They said we’d be artistically free
Eventuelle Sprüh-, Kleb- oder Krixeltatbestände der Autorin sind verjährt
Text: Landes, Josepha, Berlin
They said we’d be artistically free
Eventuelle Sprüh-, Kleb- oder Krixeltatbestände der Autorin sind verjährt
Text: Landes, Josepha, Berlin
Graffiti ist Establishment. Wer das noch nicht verstanden hat, schlafe weiter. Im Angebot der Hauptstadt sind Streetart-Touren durch Kreuzkölln oder zur Eastside Gallery. Und jetzt auch in meiner Nachbarschaft: Das Immobilienunternehmen ohne Vertrauen lässt abreißen, zuvor aber einen Streetartist anreisen. Die
Aneignung des Aufbegehrens ist offenbar, sie springt uns ins Gesicht von den Wänden der Wohlstandsruinen.
Aneignung des Aufbegehrens ist offenbar, sie springt uns ins Gesicht von den Wänden der Wohlstandsruinen.
Während aus der Flanke des Bürokomplexes schon die vom Abrissbagger angeknabberten Bewehrungsstäbe ragen, lächelt von seiner Breitseite, über fünf Etagen gesprayt, ein mittelalter, smart, aber auch etwas durcheinander aussehender Typ. Er könnte genauso gut 4Blocks wie der Kaffeebar gegenüber entsprungen sein. Ein fescher Spruch und der QR-Code zur Unternehmenswebsite ergänzen das Mural in bester Schöneberg-Lage. Hier ist man nicht dagegen, eigentlich. Muss man nicht. Außer am U-Bahnhof gibt es nicht gerade viel Graffiti. Erst eine Straße weiter wird’s prekär.
Ich denk an das Streetart-Phantom von Dresden, die Teenagerzeit: „No name, no fame, no name“. Um nicht Banksy zu bemühen... Am Schöneberger Sockel prangen Tags und Kommentare, mit Edding hinterlassen: „Artwashing!“ Die Werbe-Murals sind eine Provokation für wahre Streetartists, wie Arschgeweihe wahre Rocker piesacken. Jedes kunstvolle Bild verfängt sich fortan im Zweifelhaften. Was steckt dahinter? Hinterm Schöneberger Porträt ist es die Geschichte eines als Kind aus Albanien nach Griechenland, später nach Deutschland geflohenen Bauleiters. Sympathisch der Typ, im Video auf der Unternehmenswebsite. So richtig möchte man dann nicht mehr draufhauen auf die Immobilienhaie, nicht auf die Lotto-Stiftung, die das alles finanziert. Das ist ja schon sehr sozial, weltoffen, inklusiv, Berlin und so.
Ich halte es für geschmacklos, wie das Establishment sich bedient bei denen, die es ausnutzt, und denen, die ihm den Stinkefinger hinhalten. Das hat nicht einmal mit Kraft zu tun. Es ist Macht. Ein Raub von Sprache und Motiven. Eine alte Macht, die sich junge Kraft einverleibt, die Rebellion tilgt, Zweifel scheinbar zerstreut und damit Sinnsuche ins Abseits rückt.
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