Neues Nichtneues im Osten
Trotz aller Proteste: Das Stadion im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark in Berlin soll abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden. Nun ist der Wettbewerb entschieden.
Text: Schade-Bünsow, Boris, Berlin
Neues Nichtneues im Osten
Trotz aller Proteste: Das Stadion im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark in Berlin soll abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden. Nun ist der Wettbewerb entschieden.
Text: Schade-Bünsow, Boris, Berlin
Barrierefreiheit, das schlagende Argument für den Neubau, gewährleistet der Gewinnerentwurf wohl, aber kann er der ikonischen Tribüne das Wasser reichen?
Abriss und Neubau von Stadion und Tribüne des Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportparks in Berlin-Prenzlauer Berg wurden bereits seit 2014 immer wieder untersucht, infrage gestellt und bestätigt (Bauwelt 21.2020). In der Auslobung zum nun entschiedenen zweistufigen Realisierungswettbewerb (Hochbau und Freiraumplanung) galten sie als beschlossene Sache: Sanierung und Umbau des zwischen 1950 und 1987 in mehreren Bauphasen zu seiner heutigen Gestalt gekommenen Stadions seien unmöglich; die Anforderungen, die ein Inklusionssportzentrum habe, ließen sich auch mit einem Budget von 97 Mio. Euro nicht erfüllen. Immerhin sollen die „identitätsstiftenden Wälle, aufgeschüttet aus dem Trümmerschutt der zerstörten Stadt nach dem 2. Weltkrieg“ erhalten bleiben. Die städtebaulich wichtigen und Orientierung gebenden Flutlichtmasten (Wo ist der Mauerpark?) dürfen jedoch fallen. Und das, obwohl sich seit 2014 das Bewusstsein für den Bestand und beispielsweise die darin gebundene graue Energie gehörig gewandelt hat.
Doch der zweistufige Realisierungswettbewerb gibt sich unschuldig: Ziel der Bemühungen sei die Aufwertung des Jahnsportparks zu einem Inklusionsportzentrum. Der Sportpark demonstriert schon heute in gewisser Weise Schwellenlosigkeit: Freizeitsportlerinnen und Nachbarn nutzen die Anlagen ebenso wie Profis. Und so konzentrierte sich der erste Teil des Wettbewerbs genuin auf das große Stadion und seine Tribüne, die endlich wieder 20.000 Zuschauern Platz bieten soll, um damit als drittgrößte Sportstätte Berlins auch zweit- und drittligatauglich zu sein. Bautechnische Mängel beschränkten die Besucherzahl zuletzt auf 10.400. Außerdem fehlten Rampen – Barrierefreiheit steht als Argument gegen Klimaschutz und einmal mehr gegen ungeliebte Relikte der Baugeschichte.
Der zweite Teil des Wettbewerbes umfasste die Neuordnung des östlich angrenzenden Sportparks, für den ein städtebaulich-freiraumplanerisches Konzept entstehen sollte. Das Ergebnis soll Grundlage für die folgende Aufstellung des Bebauungsplans sein. Auf den ersten Blick ähneln sich die Entwürfe. Die ovale Grundform des Stadions wurde um großzügige Freiflächen ergänzt. Die oft reichlichen neuen Baumpflanzungen stießen der Jury eher negativ auf – weil sie die Zugänglichkeit einschränkten.
Die Ähnlichkeit der Arbeiten ist das vielleicht größte Problem des Wettbewerbs: Es wird ein Stadion mit Sportpark entstehen, wie wir es aus diversen deutschen Städten bereits kennen, eins, das überall stehen könnte. Die Identifikation der Besucher und Nutzerinnen mit einer Sportstätte gelingt einerseits über die Konnotation mit besonderen sportlichen Ereignissen, Erfolgen, Dramen und auch Niederlagen, andererseits entsteht sie durch markante Architektur. Millerntor-Stadion, die Alm und das Grünwalder haben das über Jahrzehnte erreicht. Die dafür im Jahnstadion angelegten Anhaltspunkte aufzugreifen war den Teilnehmern kaum möglich.
