Bauwelt

Schieferscherbenhügel

Der dies­jährige Serpentine Pavillon von Junya Ishigami geriet schon im Vorfeld in die Kritik. Und auch nach seiner Er­öffnung wird deutlich, dass das Pavillon-Programm der Londoner Galerie überdacht werden muss.

Text: Homann, Shirin

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Auch Ishigami ist etwas unzufrieden mit dem Pavillon. Die Idee des fließenden Raums wird durch die aufgestellten Polycarbonatwände zerstört, die nach einer Windanalyse installiert wurden.
Foto: Serpentine Pavilion/Norbert Tukaj

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Auch Ishigami ist etwas unzufrieden mit dem Pavillon. Die Idee des fließenden Raums wird durch die aufgestellten Polycarbonatwände zerstört, die nach einer Windanalyse installiert wurden.

Foto: Serpentine Pavilion/Norbert Tukaj


Schieferscherbenhügel

Der dies­jährige Serpentine Pavillon von Junya Ishigami geriet schon im Vorfeld in die Kritik. Und auch nach seiner Er­öffnung wird deutlich, dass das Pavillon-Programm der Londoner Galerie überdacht werden muss.

Text: Homann, Shirin

Seit zwei Jahrzehnten wird jeden Sommer für knapp 100 Tage in Londons Kensington Garden einer errichtet: ein Serpentine Pavillon. Dieses Jahr entwarf der 1974 geborene Japaner Junya Ishigami, der bis zur Gründung seines eigenen Büros für SANAA arbeitete, den temporären Bau.
Der Architekt wurde heftig kritisiert: Die Serpentine Gallery musste in diesem Jahr öffentlich Stellung zur Nicht-Bezahlung der Praktikanten des von ihr ausgewählten Architekturbüros nehmen. Zwar wurde auch schon Sou Fujimoto, Architekt des Serpentine Pavillons von 2013, Ähnliches vorgeworfen, doch war es vor sechs Jahren anscheinend noch akzeptabel, darauf mit Aussagen wie „eine Open-Desk-Policy ist eine schöne Möglichkeit für Arbeitgeber und Praktikanten“ zu reagieren.
Dieses Jahr wurden Stimmen laut, dass Prestigeprojekte, wie der all­sommerliche Pavillon, nicht mehr an Architekturbüros vergeben werden sollten, die ihre Mitarbeiter unbezahlt arbeiten lassen. Ausgelöst wurde der Protest durch ein Antwortschreiben von Junya Ishigami + Associates auf die Bewerbung eines potenziellen Praktikanten, aus dem klar hervorging, was das Büro von ihm verlangt: Nutzung der eigenen Software und des eigenen Computers (als spiele Lizenzrecht keine Rolle) und Arbeitszeiten von Montags bis Samstags, von jeweils zehn Uhr morgens bis Mitternacht – alles unbezahlt (Bauwelt 15.2019). Derartige Ansprüche mögen vielen Architekten aus eigenen Praktikumszeiten in Erinnerung sein, insbesondere dann, wenn es in einem Büro sogenannter „Stararchitekten“ absolviert wurde. Doch muss man diese Tradition deshalb fortsetzen?
In London empörte sich der Präsident des Royal Institute of British Archi­tects Ben Derbyshire öffentlich über derartige Praktiken und die Serpentine Gallery machte Ishigami darauf aufmerksam, dass die von ihr ausgewählten Büros ihre Mitarbeiter zu bezahlen habe, doch an der Wahl Ishigamis änderte das nichts, und sein Pavillon steht.
