Bauwelt

Richard Rogers (1933–2021)

Nach dem Tod des Architekten am 18. Dezember in London führte Andrea Plebe ein Interview mit Renzo Piano. Der italienische Architekt war während des gesamten Berufslebens mit Rogers eng befreundet.

Text: Plebe, Andrea, Mailand

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Richard Rogers und Renzo Piano 2017 vor dem Centre Pompidou in Paris
Foto: Martin Bureau, Getty Images

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Richard Rogers und Renzo Piano 2017 vor dem Centre Pompidou in Paris

Foto: Martin Bureau, Getty Images


Richard Rogers (1933–2021)

Nach dem Tod des Architekten am 18. Dezember in London führte Andrea Plebe ein Interview mit Renzo Piano. Der italienische Architekt war während des gesamten Berufslebens mit Rogers eng befreundet.

Text: Plebe, Andrea, Mailand

Gemeinsam entwarfen Rogers und Piano ab 1969 eine Reihe von Projekten. Viele wurden nicht realisiert. 1971 gewannen sie dann zum Erstaunen vieler den Wettbewerb für das Centre Pompidou in Paris, das 1977 eröffnet wurde.
Renzo Piano, in Erinnerung an das Abenteuer Centre Pompidou in Paris in den 1970er Jahren haben Sie öfters betont, dass Sie und Richard zu der Zeit zwei ‚Ragazzacci‘, also Lausebengel gewesen seien. Ihre Wege haben sich aber in London das erste Mal gekreuzt.
Ja, ich denke, in gewisser Weise waren wir dazu bestimmt, uns zu treffen. London wurde durch die 68er nicht so geprägt wie Paris, aber in jenen Jahren herrschte auch dort eine vergleichbare Atmosphäre. Ich hatte damals mit Leichtbaustrukturen experimentiert und verfolgte die Arbeit des Ingenieurs Z.S. Makowski in London. Ich hatte eine kleine Ausstellung am Battersea College of Technology, außerdem unterrichtete ich an der AA. In diesem Zusammenhang kamen Richard und ich in Kontakt und unsere Freundschaft begann. Wir erschienen wie zwei Ausreißer. Es gibt Fotos von uns aus dieser Zeit, die heute lustig wirken.
Er war vier Jahre älter als Sie.
Vier Jahre und 53 Tage, um genau zu sein. Es ist ein Unterschied, über den man lächeln kann, aber damals war er deutlich spürbar. Für mich war er immer so etwas wie der große Bruder, dem man hinterherlief, um mit ihm Schritt zu halten. Ich nannte ihn „the old Man“, nicht nur weil er älter war als ich, sondern auch weil er weiser war. Richard ist in Florenz geboren, in einer englischen Familie, die sich in Italien niedergelassen hatte. Sein Vater Nino war ein Cousin des Architekten Ernesto Nathan Rogers, seine Mutter stammte aus Triest. Richard zog dann noch als Kind mit seinen Eltern nach London. Wir beide sprachen italienisch miteinander, so war es ihm möglich, seine Wurzeln zu pflegen.
Wie war es, mit ihm zu arbeiten?
Er war ein Wirbelwind von Ideen. Am Anfang ist eine Idee nichts, aber wenn man sie wie beim Pingpong hin- und her- und wieder zurückschlägt, entsteht ein Dialog, aus dem eine gute Idee entstehen kann, ein Entwurf. Wir beide wussten hinterher nie, von wem die Idee wirklich kam.
Das Projekt Centre Pompidou markiert einen Wendepunkt in der zeitgenössischen Architektur.
Richard und ich teilten die Auffassung, Räume für Menschen zu schaffen. Die Ermöglichung von Neugier ist dafür ein erster Schritt und so dachten wir, dass Kultur die Menschen nicht einschüchtern, sondern sie anziehen und willkommen heißen sollte. Wir waren zwei Ragazzacci, die überschwängliche Wünsche hatten, den Willen, die Welt zu verändern. Es ist richtig, übertriebene Wünsche zu haben, wenn man jung ist, sonst wird nichts draus. Und im Grunde bleibt es auch sinnvoll, wenn man alt ist.
An welche besondere Charaktereigenschaft von Rogers erinnern Sie sich am meisten?
Auf Englisch sagt man elegant, nicht im Sinne von äußerlichem Stil, es ist eine Eleganz des Geistes. Außerdem hatte er immer eine positive Einstellung. Ich glaube, auch dies hat uns verbunden. In gewisser Weise waren wirbeide Kinder jenes Gewittersturms, der der Zweite Weltkrieg gewesen war. Nach einer solchen Tragödie spürst du, dass jeder Tag besser sein wird als der vorangegangene, jeder Monat, jedes Jahr wird besser sein. Das ist die Art, in der du dann den Herausforderungen des Lebens begegnest.
Nach dem Centre Pompidou haben sich Ihre beruflichen Wege getrennt.
Ich fühlte mich in Paris wohler, Richard in London, auch aus familiären Gründen. Wir haben noch einiges zusammen gemacht, aber auch als wir nicht mehr das Büro in London teilten, haben wir uns weiterhin getroffen.
Er kam nach Paris, ich ging nach London, wir diskutierten unsere Projekte und wir verbrachten unsere Ferien zusammen auf einem Boot, Richard hatte ein Herz für das Mittelmeer.
Rogers hatte ein besonderes Verhältnis zur Toskana, aber auch zu Ligurien, speziell zu Vernazza.
Ja, er hat Vernazza, einem Ort der Cinque Terre, vor langer Zeit entdeckt und dort mehr als 50 Jahre lang einen Teil des Sommers verbracht. Nach der schrecklichen Überschwemmung 2011 mit meterhohen Geröllmassen hat er der Gemeinde ein Projekt zur Rekonstruktion und Wiederbelebung des alten Zentrums geschenkt und natürlich auch mich daran beteiligt.
Welche seiner Projekte schätzen Sie besonders?
Es gibt so viele, es ist sehr schwer eine Wahl zu treffen. Da sind der Hauptsitz von Lloyd’s in London, der Millennium Dome, der lichtdurchflutete Flughafen von Madrid und auch seine letzte Arbeit, eine kleine Kunstgalerie in Südfrankreich. Wir teilten dieselbe Berufsauffassung, unsere Arbeit bestand immer darin, öffentliche Orte zu bauen, Orte für die Menschen.
Sie haben in gewisser Weise parallele Karrieren gemacht, auch unter dem Aspekt internationaler Anerkennung, wie etwa dem Pritzker-Preis und dem Praemium Imperiale. Sie selbst haben in Venedig auf der Ar­chitekturbiennale Richard Rogers den Goldenen Löwen für sein Lebenswerk überreicht.
Und er ist zum Lord ernannt worden, ins Parlament eingezogen, während ich Senator auf Lebenszeit geworden bin. Aber immer zeitlich nach ihm, sozusagen hinter ihm her.
Was bleibt von ihm?
Der Trost, dass wir sind, was wir gesehen haben, die Orte, die wir besucht, die Bücher, die wir gelesen, die Menschen, die wir getroffen und die wir geliebt haben. Richard ist ein Teil von mir und dieses Bewusstsein tröstet mich in gewisser Weise in einem wirklich traurigen Moment.
Das Interview erschien am 20.12.2021 in der Zeitung II Secolo XIX aus Genua, Übersetzung: Iris Lüttgert

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