Bauwelt

Sejong: Der Zentralisierung mit einer neuen Hauptstadt begegnen

Die neue Verwaltungshauptstadt Sejong gilt als die führende Smart City Südkoreas. Dennoch erfüllt sie bisher nicht alle Erwartungen. Ursprünglich geplant, um die Metropole Seoul zu entlasten, ist die angestrebte Einwohnerzahl noch nicht erreicht.

Text: Jung, Inha, Ansan (Südkorea)

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    Der Bus ist neben dem privaten Auto das Hauptverkehrsmittel in Sejong.
    Foto: Nick Hannes

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    Der Bus ist neben dem privaten Auto das Hauptverkehrsmittel in Sejong.

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    Beamte auf dem Weg von der Bushaltestelle zum Regierungskomplex.
    Foto: Nick Hannes

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    Beamte auf dem Weg von der Bushaltestelle zum Regierungskomplex.

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    Hanok Village ist ein neues Viertel mit Luxushäusern im traditionellen koreanischen Baustil − dahinter ragen Wohntürme in die Höhe.
    Foto: Nick Hannes

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    Hanok Village ist ein neues Viertel mit Luxushäusern im traditionellen koreanischen Baustil − dahinter ragen Wohntürme in die Höhe.

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    Das Regierungsgebäude wurde von Haeahn Architecture entworfen. Die Struktur erstreckt sich über das ganz Stadtzentrum. Mit einer Gesamtlänge von etwa 3,6 Kilometern hat es den größten (nicht mehr begehbaren) Dachgarten der Welt.
    Foto: Nick Hannes

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    Das Regierungsgebäude wurde von Haeahn Architecture entworfen. Die Struktur erstreckt sich über das ganz Stadtzentrum. Mit einer Gesamtlänge von etwa 3,6 Kilometern hat es den größten (nicht mehr begehbaren) Dachgarten der Welt.

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    In der sogenannten Happy City Promotion Hall befindet sich ein maßstabsgetreues Modell von Sejong.
    Foto: Nick Hannes

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    In der sogenannten Happy City Promotion Hall befindet sich ein maßstabsgetreues Modell von Sejong.

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    Eine Fußgängerzone am künstlich angelegten Fluss Banchukcheon.
    Foto: Nick Hannes

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    Eine Fußgängerzone am künstlich angelegten Fluss Banchukcheon.

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    Im Ausgehviertel Naseong-ro
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    Im Ausgehviertel Naseong-ro

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    Eine Bewohnerin wirft in einen Abfalleinlass ihren Müll weg. Der Behälter öffnet sich elektronisch, der Müllsack fällt in ein unterirdisches Rohrsystem.
    Foto: Nick Hannes

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    Eine Bewohnerin wirft in einen Abfalleinlass ihren Müll weg. Der Behälter öffnet sich elektronisch, der Müllsack fällt in ein unterirdisches Rohrsystem.

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    Der Regierungskomplex beansprucht ein Gelände von 596.000 Quadratmetern, was der Größe von 81 Fußballfeldern entspricht.
    Foto: Haeahn Architecture

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    Der Regierungskomplex beansprucht ein Gelände von 596.000 Quadratmetern, was der Größe von 81 Fußballfeldern entspricht.

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Sejong: Der Zentralisierung mit einer neuen Hauptstadt begegnen

Die neue Verwaltungshauptstadt Sejong gilt als die führende Smart City Südkoreas. Dennoch erfüllt sie bisher nicht alle Erwartungen. Ursprünglich geplant, um die Metropole Seoul zu entlasten, ist die angestrebte Einwohnerzahl noch nicht erreicht.

Text: Jung, Inha, Ansan (Südkorea)