Hinterfragt werden sollte also vielleicht nicht nur der Architekt, sondern auch die Institution, die zum wiederholten Male die Arbeitsbedingungen hinter ihren „Prestigeprojekten“ nicht zu sehen scheint. Abgerundet wird die Geschichte dadurch, dass sich ausgerechnet Goldman Sachs als Hauptsponsor mit dem Projekt rühmt, denn die Serpentine Gallery ist zur Finanzierung ihrer international beachteten Pavillons auf Sponsoren angewiesen. Goldman Sachs war wiederum einer der ersten Arbeitgeber von Serpentine Co-Leiterin Yana Peel, die im Juni mit ihrem überraschenden Rücktritt die Eröffnung von Ishigamis Serpentine Pavillons überschattete. Der Guardian hatte enthüllt, dass Peel über Anteile an einer Investmentfirma ihres Mannes an der israelischen Spionage-Software-Firma NSO Group beteiligt ist, deren Software Dissidenten in autoritären Regimen ausspioniert. Something is rotten in the gardens of Kensington, und so überrascht es nicht, dass auch die Financial Times Ishigamis Vergütungsmoral kritisch bespricht, allerdings nur, um seinen Pavillon dann ästhetisch, als „den vielleicht besten“ der Serie, vom monetären Morast rein zu waschen. Ist er das?
Nähert man sich dem 62 Tonnen schweren Schieferscherbenhügel, der an die abgestreifte Haut eines Reptils aus Vorzeiten erinnert und auf scheinbar viel zu dünnen, 106 unterschiedlich langen Beinchen ruht, dann wohnt diesem ersten Eindruck wenig Poesie inne. Öffnet sich dann der erste Blick unter die Schieferschuppen, so zeigt sich nicht nur die tragende Stahlkonstruktion, sondern leider ein recht ungemütlicher, offener Raum, der in der Pressemappe, und folglich in der Kritik, gern als „höhlenartig“ beworben wird. Geborgenheit oder Schutz – was man mit einer Höhle vielleicht assoziiert – vermittelt er jedoch nicht. Faktisch sitzen die Besucher eher verloren und gar nicht „meditativ“ im Schatten des Tonnen schweren Schieferteppichs und trinken Kaffee.
Der Pavillon brilliert mit seiner Konstruktion, etwas anderes war von Ishigami auch nicht zu erwarten. Seine Intention war die Realisierung eines „primitiven“ Pavillons, der weder Gebäude noch Landschaft ist, sondern ein fließender Raum. Ishigami beschreibt ihn als „weniger künstlich und mehr organisch“ – wie man das auf das Dach, die Konstruktion und das Betonfundament genau beziehen soll, bleibt offen. Schiefer ist nicht künstlich, das stimmt, 62 Tonnen Schiefer als Sonnenschirm irgendwie schon.
Das Fotografieren dieses konzeptionellen Objekts macht jedenfalls Spaß und kann in beeindruckenden Bildern enden, gleichzeitig ist das auch das Problem des diesjährigen Pavillons, der primär ein ästhetisches Werk bleibt. Die eigentliche Frage ist, ob man das nur dem Architekten vorwerfen kann, oder ob die Serpentine Gallery nach beinahe zwanzig Jahren überlegen sollte, das Programm neu zu definieren.
Die für diesen Pavillon und für Ishigamis Architektur häufig geäußerten Gedanken einer Annäherung von Architektur und Landschaft könnten, gerade in Zeiten des Klimawandels, zu einem sinnvollen Programm werden. „Sinnvoll“ müsste jedoch mehr bedeuten als reine Ästhetik beziehungsweise bloße Material- und Statikexperimente. Statt weiterhin Landschaftsrhetorikern oder Poesiestatikern auf den Leim zu gehen, müssen neue kuratorische Ambitionen her, die versuchen davon zu überzeugen, dass Architekten für unsere Umwelt mehr tun können, als 62 Tonnen Schiefer mit Stahl und Beton zum Schweben zu bringen, damit man diese schön fotografieren oder in ihrem Schatten einen Cappuccino trinken kann.
Fakten
Architekten Ishigami, Junya, Tokio
aus Bauwelt 16.2019
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Betrifft You never completely disappear

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