Bauwelt

Nachkriegs­moderne in der Praxis

Sind Denkmalschutz und Sanierung von Bauten der Nachkriegsmoderne ver­einbar? Eine Tagung in Wolfsburg gibt Antworten.

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

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    Alvar Aaltos Hochhaus in der Bremer Vahr wurde 1996 in die Denkmalliste eingetragen.
    Foto: Gewoba

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    Alvar Aaltos Hochhaus in der Bremer Vahr wurde 1996 in die Denkmalliste eingetragen.

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    Seitdem wurden bereits mehrere Sanierungsmaßnahmen ergriffen – zuletzt wurde 2021 die Schindelfassade erneuert.
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    Seitdem wurden bereits mehrere Sanierungsmaßnahmen ergriffen – zuletzt wurde 2021 die Schindelfassade erneuert.

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Nachkriegs­moderne in der Praxis

Sind Denkmalschutz und Sanierung von Bauten der Nachkriegsmoderne ver­einbar? Eine Tagung in Wolfsburg gibt Antworten.

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Georg Skalecki, seit etlichen Jahren Landeskonservator in Bremen, hat sich damit abgefunden: Bauten der Moderne sind nicht denkmalfähig. Zumindest nicht im Sinne einer auf die Substanz gerichteten Denkmalpflege – denn die im 20. Jahrhundert vielfach verwendeten industriellen Materialien, ihre oft experimentelle Fügung und die daraus resultierenden Bauschäden machen Sanierungsvorhaben zu Austauschprogrammen, als deren Ergebnis, wenn es gut läuft, nur noch die Erscheinung des Gebäudes erhalten bleibt: das Bild des Baudenkmals. Das Thema Rekonstruktion ist daher auch für die Denkmalpflege kaum zu umgehen, wenn es um den Erhalt von wichtigen Zeugnissen der Moderne geht, will man diese nicht aufgrund immer größerer Schäden verlieren.
Doch werden Dehio und die Charta von Athen nicht sowieso viel zu eng ausgelegt? In Artikel 9 des viel zitierten Grundsatzpapiers aus dem Jahre 1964 etwa sollen Restaurierungen, sprich: Rekonstruktionen, zwar die Ausnahme bleiben, sind aber akzeptabel, wenn der Vorzustand dokumentiert ist und der ästhetisch-künstlerische Wert des Denkmals anders nicht zu erhalten ist. Allerdings lassen Rationalisierung, Industrialisierung und Normierung des Bauens nach dem Zweiten Weltkrieg klassische denkmalpflegerische Prinzipien ohnehin absurd erscheinen, wie die Architektin Christina Krafczyk, Präsidentin des Niedersächsischen Landesamts für Denkmalpflege, bereits zu Beginn der Tagung klar stellte. Die von der Unteren Denkmalschutzbehörde der Stadt Wolfsburg organisierte Veranstaltung fand am 2. September in Aaltos Kulturhaus in der Stadt am Mittellandkanal statt, und zwar im Rahmen der erstmals außerhalb von Finnland organisierten „Alvar Aalto Week“.
Georg Skalecki hatte den Praxistest dieser Erkenntnisse im Gepäck: Die Sanierung des 1959–1961 errichteten Aalto-Hochhauses in der (Neuen) Vahr, die im letzten Jahr ihren Abschluss gefunden hat. Architektin Nurdan Gülbas, die die Planung bei der GEWOBA betreut hatte, stellte die Maßnahme Punkt für Punkt vor. Nötig geworden war die Sanierung aufgrund herabfallender Teile der Ostfassade: Wenn Stand- oder Verkehrssicherheit in Frage stehen, hilft auch kein Denkmalschutz mehr. Während die Westfassade nur malermäßig überholt werden musste (ihr prägendes Fugenbild war bereits 1995 unter einer homogenisierenden Putzschicht