender Diversity, es gibt Parity Talks und Mentoringprogramme für junge Architektinnen. Berufsverbände benennen sich um, gendern ihre Verbandszeitschriften und Pressemitteilungen. Wer nicht als völlig rückständig dastehen will, besetzt Podien divers. Preise und Festivals, die sich dem Wirken von Frauen in Architektur und Stadtplanung widmen, galten jüngst noch als US-amerikanische Peinlichkeiten, heute ziehen sie ein breites Publikum an, wie 2021 das Festival Women in Architecture Berlin oder die Plattform Diversity in Architecture. Ausstellungen und Publikationen würdigen in der Geschichtsschreibung bislang verdrängte Architektinnen. Und selbst Immobilienfirmen schmücken sich mit „weisen Worten bekannter Architektinnen“.
Oberflächlich betrachtet: Es geht aufwärts. Man könnte meinen, es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis die Netzwerke greifen und die Sprache von den tatsächlichen Verhältnissen eingeholt wird, bis Frauen ganz selbstverständlich Büros gründen oder auf Lehrstühle berufen werden. Oder kommt nur alle paar Jahrzehnte eine feministische Welle, die zu besonderen Anlässen wie dem Frauentag besonders hoch schwappt, um dann wieder in herrschenden Machtstrukturen zu versanden?
Vorbeiziehen
Bereits 1989 hat Denise Scott Brown die Fallstricke der Gleichberechtigung auf den Punkt gebracht: „Einige junge Frauen in der Architektur stellen die Notwendigkeit der feministischen Bewegung in Frage und behaupten, sie hätten keine Diskriminierung erfahren“ schrieb sie. „Meine Sorge ist, dass die Universität zwar nicht frei von Diskriminierung ist, aber wahrscheinlich das am wenigsten diskriminierende Umfeld ist, dem sie in ihrer beruflichen Laufbahn begegnen werden. Ebenso gibt es in den ersten Jahren in der Praxis kaum einen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Erst mit zunehmendem Alter treten Schwierigkeiten auf, wenn Unternehmen und Kunden davor zurückschrecken, Frauen hochrangige Verantwortung anzuvertrauen. Wenn sie sehen, dass ihre männlichen Kollegen an ihnen vorbeiziehen, haben Frauen, denen ein feministisches Bewusstsein fehlt, wahrscheinlich das Gefühl, dass sie selbst schuld sind, wenn sie es nicht schaffen.“1
Das feministische Bewusstsein, das Scott Brown einfordert, müsste Architektinnen eigentlich am 8. März auf die Straße treiben, zusammen mit anderen, die unter den Zumutungen der Branche leiden, von langen Arbeitszeiten bis hin zu unfairen Wettbewerbsbedingungen für junge Büros. Doch im Architekturbetrieb hält sich das Selbstverständnis, dass nur die Entwurfsqualität zählt und diese sich durch unermüdlichen Arbeitseinsatz durchsetzen wird. Vereinzelt werden Frauenquoten gefordert – etwa bei der Auftragsvergabe der öffentlichen Hand –, doch auf strukturelle Veränderung zielende Positionen verklingen wie Rufe in der Wüste.
Klima und Care
Was mir Hoffnung macht, ist die Architekturgeneration der Millenials. Leise, aber deutlich fordert sie mehr Work-Life-Balance (damit Karrieren nicht mehr mit dem ersten Kind enden oder Architektinnen wegen der Arbeitsbedingungen auf Kinder verzichten). Darüber hinaus geht sie zunehmend weniger dem Mythos des Architekten als genialischem Einzelkämpfer auf den Leim, sondern begreift Architektur vielmehr als Teamarbeit, als joint creativity. Kollektive werden zu Vorbildern, die alten Meistererzählungen verblassen.
Diese post-heroische Haltung ist zwar nicht neu, doch in Krisenzeiten wahrscheinlich die überlegene: Der drohende Klimakollaps wird in den kommenden Jahren das Bauen grundlegend verändern, weg vom Neubau hin zum Umbau, weg von energiefressenden Materialien und Produktionsweisen hin zur Kreislaufwirtschaft. Architekturbüros werden mehr denn je komplexe Lösungen finden und mit immer weniger Ressourcen auskommen müssen. Critical Care – ein Begriff, den Angelika Fitz und Elke Krasny in den Architekturdiskurs gebracht haben – ist das Schlagwort der Zukunft. Oder noch einmal mit den Worten von Denise Scott Brown: „Stadtplaner und Ökologen empfehlen dem Berufsstand im Namen der sozialen Gerechtigkeit und zur Rettung des Planeten eine bewahrende und pflegende (weibliche?) Haltung.“2
Ob diese Haltung dann von Frauen oder Männern (oder sich nicht eindeutig einem Geschlecht zuordnenden Personen) eingenommen wird, sollte eigentlich nicht die Frage sein. Relevant bleibt sie trotzdem.
1+2 Denise Scott Brown: „Room at the Top? Sexism and the Star System in Architecture“ in Architecture: A Place for Women, Ellen Perry Berkeley und Matilda McQuaid (Hrsg.), Smithsonian Institution Press, Washington 1989
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