O + M Architekten aus Dresden, zusammen mit LOR Landschaftsarchitekten Otto + Richter, setzten sich einstimmig durch. Im Mittelpunkt ihres Entwurfs steht eine großzügige „Plaza“, die den uneingeschränkten Zugang zum Sportpark, zum Stadion und zur Multifunktionshalle bietet. Als architektonische Geste versehen sie das Stadion mit einem Skywalk als oberer Abschluss. Von dort erfolgt die Erschließung der Zuschauerränge „weitgehend gleichberechtigt “. Die Jury sah im Erhalt zweier Flutlichmasten einen historischen Bezug zum Ort, plädiert jedoch dafür, sie anders als im Entwurf vorgesehen, an gegebener Stelle zu belassen.
Statt der Plaza setzen die zweitplatzierten TOPOTEK 1 Architektur aus Zürich mit TOPOTEK 1 Landschaftsarchitekten aus Berlin einen langen Boulevard, der das Gelände in Nord-Süd-Richtung durchschneidet. Hier bleibt sogar nur ein Flutlichtmast erhalten. Für gelungen erachtete die Jury die Verknüpfung des Sportparks mit dem Stadtraum durch die geschickte Setzung des siebengeschossigen Begegnungszentrums an der Eberswalder Straße. Atelier Schmelzer Weber Architekten zusammen mit RSP Freiraum aus Dresden begrünen die Fassade des Stadions und orientieren sich formal und architektonisch an den Bestandsbauten der Umgebung, vorrangig der Max-Schmeling-Halle. Für die Fans der alten Tribüne gibt es etwas Besonderes: Die charakteristischen, farbigen Sitzschalen bleiben erhalten – sie werden im Freiraum als Bänke verwendet.
Die Teilnehmer des Wettbewerbs kamen der Aufgabe nach; die Ergebnisse sind, wenngleich erwartbar, solide. Ganz sicher aber wäre mehr drin, wenn bauliche Maßnahmen nicht in phantasielose Regelwerke gezwungen würden.
Offener zweiphasiger hochbaulicher und städtebaulich-freiraumplanerischer Realisierungswettbewerb
1. Preis (180.000 Euro) O + M Architekten mit LOR Landschaftsarchitekten, beide Dresden
2. Preis (112.500 Euro) TOPOTEK 1 Architektur, Zürich,
TOPOTEK 1 Landschaftsarchitekten, Berlin
3. Preis (67.500 Euro) Atelier Schmelzer Weber Architekten mit RSP Freiraum, beide Dresden
Anerkennung (45.000 Euro) Hupe Flatau Partner, Hamburg, mit Landschaftsarchitektur Rainer Ernst mit POLA Landschaftsarchitekten, Frankfurt a. M.
Anerkennung (45.000 Euro) Albert Wimmer ZT, Wien,
mit QUERFELDEINS Landschaft Städtebau Architektur, Dresden
2. Preis (112.500 Euro) TOPOTEK 1 Architektur, Zürich,
TOPOTEK 1 Landschaftsarchitekten, Berlin
3. Preis (67.500 Euro) Atelier Schmelzer Weber Architekten mit RSP Freiraum, beide Dresden
Anerkennung (45.000 Euro) Hupe Flatau Partner, Hamburg, mit Landschaftsarchitektur Rainer Ernst mit POLA Landschaftsarchitekten, Frankfurt a. M.
Anerkennung (45.000 Euro) Albert Wimmer ZT, Wien,
mit QUERFELDEINS Landschaft Städtebau Architektur, Dresden
Jury Nicola Böcker-Giannini, Philipp Dittrich, Iris Dupper, Barbara Ettinger-Brinckmann, Thomas Härtel, Jörg Joppien, Nicole Parlow, Hermann-Josef Pohlmann (für Petra Kahlfeldt), Stefan Schenck, Uwe Schröder (Vorsitz), Cyrus Zahiri
Auslober Land Berlin, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen
0 Kommentare