verschwunden, rechtzeitig, bevor das Hochhaus unter Denkmalschutz gestellt wurde), kam die GEWOBA auf der Ostfassade um einen kompletten Austausch der Schindelbekleidung nicht herum, einschließlich der alten hölzernen Unterkonstruktion, denn die historischen Platten waren nicht nur absturz­gefährdet, sie waren auch asbesthaltig. Problem nur: Der Ersatz war mehr als doppelt so dick, und aufgrund der Überlappung hätte sich das Profil der Oberfläche sichtbar verändert. Gelöst wurde das Problem durch ein Ausfräsen der Platten im Bereich der Überlappung um fast die Hälfte des Querschnitts, so dass die gewohnte Erscheinung gewahrt blieb.
Es war ein großer Gewinn, dass die von Stephan Strauß, Architekt und Mitinhaber des Krefelder Büros Historische Bauwerke, moderierte Tagung ebenso hinabstieg in konstruktive Details an Einzelobjekten als auch immer wieder grundsätzliche Fragen aufwarf; neben jener der Rekonstruktion etwa die, inwieweit der Denkmalschutz die derzeitige Debatte um die Klimaziele im Bausektor beeinflussen kann. Bislang spielt das Kulturerbe in den Überlegungen der Politiker eine untergeordnete bzw. gar keine Rolle, weder in Berlin noch in Brüssel. Dabei gewinnt das Thema immer größere Relevanz, auch im Bereich des Bauens ohne denkmalpflegerische Auflagen – man denke an Initiativen wie jene für ein Abrissmoratorium oder gar Neubauverbot bis hin zur Erarbeitung einer die Bauordnung ergänzenden Umbauordung.
Dennoch droht dem „eingriffsempfindlichen Bestand“ Gefahr. Den immer schärferen Auflagen können Baudenkmäler kaum genügen, weshalb eine Betrachtung auf Quartiersebene angeraten scheint, wie der Münchener Architekt Rainer Vallentin anhand seiner Untersuchung des Berliner Hansaviertels und dessen Energieperspektiven bis zum Jahr 2060 resümierte. Für das Erreichen der Klimaziele ist der Umgang mit den Baudenkmälern ohnehin nicht entscheidend, stellen diese doch kaum mehr als ein Zwanzigstel des Baubestandes dar. Trotzdem lassen sich die Emissionen im Betrieb auch bei Baudenkmälern deutlich reduzieren, ohne ihre Gestaltqualitäten zu ruinieren – etwa durch bauliche Ergänzungen, wie sie Dirk Dorsemagen, Referatsleiter Hochbau der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg anschaulich machte. West-Berliner Geschäftshausfassaden der 50er Jahre konnten ihre Feingliedrigkeit über die Sanierung retten, indem Einzelfenster zu Kastenfenstern aufgedoppelt wurden oder gar nur eine Dichtung eingezogen wurde, die die Mieter von Zugluftempfindungen befreit.
Wenn bauphysikalische Schwächen behoben werden, dient eine Sanierung sogar dem Schutz der Substanz: Undichte Flachdächer oder fehlender Schlagregenschutz wie beim Niemeyer-Haus der Berliner Interbau stellen schließlich eine permanente Bedrohung des Denkmals dar. Vallentin lobte das Bremer Beispiel, da dort die Gelegenheit ergriffen wurde für eine deutliche Verbesserung der klimatischen Performance: Die konsequente Dämmung des Daches einschließlich einer Einblasdämmung in den Hohlräumen der Attika hat den u-Wert des Flach­daches von 0,48 auf 0,13 W/m2K gesenkt, der u-Wert der Kellerdecke verbesserte sich durch Dämmung von 2,23 auf 0,23, die Neuverglasung der Fenster im Treppenhaus bescherte diesen gar eine Reduktion von 5 auf 1,26 W/m2K. „Wenn schon, denn schon“, so Vallentins Empfehlung, denn im heutigen Sanierungszyklus bietet sich die nächste Chance erst wieder in zwanzig, dreißig Jahren.

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