Architekturführer Irak und Syrien
Text: Thiel, Fabian, Frankfurt am Main
Architekturführer Irak und Syrien
Text: Thiel, Fabian, Frankfurt am Main
In der Reihe „Architekturführer“ des Verlags DOM publishers ist ein von Lore Mühlbauer und Yasser Shretah herausgegebener, höchst interessanter und lesenswerter Band zu „Irak und Syrien“ erschienen. Die oft beschriebene „Stunde Null“ ist etwa in Aleppo durch Grundstückstransaktionen und Investitionen von Warlords in Immobilien in den informellen Siedlungen selbstverständlich längst verstrichen. Landverkäufe weit unter Marktwert fanden in den letzten Jahren statt; die „neuen Investoren“ stehen nun bereit. Dennoch besteht für Resignation kein Grund. Denn das „tastend und vorsichtig auf unterschiedlichen Quellen vertrauende“ vorliegende Mosaik von Mühlbauer und Shretah hat nicht nur einen hohen architekturtheoretischen Wert, sondern kann als reichhaltig sprudelnde Informationsquelle für identitätsstiftende Projekte in Syrien und im Irak angewendet werden.
In neun Hauptkapiteln wird ein äußerst vielfältig bebildertes Mosaik aufgefächert. Zunächst wird der Irak in den Kapiteln 1–4 behandelt: Basra, Bagdad, Erbil und Mossul. Kapitel 5 und 6 widmen sich speziell Aleppo und Damaskus. Abschnitt 7 geht auf „historische Orte“ ein, etwa Babylon und Palmyra. Kapitel 8 stellt (historische, gegenwärtig wiederentdeckte?) Baumaterialien wie Lehm, Material für Kuppeln und Gästehäuser sowie Ziegel vor. Abschnitt 9 schließlich dreht sich um räumliche und thematische Verbindungen: Bagdad-Bahn, Wasserläufe, Bäder, Städtebau und Flüchtlinge. Interessant sind stets die „Innenansichten“ auf Stadtverwaltung und Investorenverhalten etwa in Erbil, Mossul und Aleppo. In Erbil ist die Stadtverwaltung schwach; die durch Flächensanierung freiwerdenden Grundstücke werden Einkaufsmalls weichen. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) betreut ein interessantes Projekt in Mossul, in dem es u.a. um die Klärung von Eigentumsrechten und innovative Bauprojekte wie relozierbare Krankenhäuser aus Schiffscontainern geht. Sehr lesenswert ist der Beitrag „Zerstörung der Altstadt Mossuls (2014–2017)“ von Giovanni Antonelli. Er beschreibt kritisch und informativ die Techniken der Eintragung des Grades der Kriegszerstörung und die Probleme eines internationalen Wettbewerbs (Al-Nouri-Komplex), der ein fehlendes Verständnis der Beitragseinreicher für Mossuls Bautypologien offenbarte. Antonelli präsentiert zehn wichtige Thesen, die durchaus programmleitend auch für Projekte in Syrien (vor allem für die Altstadt von Aleppo) wichtig werden können. Auf einige Aspekte – informelle Siedlungsbildung in den 1970er Jahren, Grundstücksparzellierung und heutige Legalisierung der informellen Siedlungen – geht Fatina Kurdi in ihrem Beitrag „Aleppo – eine Stadt mit vielen Gesichtern“ ein. Weitgehend unbekannt ist, dass im Krieg zwar die Hauptstadt Damaskus relativ stabil blieb, dass aber die Vororte teilweise komplett zerstört wurden. Abschließend soll auf den wunderbaren Beitrag „Baustoff Ziegel im Irak“ von Wolfgang Leistritz und Lore Mühlbauer hingewiesen werden. Die Autoren beschreiben Historie, Bedeutung und Gegenwart des Materials. Leistritz steuert zudem beeindruckendes historisches Fotomaterial aus den 1970er Jahren aus der Zeit seines Aufenthalts von der Montage einer kompletten Ziegelei in Bagdad bei.
Durch die Kombination von baugeschichtlichen, bautechnischen, architektonischen, planerischen und sozialen Aspekten und Stellschrauben ist die vorliegende Publikation weit mehr als ein „bloßer“ Architekturführer. Das Buch gehört auf den Schreibtisch nationaler und internationaler Hilfsorganisationen, NGOs und von Architekturbüros und Bauunternehmen, die sich in Wettbewerben um (Wiederaufbau-)Projekte in Syrien und im Irak bemühen. Der Band hilft bei der Revitalisierung der Aufmerksamkeit für „Recovery“-Maßnahmen, Ideen, Action Plans, Leitlinien in Syrien und im Irak, die dringend geboten sind. Eine englischsprachige Fassung der Veröffentlichung wäre ein gut und vorausschauend angelegtes Investment, damit die Partner „vor Ort“ mitlesen können. Bei dieser Gelegenheit könnten auch die regelmäßig auftretenden grammatikalischen und orthographischen Fehler auf zahlreichen Buchseiten beseitigt werden.
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