Bauwelt

Was soll aus Berlin werden?

Unvollendete Moderne – Ein Städtebaumanifest für Berlin und Brandenburg

Text: Bartels, Olaf, Hamburg

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    Seit 1920 gehört Marzahn zu Berlin. Das 2005 eröff­nete Shoppingcenter Eastgate am westlichen Beginn der Marzahner Prome­nade steht im Kontrast zu DDR-Wohnbauten und Versorgungseinrichtungen.
    Foto: Thomas Spier, apollovision

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    Seit 1920 gehört Marzahn zu Berlin. Das 2005 eröff­nete Shoppingcenter Eastgate am westlichen Beginn der Marzahner Prome­nade steht im Kontrast zu DDR-Wohnbauten und Versorgungseinrichtungen.

    Foto: Thomas Spier, apollovision

Was soll aus Berlin werden?

Unvollendete Moderne – Ein Städtebaumanifest für Berlin und Brandenburg

Text: Bartels, Olaf, Hamburg

Vor nunmehr 111 Jahren setzte der „Architekten- und Ingenieurverein“ AIV mit dem Wettbewerb „Groß-Berlin“ 1910 entscheidende städtebauliche Impulse für die Entwicklung Berlins, dessen Vereinigung allerdings erst 1920, zehn Jahre später, erfolgte. Dabei ging es gar nicht so sehr um eine großräumliche Entwicklungsperspektive als vielmehr um kluge Bebauungsweisen, die unter anderem das elendige Wohnen in den Mietskasernen mildern sollte und dafür große durchgrünte Innenhöfe sowie eine weniger dichte Bebauung der Großstadt vorschlug. Gemeint war eine Reform der Großstadt und eben keine „Auflösung der Städte“ − wie später gefordert. In Hamburg, der zweitgrößten Stadt Deutschlands, wurde zu dieser Zeit übrigens ebenfalls über eine Vereinigung der zusammengewachsenen preußischen Einzelstädte mit der Hansestadt zu einem Groß-Hamburg nachgedacht. Die Arbeiter- und Soldatenräte fachten dort diese Debatte direkt nach dem Ersten Weltkrieg an und auch der Bau-, und der spätere Oberbaudirektor Fritz Schumacher machte sich 1919 und noch einmal 1921 Gedanken über eine perspektivische Entwicklung eines vereinten Hamburgs. Allerdings schloss er nicht vom Kleinen zum Großen wie in Berlin, sondern prognostizierte eine Siedlungsentwicklung der Großstadt entlang ihrer Schnellbahntrassen, die weit in das Umfeld der Stadt ausgriffen, mit nach außen abnehmender Dichte der Bebauung. Damit war sein legendärer „Feder-“ oder „Fächerplan“ geboren, der noch heute gerne als Argumentationshintergrund für Stadtentwicklungsperspek­tiven Hamburgs genutzt wird.
Heute, hundert Jahre nach dem Entstehen von Groß-Berlin, stehen Planerinnen und Planer auch in Berlin wieder oder immer noch vor ähnlichen Fragestellungen: Welches sind die perspektivischen Entwicklungsstrukturen für die Gesamtstadt und wie entwickeln sich die Quartiere?
Diesen Spagat versucht das Städtebau-Manifest „Unvollendete Moderne“ des AIV und seiner Partnerverbände aus Architektur und Stadtplanung über 14 Punkte und drei weiteren Forderungen zu Institutionellen Reformen für Berlin-Brandenburg zu schließen. Der „Siedlungsstern“ Berlins, der die Verkehrsstränge der Schnellbahnen, der Ein- und Ausfallstraßen weit in das brandenburgische Umland erstreckt, ist dafür die Grundstruktur. Er soll die Siedlungsentwicklung der Stadt und ihrer Region an sich binden, er soll die multiplen Zentren der Stadt verknüpft und die Großprojekte der Wissenschaftszentren am alten Flughafen Tegel, am Südkreuz in Schöneberg, Johannisthal/Adlershof, in Potsdam, in Ludwigsfelde, den Flughafen in Schönefeld oder die Automobilfabrik in Grünheide in das Netz der Stadt einbinden. Berlin, seine Bürger und Institu­tionen sollen sich der Rolle Stadt als Hauptstadt nicht nur bewusst sein, sondern auch eine aktive Hauptstadtpolitik betreiben und sich mit anderen Hauptstädten der Welt austauschen. Berlin soll sich mit dem umgebenden Brandenburg besser vernetzen und auch intern das Verhältnis zwischen Senats- und Bezirksverwaltungen besser koordinieren. Das ist alles gut und erstrebenswert. Aber wo bleibt der Städtebau im Maßstab des Groß-Berlin-Wettbewerbes von 1910? Es sollen sozial und funktional vielfältige Wohnviertel erhalten und geschaffen werden, wie es in Forderung 3 heißt. „Unsere Metropole muss sich mit all ihren Potenzialen heute den großen Herausforderungen der Zukunft stellen: Klima­frage, Schonung der Ressourcen, Kreislaufwirtschaft, sozialer Zusammenhalt, Digitalisierung, Ernährungswende, Zentrenvielfalt, Verkehrswende, Länderkooperation, politische Verfasstheit, verräumlicht in einem resilienten und schönen Städtebau.“, heißt es in der Präambel, und hier kommen wir der Sache schon näher. Groß-Berlin sei stets eine Stadt der aktiven Bürgergesellschaft gewesen, verlautete das Manifest in seinem letzten Punkt zur demokratischen Zusammenarbeit: „Groß-Berlin war immer eine Hauptstadt des Protests, des Engagements zivilgesellschaftlicher Initiativen. Groß-Berlin selbst war auch das Ergebnis solcher Initiativen.“ Wie aber können Top-down-Strategien und Bottom-up-Initiativen im Städtebau zusammenkommen? Wie kann daraus ein „resilienter und schöner Städtebau“ entstehen. Hier bliebt das Manifest vage, obgleich gerade dadurch die Stadt der Menschen entsteht und eben nicht allein durch die großen Strukturen, Strategien und Perspektiven der (Haupt-)Stadtentwicklung – auch wenn diese hilfreich sein kann.

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