Wie wird die Rolle der Frau in Italiens Architekturgeschichte neu definiert?
Die Baugeschichte um den Beitrag von Architektinnen zu erweitern, ist auch in Italien Ziel der jüngeren Forschung. Eine Konferenz in Turin stellte jüngste Erkenntnisse vor und blickte in die Zukunft.
Text: Bolca, Pelin, Turin
Wie wird die Rolle der Frau in Italiens Architekturgeschichte neu definiert?
Die Baugeschichte um den Beitrag von Architektinnen zu erweitern, ist auch in Italien Ziel der jüngeren Forschung. Eine Konferenz in Turin stellte jüngste Erkenntnisse vor und blickte in die Zukunft.
Text: Bolca, Pelin, Turin
Die Frauenbewegung der 1970er Jahre war ein entscheidender Moment in der Geschichte der Architektur und führte zu einer Neubewertung der Disziplin aus der Genderperspektive. Wissenschaftlerinnen wie Dolores Hayden und Beatriz Colomina untersuchten kritisch das Fehlen von Frauen in architektonischen Narrativen und die Schnittstellen von Gender, Raum und Macht. Hayden betonte in ihrer Forschung, wie geschlechtsspezifische Arbeit die Stadtplanung beeinflusste, und setzte sich für Entwürfe ein, die den Bedürfnissen von berufstätigen Frauen und Familien gerecht wurden. Colomina untersuchte in ihrem bahnbrechenden Werk „Sexuality and Space“ (1992), wie die modernistische Architektur patriarchale Dynamiken durch räumliche Anordnungen aufrechterhielt, und dekonstruierte, wie Geschlechterrollen die Gestaltung von Wohnräumen prägten, etwa die Trennung von öffentlichen und privaten Bereichen in den Villen der Moderne.
Trotz der Fortschritte der Frauenbewegung ist die Genderinklusivität in der Architekturgeschichte immer noch begrenzt. Beispielsweise erwähnt Leonardo Benevolo in seinem 920-seitigen Werk „Storia dell’Architettura Moderna“ (1999) nur 18 Architektinnen. William J.R. Curtis berücksichtigt in seinem Buch „Modern Architecture Since 1900“ (1982) nicht mal Schlüsselfiguren wie Ray Eames, Charlotte Perriand und Lina Bo Bardi, sondern führt nur ihre männlichen Kollegen auf.
Fast ein halbes Jahrhundert später, während die Genderexklusivität in den großen Narrativen fortbesteht, haben Initiativen zur Hervorhebung der Beiträge von Frauen zur Architekturgeschichte an Präsenz gewonnen. In Italien haben Autorinnen wie Anty Pansera in ihrem Buch „Bauhaus al femminile“ (2021) die vernachlässigte Rolle von Architektinnen in der Bauhaus-Bewegung beleuchtet. Veranstaltungen wie die Konferenz des Women Atlas Archive (WAA), die am 30. November in Turin stattfand, unterstreichen diese Bemühungen. Das WAA geht auf eine Initiative im Rahmen des PRIN-Programms (Forschungsprojekte von erheblichem nationalen Interesse) zurück und baut auf dem EU-finanzierten Projekt „Women’s Creativity Since the Modern Movement“ (MoMoWo) auf. Es hat für eine erhöhte Sichtbarkeit von Frauen in den Bereichen Architektur, Planung, Bauingenieurwesen und Design gesorgt.
Die WAA-Konferenz befasste sich mit dem Vermächtnis von Frauen in der Architekturgeschichte, wobei der Schwerpunkt auf Norditalien lag. Im Rahmen der Initiative „Le donne e la città“ wurden Führungen angeboten, die den Beitrag von Architektinnen zum Stadtbild von Turin hervorhoben. Diese Führungen, die mit dem Projekt MoMoWo verbunden waren, würdigten wenig anerkannte Persönlichkeiten wie Elena Imarisio, die während des Zweiten Weltkriegs Kunstwerke in Sicherheit brachte, und das Wirken von Architektinnen in Trentino-Südtirol in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das intensive Programm mit ganztägigen Diskussionen beleuchtete auch die genderbezogenen Veränderungen im häuslichen Raum und zeichnete den Wandel von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart nach. Ikonische Personen wie Eileen Gray, Charlotte Perriand und Lina Bo Bardi, deren Beiträge in der Vergangenheit oft ignoriert worden sind, wurden vorgestellt.
Die Diskussionen konzentrierten sich stark auf Norditalien und beleuchteten weniger bekannte Persönlichkeiten wie Elena Guaccero, die für ihre Residenz in Venedig, ihr Privatarchiv und ihre Möbelentwürfe gefeiert wurde. Institutionen wie die Fondazione Elvira Badaracco in Mailand wurden für ihre zentrale Rolle bei der Bewahrung des Werks von Architektinnen hervorgehoben, die Forschenden unschätzbare Ressourcen zur Verfügung stellen. Auch Ada Bursi aus dem Piemont, die erste Architektin in Turin und Mitglied der Gruppe „Giuseppe Pagano“, sowie Cesarina Bordone, die für ihre Expertise im Bereich des Akustikdesigns bekannt ist, wie die Renovierung des Teatro Regio in Turin zeigt, standen im Mittelpunkt. Doch gingen die Diskussionen über die Region hinaus und umfassten auch Beispiele wie die städtebauliche Planung von Maria Teresa Parpagliolo im römischen Stadtteil Casal Palocco, die eine größere geografische Reichweite der Beiträge dieser Architektinnen aufzeigen.
Im Rahmen der „Policy on Gender Equity in Architecture“, die 2017 von der „International Union of Architects“ verabschiedet wurde, unterstrich die Veranstaltung die Notwendigkeit, die zentrale Rolle von Frauen bei der Gestaltung der Architektur- und Designgeschichte in Italien zu dokumentieren und anzuerkennen. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht des Council on Foreign Relations, „Renewing the Global Architecture for Gender Equality“, bestätigt diese Notwendigkeit und plädiert für institutionelle Unterstützung im Kampf gegen die Ungleichheit der Geschlechter. Im Einklang mit diesen Zielen umfasst die Online-Plattform „Censimento delle Architetture Italiane dal 1945 ad Oggi“ des italienischen Kulturministeriums, die 2023 ins Leben gerufen wurde, mittlerweile fast 5000 Einträge. Mithilfe dieser ständig wachsenden Datenbank sollen die Beiträge von Frauen zur zeitgenössischen Architektur analysiert und gefördert werden.
Aufbauend auf dieser Plattform wird die Konferenz „Donne in Architettura“, die für dieses Frühjahr geplant ist, ihren Fokus auf im Ausland tätige Frauen, die in Italien ausgebildet wurden, und auf Frauen in Berufen aus verwandten Disziplinen erweitern. Themen wie Ausbildung, internationale Aktivitäten, kulturelles Erbe, Berufspraxis, Design und angewandte Kunst werden untersucht und in einem Band zusammengefasst, der im Oktober veröffentlicht wird und die integrale Rolle der Frauen in der Geschichte der Architektur weiter festigen wird.
Übersetzung aus dem Englischen: Beate Staib
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