Bauwelt

Stimmen zum Ausverkauf

Was macht Berlin aus? In der Arte-Dokuserie „Capital B – Wem gehört Berlin?“ wird man auf eine Reise durch 30 Jahre Wiedervereinigung mitgenommen.

Text: Mausbach, Therese, Berlin

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    Portrait von Klaus-Rüdiger Landowsky, der Pate von Berlin. Foto: Jens Rötzsch/Ostkreuz

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    Portrait von Klaus-Rüdiger Landowsky, der Pate von Berlin.

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    Die größte Baustelle Europas 1996, der Potsdamer Platz.
    Foto: Hubertus Siegert

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    Die größte Baustelle Europas 1996, der Potsdamer Platz.

    Foto: Hubertus Siegert

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    Unterschriftenübergabe Deutsche Wohnen und Co. enteignen.
    Foto: Andy Lehmann/Port au Prince

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    Unterschriftenübergabe Deutsche Wohnen und Co. enteignen.

    Foto: Andy Lehmann/Port au Prince

Stimmen zum Ausverkauf

Was macht Berlin aus? In der Arte-Dokuserie „Capital B – Wem gehört Berlin?“ wird man auf eine Reise durch 30 Jahre Wiedervereinigung mitgenommen.

Text: Mausbach, Therese, Berlin

Eine Geschichte, die zwischen Euphorie und Ausverkauf schwankt. Meilensteine und Fehlentscheidungen werden beleuchtet: von der Loveparade über die Immobilienkrise bis zur Flughafeneröffnung.
Die seit dem 3. Oktober vergangenen Jahres auf Arte ausgestrahlte Dokuserie trifft Berlin mitten ins Herz. In „Capital B – Wem gehört Berlin?“ fokussiert der Regisseur Florian Opitz den Sucher auf die dreißigjährige Entwicklung der Stadt seit dem Mauerfall, um der im Titel enthaltenen Frage auf den Grund zu gehen. In fünf Teilen klärt Capital B auf, wieso Berlin jüngst zu dem geworden ist, wie wir es heute kennen: vielerorts reizlos priva-tisiert. Capital B. Die englische Ableitung für: Hauptstadt des vereinten Deutschlands? Kapitalanlage für Investoren? Dickes „B“ ergo Keimzelle für Musik- und Kreativschaffende? Es gibt viele Gesichter, die Berlin erlebten und prägten. Etwa dreißig davon, darunter entscheidende Politiker, Journalistinnen, Hausbesetzer, Investoren, Musikerinnen und Clubbetreiberinnen, zeigen ihre Sicht auf ihre Vergangenheit in Berlin. Ausschließlich mit diesen Stimmen der Stadt und dem reichhaltigen Fundus an historischen Filmaufnahmen zeigt die Dokureihe, welche Entscheidungen gefällt, welche Partys gefeiert, welche Chancen vertan wurden. So zeichnen die beiden ersten Folgen „Sommer der Anarchie“ und „Größenwahn“ ein eindrückliches Bild von den unmittelbaren Ereignissen im Zuge der Wiedervereinigung.
Ein (zentrales) Beispiel nimmt die 1989 von Dr. Motte organisierte Loveparade ein. Als subversive Underground-Party ins Leben gerufen, entwickelte sich der ursprünglich als Demonstration gestartete Straßenumzug, zum kommerziellen, vom damaligen Musiksender VIVA live übertragenen, Massen- und Marketingevent. (2001 verlor die Veranstaltung den Demons-trationsstatus, pausierte 2005 und 2006 – 2007 wurde sie abgesagt.)
Mit der Öffnung der Grenze wurde das Potenzial der Stadt neu geschätzt. Während von der Politik, allen voran der damalige CDU-Bürgermeister Eberhard Diepgen und Klaus-Rüdiger Landowsky, ehemaliger Fraktionsvorsitzender der CDU, Filetgrundstücke, wie etwa am Potsdamer Platz, auf den Markt geworfen wurden, fanden sich junge Menschen im Osten der Stadt zwischen Endzeit- und Aufbruchsstimmung in leer stehenden Häusern ein. Nebst den rabiaten Räumungen der Besetzerszene verdeut-lichen die in unbarmherziger Kühle ausgetragenen Schließungen Ostberliner Betriebe, die nicht mal den beliebten kleinen DDR-Jugendsender DT64 verschonten, das starre politische Vorgehen jener westdeutschen Altmännerregierung. Sie entschied sich mit ihren wahnwitzigen Visionen, von der Bevölkerung entkoppelt, mit Ausverkäufen dafür, die Handhabe über den Berliner Boden an die Immobilienwirtschaft abzugeben. In kürzester Zeit sollten sich „1000 Kräne“ drehen, schildert der Projektentwickler Roland Ernst (1936–2023), der seinerzeit 2,6 Milliarden Euro u.a. in den Gendarmenmarkt, Hackeschen Markt und Potsdamer Platz investierte. Selbstzufrieden steht der alte Herr sich in der dritten Folge „Absturz“ mit Sonnenbrille inmitten der toten Mitte der Metropole und blickt in Richtung der inhaltslosen Glashülle des Sony-Centers. Ebenso von jeglicher Selbstkritik frei zeigen sich Diepgen und Landowsky, deren nicht gedeckte Immobilien-Sorglosfonds der wüsten Stadtentwicklung maßgeblich die Weichen stellte und 2001 schließlich im Bankenskandal endete. Daneben präsentiert sich die einstige High Society Lady Isa Gräfin von Hardenberg als Dinosaurierin des festiven Gemauschels im völligen Gegensatz zur Subkulturszene, deren große Community fernab von der Politik und mit Verweigerungshaltungen kurzerhand der Verdrängung zum Opfer fiel – lebendige Orte und kreative Treiber, die heute immer mehr fehlen. In der vierten Folge „Arm, aber sexy“ wird der Berlin-Tourismus durch das Stadtmarketing des ehemaligen Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) groß. Neben der neuen Außenwirkung und Anziehungskraft des Berlins seiner Zeit, bleibt das Flughafen-Debakel unvergessen. Auch er entzieht sich auf erstaunliche Art und Weise seiner Verantwortlichkeit: „Bis zum Rohbau des Terminals ist ja auch nicht so viel schiefgelaufen.“ Thilo Sarrazins (SPD) Sparmaßnahmen, zu denen auch der Verkauf landeseigener Immobilien gehörte, sowie der Umgang mit dem vernachlässigten Bezirk Berlin-Neukölln werden durch die Journalistin Güner Balci pointiert rekapituliert.
Die letzte Folge „Die Stadt als Beute“ spannt den Bogen von 2009 bis heute: sie zeigt, wie endlich und schließlich nach zehn Jahren Verspätung der Flughafen öffnet, sie thematisiert den Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“, der trotz seines Erfolgs in der Bevölkerung von der Politik erfolgreich ignoriert wurde, und wie die erste Frau als Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) wegen Wahlpannen ihr Amt nach knapp zwei Jahren niederlegen musste. Ist es das, was die Stadt ausmacht? Auf der einen Seite das verhängnisvolle Handeln der Politik, auf der anderen Seite das Aufbäumen der Berlinerinnen und Berliner mit immer wie-derkehrender Aussicht auf Ungewisses? Gehört das zu der Stadt an der Spree? Und wem gehört sie denn nun? Der ehemalige Hausbesetzer und Mitbegründer von Kotti und Co. Sandy Kaltenborn fasst klug zusammen: „Keinem gehört die Stadt, uns allen gehört die Stadt, so einfach ist das.“

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