Bauteile wiederverwenden
Ein Kompendium zum zirkulären Bauen
Text: Stumm, Alexander, Berlin
Bauteile wiederverwenden
Ein Kompendium zum zirkulären Bauen
Text: Stumm, Alexander, Berlin
Dieses Buch kommt gerade zur rechten Zeit: Bauteile wiederverwenden zeigt, wie zirkuläres Bauen gehen kann und bringt die Debatte zu ressourcenschonender und klimagerechter Architektur einen guten Schritt weiter. Die Pionierin auf dem Gebiet, Barbara Buser, berichtet in der Einleitung von ihrem „Erweckungserlebnis“ nach der Rückkehr von zehn Jahren Entwicklungsarbeit in Afrika 1991. In der Schweiz hatte sich eine zunehmende Wegwerfmentalität etabliert, insbesondere auch in der Bauwirtschaft. Der Zeitraum zwischen Fertigstellung eines Gebäudes bis zu seinem Abriss war merklich verkürzt, qualitativ hochwertige Baustoffe landeten zuhauf auf Deponien. Vor ihrem Weggang noch aktive Werkhöfe und Materiallager dagegen hatten dicht gemacht. Buser endet in einem manifestartigen Halbseiter „wir müssen jetzt“, worin sie zusammenfasst, was zirkulä-res Bauen zu einem zentralen Ansatz unserer Zeit macht.
Existierende Gebäude als Rohstofflager für neue Projekte zu begreifen ist die eine Sache. Die Theorie gewinnt vor allem deshalb an Überzeugungskraft, weil in der Publikation, ganz im Sinne eines Kompendiums, die praktische Umsetzung im Mittelpunkt steht. Das von baubüro in situ kürzlich realisierte Projekt K118 in Winterthur (Bauwelt 26.21) nimmt mit 100 der knapp 350 Seiten eine zentrale Stellung ein. Hier werden alle Schritte des Bauprozesses nachvollziehbar. Am Anfang stand nicht der Entwurf, sondern die „Bauteiljagd“, die auch die meiste Zeit in Anspruch nahm. Der Tenor ist klar: Um zirkuläres Bauen in der breiteren Baupraxis zu verankern, bedarf es einer weitreichenden Infrastruktur. Das betrifft zum Einen digitale Austausch-Plattformen, auf denen Bauteile von Abriss-Immobilien schon vor deren Demolierung angeboten werden. Zum Anderen sind reale Zwischenlager notwendig.
Darüber hinaus liefern Essays und Interviews Einblicke in die vielfältigen Herausforderungen. Sie drehen sich um Themen der Logistik und Organisation, der Finanzierung, der Implementierung in der Architekturlehre, oder legislative Fragen im Bauprodukte- und Abfallrecht, bei Bewilligungsverfahren und bezüglich der Haftung. Zu Wort kommen auch Kolleginnen und Kollegen mit ähnlichen Ansätzen, wie das belgische Kollektiv Rotor.
Gespickt sind die Texte mit kürzeren Projektportraits, in denen überwiegend zeitgenössische Beispiele, hauptsächlich aus der Schweiz, nähergebracht werden: Da ist ein ursprünglich von Gigon/Guyer gebauter Pavillon, der von Flury + Furrer Architekten auf das Dach eines Kesselhauses im St. Galler Sittertal transloziert wurde. Aber auch die Architekturschule in Nantes von Lacaton & Vassal oder das Haus R128 in Stuttgart von Werner Sobek, und historische Vorbilder wie Joseph Paxtons Chrystal Palace zur Weltausstellung 1851 in London bekommen Raum. Die Projekte zeigen die Bandbreite des zirkulären Bauens, worunter die Autorinnen und Autoren eben auch die sortenreine Verwendung von Materialien für eine spätere Demontage, den Einsatz nachwachsende Baustoffe und die Vermeidung von grauer Energie verstehen.
Bei all dem geht es darum, die grundsätzliche Handlungsweise salonfähig zu machen. Dabei hilft nicht zuletzt die schicke Aufmachung des Buchs, das mit Hochglanzfotos, informativen Axonometrien und Grafiken sowie einer kleinen Datenbank der im K118 verwendeten Bauteile aufwartet. Letztere umfasst Bauelemente wie Säulenheizkörper, Feinkeramikbecken, Aluminiumtrapezbleche, EPS Dämmplatten – quasi als Ready Mades auf Sockeln platziert vor wei-ßem Hintergrund. Trotz Patina und manchen Gebrauchsspuren versprühen die Objekte in dieser Aufmachung den Reiz des Begehrenswerten. Hängt nicht alles mit Sehgewohnheiten und ästhetischen Konventionen zusammen?
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