Verlorener Sockel – Umbau eines Frühwerks von Bruno Taut
Das 1910 fertiggestellte Erholungsheim für Siemens-Mitarbeiter in Bad Harzburg ist ein Schlüsselwerk aus der Frühzeit des Architekten. Bei einem Umbau in ein Hotel ging nun die ursprüngliche Gestalt des Baukörpers verloren.
Text: Krohn, Carsten, Berlin
Verlorener Sockel – Umbau eines Frühwerks von Bruno Taut
Das 1910 fertiggestellte Erholungsheim für Siemens-Mitarbeiter in Bad Harzburg ist ein Schlüsselwerk aus der Frühzeit des Architekten. Bei einem Umbau in ein Hotel ging nun die ursprüngliche Gestalt des Baukörpers verloren.
Text: Krohn, Carsten, Berlin
Der Bau, den Bruno Taut bis in die Details der Innenausstattung gestaltete, war wichtig für die Entwicklung seiner Laufbahn, denn er nutzte den Auftrag, um ein eigenes Büro zu gründen. Taut war noch unter 30 und unbekannt, als er den Wettbewerb für das Erholungsheim gewann. In einer Besprechung des Bauwerks in der Siemens-Werkszeitschrift wurde zwar erklärt, dass der Entwurf von einem anderen Architekten stamme, während Taut lediglich „die künstlerische Ausgestaltung“ anvertraut wurde, doch Anfang der 1990er Jahre konnte die Kunsthistorikerin Bettina Zöller-Stock anhand der originalen Planunterlagen zeigen, dass Taut den Bau umfassend gestaltet hatte. Sie fand den Bau damals „quasi unverändert“ vor und war sich sicher: „Jenes Erholungsheim Ettershaus in Bad Harzburg darf als Tauts erstes eigenverantwortlich realisiertes ‚Gesamtkunstwerk’, als sein erster umfassender ‚Hausbau’ von der Fassade bis zum Lampenentwurf gelten.“
Auf dem Grundstück stand zuvor die Sommervilla des Unternehmensgründers Werner von Siemens, von der Bauteile wie eine Holzkassettendecke und ein geschmückter Kamin in den Neubau integriert wurden. Für die Errichtung des Gebäudes wurden angrenzende Grundstücke aufgekauft, um einen Park anzulegen, und es wurde eigens eine Stiftung gegründet. Die Lage am Hang des Ettersbergs bot weite Ausblicke in die bewaldete Landschaft des Harzes.
Wie im zeitgleich entstandenen Erstlingswerk von Mies van der Rohe, dem Haus Riehl, schuf auch Bruno Taut eine gewaltige Geländestufe als ein architektonisches Podium, auf der das eigentliche Haus aufsitzt, während sich die beiden Elemente – Plattform und Haus – zu einer Einheit verbinden. Die bauliche Anlage war so gestaltet, als sei sie auch mit der Landschaft organisch verbunden. Der aus groben Sandsteinblöcken gefertigte und wehrhaft in Erscheinung tretende Sockel war mit einer zentralen Treppenanlage versehen, die zum Eingang des Hauses hinaufführte. Die Idee der Verschmelzung von Bauwerk und Landschaft wurde für Bruno Taut zu einem zentralen Thema seiner utopischen Projekte nach 1918. In seinen Zeichnungen für eine „Alpine Architektur“ präsentierte er die Versöhnung der Gegensätze: des von Menschen Gemachten und des natürlich Gewachsenen. Die Architektur und die bergige Landschaft gehen ineinander über.
Der L-förmige Bau war klar gegliedert. An einen öffentlichen Bereich im Erdgeschoss, der Abfolge von Diele, Speisesaal, Gesellschaftszimmer, Bibliothek und Lesezimmer, schloss sich der Wirtschaftsflügel mit dem Küchentrakt an, während die Zimmer der Gäste in den Obergeschossen untergebracht waren. Für die Hotelnutzung wurde nun der Sockel teilweise abgerissen und teilweise mit einem Anbau umbaut, um dort einen Wellnessbereich mit Schwimmbad unterzubringen. Zerstört wurde dabei der ursprüngliche Zugang über die vorgelagerte Terrasse mitsamt der Treppe.
Umgebaut und erweitert hatte die denkmalgeschützte Anlage das Braunschweiger Büro ADP Thomas Funke, das nicht nur für die architektonische Planung verantwortlich war, sondern auch als Investor und Projektentwickler agierte. Auf dem Areal wurden weitere Bauten realisiert, so dass ein ausgedehnter Gebäudekomplex entstanden ist. Auch wenn die baulichen Veränderungen aus der Vogelperspektive, etwa von der benachbarten Seilbahn aus, kaum in Erscheinung treten, wurde doch der Charakter des Gebäudes in einer Weise verändert, wie sie die Renderings des Projekts nicht vermuten ließen. Dort war der weiß verputzte Anbau noch mit der gleichen Sandsteinoberfläche des originalen Sockel dargestellt, alssei der Sockel lediglich wie eine Schublade etwas weiter aus dem Bau herausgezogen. In der gewählten Perspektive der Präsentationszeichnung des Projekts trat die Veränderung weniger stark in Erscheinung, als es sich jetzt zeigt.
Nicht mehr erhalten ist darüberhinaus die farbige Gestaltung der Innenräume, die aus den zeitgenössischen Beschreibungen überliefert ist: Grün im Vestibül, Blau und Gold im Speisesaal und unterschiedlich farbige Obergeschosse, während die Möbel einheitlich weiß lackiert waren. Taut erklärte, er strebe „einen möglichst freundlichen und schlichten Eindruck unter lebhafter farbiger Ausbildung“ an. Der Verlust der originalen Innenausstattung ist bereits auf ein mangelndes Interesse des Siemens-Konzerns an diesem Baudenkmal zurückzuführen. Es wurde von dem Unternehmen aufgegeben und stand dann fast zwei Jahrzehnte leer. Während dieser Zeit verwahrloste der Bau, in dem Waschbären zu leben begannen.
Insofern ist es erfreulich, dass der Bau nun wieder belebt und erlebbar ist. Der intensive Bezug zur umgebenden Natur ist heute genauso zu erfahren wie zur Entstehungszeit, denn der Bau liegt nach wie vor unmittelbar am Waldrand, während die Aufenthaltsqualität in den Zimmern noch gesteigert werden konnte. Ursprünglich waren diese beengt mit Gemeinschaftsbädern in den Fluren. Auch wenn der Charakter und die Atmosphäre der Gemeinschaftsräume mittlerweile verändert ist, blieben weite Teile des originalen Bauschmucks erhalten, den Taut in der gleichen Manier entwarf, wie zuvor als Mitarbeiter im Büro von Theodor Fischer. Dabei kombinierte er reine geometrische Körper, wie die Kugel mit floralen Motiven. Mit der Belebtheit im Detail hob er die Starre der sachlichen Klarheit der Gesamtanlage auf.
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