Oscar Niemeyer
Text: Rumpf, Peter, Berlin
Oscar Niemeyer
Text: Rumpf, Peter, Berlin
Die Nachricht vom Tod Oscar Niemeyers lässt wohl jeden Architekten an seine Studienzeit denken. Peter Rumpf hatte 1992 die Ehre, von Niemeyer an der Staffelei im Atelier an der Copacabana empfangen zu werden.
Später kam die Ernüchterung – er erfuhr, dass der Meister sich für jeden vorgelassenen Besucher an seine Staffelei stellte und mit Filzer die markanten Formen zeichnete. Wir erinnern mit dem Beitrag von Peter Rumpf, der vor 21 Jahren erschien, an Oscar Niemeyer. Es war ein Abschied vom Œuvre, das schon damals in die Architekturgeschichte eingegangen war.
Peter Rumpf, Redakteur und von 1989 bis 2002 Chefredakteur der Bauwelt, besuchte Oscar Niemeyer vor 21 Jahren in seinem Büro. Zuvor war er in der Hauptstadt Brasilia, wo ihn die Gebäudeskulpturen Niemeyers besonders beeindruckten: „Sie stehen wirklich so da vor dem blauen Himmel und der Weite der Landschaft, wie sie von den Fotos aus den Architekturbüchern in Erinnerung geblieben sind. Sie tragen noch – oder fast noch – das strahlende Weiß und die schwebende Immaterialität, die sie zu Inkunablen einer Moderne gemacht haben, vergleichbar nur den Schöpfungen Le Corbusiers für Chandigarh.“ Und dennoch ist die Stadt für ihn „ein leicht ermüdeter Gruß aus einer Zeit, die sich selbst überlebt hat. Das Brasilia von heute hat längst seine eigenen Zeichen zwischen die Klassiker von damals gestellt.“ ... „Alles in allem: Brasilia beginnt, eine ganz normale lateinamerikanische Großstadt zu werden.“ (Bauwelt 11.1992). Peter Rumpf hatte damals nicht nur seine Gedanken zur gebauten Utopie Brasilia, sondern auch zur Begegnung mit Oscar Niemeyer aufgeschrieben – eine persönliche Hommage an den am 5. Dezember letzten Jahres verstorbenen Architekten:
„Er sitzt 84jährig im zwölften Geschoss unter dem Dach eines schmalen Hauses an der Copacabana, vor sich den kilometerlangen weißen Nobelstrand von Rio de Janeiro und um sich drei ältere Mitarbeiter, einen Azubi und eine Sekretärin als guten Geist. Brasilia liegt weit zurück. Ihn treiben die Veränderungen dort nicht mehr um. Sein Lebenswerk, das Ende der 30er Jahre begann, von 1940–57 mit Le Corbusier zeit- und werkweise parallel lief, das unter dem Bürgermeister von Belo Horizonte, dem Gouverneur von Minas Gerais und schließlich dem Präsidenten des Landes, Juscelino Kubitschek, seinen Höhenpunkt erreichte, dann während der Militärjunta seine Spuren im Ausland, vor allem in Frankreich, Israel, Portugal und Algerien hinterließ und sich in den letzten Jahren zunehmend in Formalismen und monomanischen Gestern wiederholt, dieses Lebenswerk spricht dennoch von einer eindringlichen Geschlossenheit. Es zeigt – wie vielleicht nur das von Le Corbusier – von Beginn an eine unverwechselbare Handschrift; es hat die Grenzen der Statik und der Pathetik gesprengt, hat Träume wahrgemacht und Maßstäbe gesetzt.
Wenn Oscar Niemeyer sich heute in seinem kleinen Atelier Transparentpapierbögen auf die Staffelei spannen lässt und mit einem breiten Filzstift sich und seinem Besucher die Konturen seiner wichtigsten Bauten – von 1940 bis heute – in Erinnerung bringt, Skizze für Skizze, Bogen für Bogen, wenn er wie in einer Vorlesungsstunde sein architektonisches Leben Revue passieren lässt, assistiert und simultan gedolmetscht von seinem guten Geist, wenn er etwas eingefallen und müde wirkend die Umbruchseiten seines geplanten letzten Buches, die Fotos von früher, die Aktzeichnungen und die genial dilettantischen Umrißskizzen durchblättert, fühlt sich der Besucher wie in ein fremdes Leben eingedrungen. Er hört Botschaften, die das Heute nicht mehr erreichen, weil dieses sich mit wachsender Geschwindigkeit in die entgegengesetzte Richtung entwickelt. Der ewige Kommunist, der von der Veränderbarkeit der Welt zum Guten geträumt hat, der mit seinem Präsidenten das Entwicklungsland Brasilien vor aller Welt als Europa ebenbürtig darzustellen versuchte, der immer für die Armen bauen wollte, der Lenin-Preisträger von 1963, dieser Idealist als Planer sieht heute von seinen Fenstern hinunter auf eine Bucht, die zur Kloake einer 13-Millionen-Stadt geworden ist, ganz so als sei sie das Abbild einer Welt, die von der Hoffnung, planbar zu sein, Abschied genommen hat.