Ungefähr 52 Millionen Einwohner hat Südkorea. Knapp die Hälfte davon lebt im Großraum Seoul. Eine neue Hauptstadt soll diese wahnsinnige Seoul-Fixierung lindern. Roh Moo-hyun, ein ehemaliger Menschenrechtsanwalt, der eine entscheidende Rolle bei der Demokratisierung Südkore­as spielte, hatte im Wahlkampf um die Präsidentschaft 2003 die Verlegung der Hauptstadt als zentralen Aspekt seiner Dezentralisierungspolitik pro-pagiert. Die Errichtung von Sejong begann mit politischen Kontroversen.
Nach dem Wahlsieg erließen Roh und seine Regierung das Sondergesetz „Special New Capital Construction Act“, um das Wahlversprechen einzulösen. Die öffentliche Meinung über die Verlegung der Hauptstadt war geteilt, und so wurde die Angelegenheit zur Entscheidung an das Verfassungsgericht verwiesen. Im Jahr 2004 erklärte das Gericht das Gesetz für verfassungswidrig und stellte fest, dass ein Referendum über die Verfassungsänderung erforderlich sei, um den Umzug der Hauptstadt durch-zuführen. Nach diesem Urteil verkleinerte die Regierung Rohs das Projekt, stoppte den Hauptstadtumzug und konzentrierte sich auf die Verlegung wichtiger Verwaltungsbehörden. Im Jahr 2008 versuchte Lee Myung-bak, der neu gewählte Präsident von der Konservativen Partei, den zentralen Aspekt der Politik der vorherigen Regierung zu streichen. Im Jahr 2010 lehnte jedoch die Nationalversammlung wiederum Lees Plan ab und ließ den Bau der neuen Verwaltungshauptstadt zu.
Hundertzwanzig Kilometer südlich von Seoul wird auf 465 Quadratkilometern Farmland der Region Hoseo der neue Verwaltungssitz Sejong hochgezogen. Das staatliche Landentwicklungsunternehmen Korea Land and Housing Corporation durfte das benötigte Land zu einem bestimmten Preis kaufen, wenn die Mehrheit der Bauern nichts dagegen hatte. Die Bauern, die ihr Land nicht verkaufen wollten, wurden einfach überstimmt.
Der Standort für die neue Stadt, die nach König Sejong benannt ist, dem Erfinder des koreanischen Alphabets, wurde in der Nähe der Kreise Gong-ju und Yeongi in der Provinz Süd-Chungcheong gewählt. Bereits in den späten 1970er Jahren hatte Präsident Park Chung-hee geplant, in der Region eine neue Verwaltungshauptstadt zu errichten, doch der Plan wurde nach seiner Ermordung aufgegeben. Bei der Auswahl des Standorts standen zwei Grundsätze im Vordergrund: Erstens sollte eine Stadt geschaffen werden, die die Überbevölkerung in der Hauptstadtregion verringern und eine ausgewogene nationale Entwicklung fördern würde. Um dies zu erreichen, musste die Stadt weit genug von Seoul entfernt sein, um zu verhindern, dass die Einwohnerinnen täglich pendeln würden. Zweitens sollte ein Standort gefunden werden, der ein günstiges Umfeld bot, um die Errichtung einer autarken Stadt innerhalb eines kurzen Zeitrahmens zu ermöglichen.
17 Milliarden US-Dollar beträgt das gesetzlich festgeschriebene Gesamtbudget aus der Staatskasse und umfasst Grunderwerb, Landentwicklung, Infrastruktur und öffentliche Einrichtungen. Nachdem der Standort gefunden war, wurde ein internationaler Ideenwettbewerb ausgeschrieben. Die Jury wählte im November 2005 fünf Siegerentwürfe aus.
Ringförmige Stadtstruktur
Zu den preisgekrönten Beiträgen gehörte „The City of the Thousand Cities“ des spanischen Architekten Andrés Perea Ortega, der eine zentrale Idee präsentierte: Um eine Verbindung zwischen Stadt und Natur zu schaffen, müsse eine Beziehung zwischen Architektur und Gärten im städtischen Maßstab gefunden werden. Der Entwurf zielte darauf ab, „das gesamte Tal als kulturelles Erbe zu bewahren und die Reisfelder wie die Landschaft als Element des Flussgleichgewichts, als Lebensweise und als Kultur zu erhalten“. Ortegas Entwurf zeichnete sich dadurch aus, dass er das Stadtzentrum absichtlich leer ließ und die Gebäude darum herum positionierte, um die Natur innerhalb der Stadt zu erhalten, ähnlich wie bei dem Entwurf von Jean-Pierre Dürig, „The Orbital Road“. Der Schweizer Architekt beschrieb sein Konzept wie folgt: „Eines der wichtigsten Merkmale der neuen Stadt wird ihre Fähigkeit sein, die Mobilität zu fördern. Diese Überlegungen haben uns veranlasst, eine ringförmige neue Stadt zu entwerfen, die um einen Park herum angelegt ist, der das Zentrum des sozialen Lebens sein wird. Eine Ringstraße ist das effizienteste Erschließungssystem, das es gibt. Sie drückt auch den Wunsch nach einer demokratischen Stadt aus, in der jeder Mensch die gleichen Lebenschancen hat.“
Auf Basis der Ideen der beiden Architekten und der anschließenden Diskussionen entwickelte der südkoreanische Stadtplaner Ahn Gun-hyuk, der mehrere Städte rund um Seoul entworfen hat, einen Masterplan für Sejong für eine dezentrierte, ringförmige Stadtstruktur. Eines der Ziele war es, die Landschaft im Zentrum der Stadt intakt zu lassen. Diese räumliche Struktur galt als Symbol für das Engagement der Regierung für eine Dezentralisierung, die es den städtischen Funktionen ermöglichte, ohne hierarchische Ordnung nebeneinander zu existieren. Darüber hinaus konnte durch das Aussparen der Mitte das natürliche Potenzial der Umgebung optimal genutzt werden: Das Gelände umfasste zwei etwa 250 Meter hohe Hügel und einen Nebenfluss des Geumgang, wodurch günstige Bedingungen für den Aufbau eines ökologischen Netzwerks gegeben waren. Die Absicht war, diese natürlichen Elemente zu nutzen, ohne ihnen zu schaden, um eine Stadtlandschaft zu schaffen, in der sich Natur und vom Menschen geschaffene Strukturen vermischen. Die ringförmige Anordnung der städtischen Funktionen sollte die Vorteile eines linearen Stadtkonzepts nutzen, den Verkehr entzerren und den Entwicklungsdruck auf die umliegenden Gebiete verringern, um so die Herausforderungen zu bewäl-tigen, die sich aus einem einzigen Zentrum ergeben. Nach Fertigstellung des Masterplans für die neue Verwaltungshauptstadt im Jahr 2011, wurde am 1. Juli 2012 mit den Bauarbeiten begonnen.
Nur ein Teilerfolg
In Sejong findet man den geballten südkoreanischen Innovationsgeist: kreative Architektur und öffentliche Grünflächen, Regenwasser-Recycling und Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen wie Sonne und Geother- mie, intelligente unterirdische Müllentsorgungssysteme sowie umfassen-de Videoüberwachung. Ein Jahrzehnt nach dem Beginn der Bauarbeiten fällt die Bewertung der neuen Hauptstadt jeodch gemischt aus, die Stadt hat nur einen Teilerfolg erzielt. Laut offizieller Aussage seien inzwischen sechzig Prozent des Bauplans umgesetzt. Die Einwohnerzahl der Stadt ist immerhin von etwa 100.000 auf derzeit 390.000 angestiegen. Dies stellt zwar einen Fortschritt in Richtung des ursprünglichen Ziels dar, bis 2030 eine autarke Stadt mit 500.000 Einwohner und Einwohnerinnen zu schaffen, doch es ist bemerkenswert, dass 64 Prozent der Bevölkerung von Sejong aus der benachbarten Provinz Chungcheong stammen, während nur 24 Prozent aus dem Großraum Seoul kommen. Vor allem Beamte und ihre Familien leben in Sejong. Das Vorhaben der Regierung, die Bevölkerungskonzentration im Großraum Seoul zu verringern, wurde nicht erreicht. Bis 2022 wurden insgesamt 47 Regierungsstellen, 16 nationale Forschungsinstitute und neun öffentliche Einrichtungen nach Sejong verlegt, das Präsidialamt und die Nationalversammlung verbleiben in Seoul, was ein Zeichen dafür ist, dass die neue Stadt noch nicht vollständig als Verwaltungshauptstadt funktioniert.