Niemeyers Traum von einer Architektur, die der Phantasie volle Freiheit gestattet, dabei aber nach eigener Charakterisierung verlangt, die monumental und dennoch voller Hoffnung ist‘, wird unmittelbar neben seinem Atelier an der Avenida Atlantica durch gesichts- und geschichtslose Neubauten mit der kapitalistischen Wirklichkeit konfrontiert. Seine Architektur, die – wie er sagt – keiner Erklärung bedarf, weil sie sich selbst erklärt, ist zur Architekturgeschichte erstarrt. Seine Weggefährten waren Le Corbusier, Pier Luigi Nervi, André Malraux, Juscelino Kubitschek. Mit den heute Lebenden hat er nichts zu tun – wie er auch mit der Architektur nichts mehr zu tun hat, obwohl er immer noch Monumente entwirft. ,Das Wichtigste im Leben ist nicht die Architektur, sondern das Leben und die Frauen und das Vertrauen in sich selbst.‘ Es klingt wie ein Schlusswort.“
Peter Rumpf, Redakteur und von 1989 bis 2002 Chefredakteur der Bauwelt, besuchte Oscar Niemeyer vor 21 Jahren in seinem Büro. Zuvor war er in der Hauptstadt Brasilia, wo ihn die Gebäudeskulpturen Niemeyers besonders beeindruckten: „Sie stehen wirklich so da vor dem blauen Himmel und der Weite der Landschaft, wie sie von den Fotos aus den Architekturbüchern in Erinnerung geblieben sind. Sie tragen noch – oder fast noch – das strahlende Weiß und die schwebende Immaterialität, die sie zu Inkunablen einer Moderne gemacht haben, vergleichbar nur den Schöpfungen Le Corbusiers für Chandigarh.“ Und dennoch ist die Stadt für ihn „ein leicht ermüdeter Gruß aus einer Zeit, die sich selbst überlebt hat. Das Brasilia von heute hat längst seine eigenen Zeichen zwischen die Klassiker von damals gestellt.“ ... „Alles in allem: Brasilia beginnt, eine ganz normale lateinamerikanische Großstadt zu werden.“ (Bauwelt 11.1992). Peter Rumpf hatte damals nicht nur seine Gedanken zur gebauten Utopie Brasilia, sondern auch zur Begegnung mit Oscar Niemeyer aufgeschrieben – eine persönliche Hommage an den am 5. Dezember letzten Jahres verstorbenen Architekten:
„Er sitzt 84jährig im zwölften Geschoss unter dem Dach eines schmalen Hauses an der Copacabana, vor sich den kilometerlangen weißen Nobelstrand von Rio de Janeiro und um sich drei ältere Mitarbeiter, einen Azubi und eine Sekretärin als guten Geist. Brasilia liegt weit zurück. Ihn treiben die Veränderungen dort nicht mehr um. Sein Lebenswerk, das Ende der 30er Jahre begann, von 1940–57 mit Le Corbusier zeit- und werkweise parallel lief, das unter dem Bürgermeister von Belo Horizonte, dem Gouverneur von Minas Gerais und schließlich dem Präsidenten des Landes, Juscelino Kubitschek, seinen Höhenpunkt erreichte, dann während der Militärjunta seine Spuren im Ausland, vor allem in Frankreich, Israel, Portugal und Algerien hinterließ und sich in den letzten Jahren zunehmend in Formalismen und monomanischen Gestern wiederholt, dieses Lebenswerk spricht dennoch von einer eindringlichen Geschlossenheit. Es zeigt – wie vielleicht nur das von Le Corbusier – von Beginn an eine unverwechselbare Handschrift; es hat die Grenzen der Statik und der Pathetik gesprengt, hat Träume wahrgemacht und Maßstäbe gesetzt.
Wenn Oscar Niemeyer sich heute in seinem kleinen Atelier Transparentpapierbögen auf die Staffelei spannen lässt und mit einem breiten Filzstift sich und seinem Besucher die Konturen seiner wichtigsten Bauten – von 1940 bis heute – in Erinnerung bringt, Skizze für Skizze, Bogen für Bogen, wenn er wie in einer Vorlesungsstunde sein architektonisches Leben Revue passieren lässt, assistiert und simultan gedolmetscht von seinem guten Geist, wenn er etwas eingefallen und müde wirkend die Umbruchseiten seines geplanten letzten Buches, die Fotos von früher, die Aktzeichnungen und die genial dilettantischen Umrißskizzen durchblättert, fühlt sich der Besucher wie in ein fremdes Leben eingedrungen. Er hört Botschaften, die das Heute nicht mehr erreichen, weil dieses sich mit wachsender Geschwindigkeit in die entgegengesetzte Richtung entwickelt. Der ewige Kommunist, der von der Veränderbarkeit der Welt zum Guten geträumt hat, der mit seinem Präsidenten das Entwicklungsland Brasilien vor aller Welt als Europa ebenbürtig darzustellen versuchte, der immer für die Armen bauen wollte, der Lenin-Preisträger von 1963, dieser Idealist als Planer sieht heute von seinen Fenstern hinunter auf eine Bucht, die zur Kloake einer 13-Millionen-Stadt geworden ist, ganz so als sei sie das Abbild einer Welt, die von der Hoffnung, planbar zu sein, Abschied genommen hat.
Niemeyers Traum von einer Architektur, die der Phantasie volle Freiheit gestattet, dabei aber nach eigener Charakterisierung verlangt, die monumental und dennoch voller Hoffnung ist‘, wird unmittelbar neben seinem Atelier an der Avenida Atlantica durch gesichts- und geschichtslose Neubauten mit der kapitalistischen Wirklichkeit konfrontiert. Seine Architektur, die – wie er sagt – keiner Erklärung bedarf, weil sie sich selbst erklärt, ist zur Architekturgeschichte erstarrt. Seine Weggefährten waren Le Corbusier, Pier Luigi Nervi, André Malraux, Juscelino Kubitschek. Mit den heute Lebenden hat er nichts zu tun – wie er auch mit der Architektur nichts mehr zu tun hat, obwohl er immer noch Monumente entwirft. ,Das Wichtigste im Leben ist nicht die Architektur, sondern das Leben und die Frauen und das Vertrauen in sich selbst.‘ Es klingt wie ein Schlusswort.“
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