Trotz der ursprünglichen Absichten stößt auch die Architektur in Sejong an Grenzen. Das Konzept der Nichtbebauung des Stadtzentrums zur Erhaltung der natürlichen Umwelt wurde auf die Gestaltung der öffentlichen Verwaltungsstadt ausgedehnt. Im Jahr 2007 wurde ein weiterer Wettbewerb ausgeschrieben, um einen Masterplan für das Areal zu entwickeln, auf dem neben einer innerstädtischen Mischung auch die zentralen Verwaltungsfunktionen der Regierung untergebracht werden sollten. Aus 56 Beiträgen ging der Entwurf von Haeahn Architecture aus Korea und Balmori Associates aus den USA als Sieger hervor. In ihrem Entwurf wurden insbesondere die Regierungsgebäude als Teil einer Landschaft konzipiert, die in das Stadtgefüge integriert sind und nicht als eigenständige Objekte verstanden werden sollen. Die Gebäude und das Gelände wurden so miteinander verbunden, dass sie eine zusammenhängende Fläche bildeten, wodurch eine weitläufige Dachlandschaft entstand, mit Brücken und erhöhten Fußgängerstraßen, die zur Nachhaltigkeit und zu einer umweltfreundlichen Stadt beitragen sollte. Doch nach Fertigstellung der Regierungsgebäude ergaben sich einige praktische Einschränkungen. Regierungsbeamte beschwerten sich über die funktionalen Unannehmlichkeiten der langen, miteinander verbundenen Verwaltungsgebäude, und dieDachgartenstraße wurde aus Sicherheitsgründen geschlossen, womit ihr Zweck, für die Öffentlichkeit zugänglich zu sein, verfehlt wurde.
Auch das Verkehrssystem von Sejong barg einige Schwierigkeiten, insbesondere mit der Ringstraße, die die Stadt umgibt. In der Planungsphase wurde davon ausgegangen, dass die Straße eine ausgewogene Stadt mit verteilten städtischen Funktionen schaffen würde, die sich von anderen neuen Städten, die um einen städtischen Kern zentriert sind, unterscheidet. Die Straße sollte die Verkehrsüberlastung reduzieren, die in den Zentren bestehender Städte in der Regel auftritt. Daher wurden die städtischen Funktionen vom ersten Entwurf an linear entlang der öffentlichen Verkehrsachse angeordnet. Ursprünglich hielten die Planerinnen vier Fahrspuren für ausreichend, um den Verkehr zu bewältigen, und bewarben Sejong als sicheren Ort mit einer „Geschwindigkeitsbegrenzung von 50 km/h oder weniger“. Als die Bevölkerung jedoch auf 390.000 anstieg, nutzten die Einwohner mehr private Autos als öffentliche Verkehrsmittel, was eine Abweichung von der ursprünglichen Absicht bedeutete. Obwohl rund um die Ringstraße ein Schnellbussystem eingerichtet wurde, machten starke Verkehrsüberlastungen während der Hauptverkehrszeiten eine umfassende Umgestaltung des Straßensystems erforderlich. Angesichts der sich verändernden Verhältnisse war es notwendig, die inneren Straßen zu erweitern und neue Straßen zu bauen. Eine kurzfristige Lösung ist die Eröffnung einer äußeren Umgehungsstraße, um die Staus auf der Ringstraße zu entschärfen. Hinzu kommt, dass Sejong keinen eigenen Bahnhof hat. Wer zum Schnellzug KTX nach Seoul will, muss mit Bus, Taxi oder eigenem Auto neun Kilometer bis Osong Station fahren. Eine Maßnahme der Regierung, um das Pendeln zu verhindern.
Pilot-Smart-City
2019 wurde Sejongs Wohngebiet 5-1 als nationale Pilot-Smart-City ausgewählt. Das Projekt, das von 2021 bis 2036 läuft, zielt darauf ab, das Viertel bis 2026 mit einem integrierten städtischen Betriebssystem auszustatten, in das für zehn Jahre Daten eingespeist werden soll. Es zeichnet allen Datenfluss, der im Wohnviertel stattfindet, auf. Ferner werden eine bürgernahe Verwaltung und die Schaffung neuer Geschäftsmodelle durch die Nutzung städtischer Daten priorisiert, um ein datenbasiertes, nachhaltiges, innovatives Ökosystem zu fördern. Zu diesem Zweck werden die über das Internet der Dinge gewonnenen Daten der Stadt gespeichert und in ein Cloud-System integriert, das durch künstliche Intelligenz maßgeschneiderte Vorhersagedienste für die urbane Nachhaltigkeit und die Lebensqualität der Bürgerinnen ermöglicht. In dem Smart-City-Areal erprobt die Regierung außerdem autonomes Fahren. Indem digitale Werkzeugegenutzt werden, die die unterschiedlichen Bedürfnisse und Meinungen der Einwohner und Einwohnerinnen widergeben, soll das Projekt nachhaltige für die Wettbewerbsfähigkeit der Stadt sorgen. Obwohl das System noch weiterentwickelt wird, ist unklar, ob es sein Ziel erreichen wird. Sejong ist dennoch auf dem Weg, eine Smart City zu werden, die über ihre Funktion als Verwaltungshauptstadt hinausgeht.

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