Der Eingang der Moderne
Extravaganz und Understatement im europäischen Villenbau der 1920er und 30er Jahre
Text: Gössel, Victoria
Der Eingang der Moderne
Extravaganz und Understatement im europäischen Villenbau der 1920er und 30er Jahre
Text: Gössel, Victoria
Es gibt miserable Bücher. Und dann gibt es noch dieses Buch von Viviane Taubert. Es ist aus einer kunstgeschichtlichen Dissertation hervorgegangen, die 2017 von der Universität Köln angenommen wurde. Zum Schutz der Autorin wäre es sicher besser gewesen, man hätte es bei einem Dissertationsdruck belasse. An dem Buch stimmt jedenfalls so gut wie gar nichts.
Der Titel „Der Eingang der Moderne“ führt schon in die Irre, denn es geht in dem Buch nicht um den Eingang an sich, sondern in erster Linie um zehn einzelne Eingänge. Diese stammen auch nicht allgemein aus der Epoche der Moderne, sondern ausschließlich aus der funktionalistischen Moderne. Häuser mit geneigtem Dach – die es in der Epoche der modernen Architektur bekanntlich durchaus gegeben hat, so-gar in weitaus überwiegender Zahl – werden grundsätzlich nicht in Betracht gezogen. Der Untertitel „Extravaganz und Understatement im Europäischen Villenbau der 1920er und 1930 Jahre“ ist ebenfalls irreführend, denn es geht in dem Buch nur um Objekte aus West- und Mitteleuropa. Und wer eine Auseinandersetzung mit den Begriffen „Extravaganz“ und „Understatement“ erwartet, darf sich ebenfalls enttäuscht fühlen.
Selbst die Aufmachung des Buches hat etwas Mediokres. Außen tritt es als Hardcover in Hochglanz auf, innen zeigen sich die Abbildungen in grenzwertiger Reproduktionsqualität. Letzteres mag dem Budget geschuldet sein. Völlig unnötig ist jedenfalls das gekünstelte Layout, das ein Drittel jeder Seite weiß lässt und dafür Schriftgröße und Zeilenabstand so weit schrumpfen lässt, dass nicht mit Adleraugen ausgestattete Personen zur Lesebrille greifen müssen.
In der Einführung finden sich zahlreiche Verweise auf gerade in Mode befindliche Philo-soph:inn:en: Hannah Arendt, Peter Sloterdijk, Bruno Latour und natürlich den unvermeidlichen Henri Lefebvre. Eine Philosophie oder Theorie des Eingangs ist das aber nicht einmal im Ansatz. Duktus und Begrifflichkeit dienen hier vor allem der Distinktion und dazu, intellektuelle Tiefe vorzugaukeln. An handwerklicher Solidität fehlt es dagegen. Eine ordentliche Definition des Begriffs Eingang sucht man vergebens, ebenso wie eine Skizze zur Geschichte des Eingangs. Was man in der Einleitung aber vor allem vermisst, ist ein Ausblick auf irgendwelche Forschungsergebnisse. Wie im Weiteren festzustellen sein wird, gibt es dafür allerdings einen handfesten Grund.
Zur zeitlichen und stilistischen Eingrenzung der näher untersuchten Objekte die Autorin: „Die Arbeit beschränkt sich auf Gebäude der mitteleuropäischen Moderne, da hier ein kreatives Netzwerk nachvollziehbar ist.“ In anderen Epochen, Stilrichtungen und Regionen waren die Architekten also engstirnige Eigenbrötler? In die Auswahl kamen die größten Hits der Villenarchitektur der funktionalistischen Stilrichtung aus den genannten beiden Dekaden, in deren Glanz sich die Arbeit offensichtlich sonnen will: Maison La Roche und Villa Savoye (Paris) von Le Corbusier, Haus Lange und Esters als Doppelobjekt (Krefeld) sowie Haus Tugendhat (Brno) von Ludwig Mies van der Rohe, ferner die Villa Müller (Prag) von Adolf Loos. Die anderen fünf sind eher von der epigonalen Art, und es stellt sich die Frage, warum diese und nicht irgendwelche anderen? Oder weniger Objekte, oder mehr? Oder welche aus Süd- und Osteuropa? Methodenwissen zur (hier vorliegenden) empirischen Forschung offensichtlich gleich Null.
Zur Vorgehensweise noch einmal die Autorin: „Durch die Begehung der Kernobjekte konnte eine reproduzierende, das heißt phänomenologische, physische und intellektuelle Auseinandersetzung mit den Eingängen erfolgen.“ Die Beschreibung der ausgewählten Eingänge wirkt allerdings so, als wäre sie aus der Ferne anhand von Fotos erfolgt – jedenfalls bar jeden tieferen räumlichen Verständnisses. Diese Ausführungen sind meilenweit entfernt von der überwältigenden sinnlichen Erfahrung, die einige der behandelten Eingänge bereithalten. Ein Unterschied wie die Lektüre der Ausführungen des Papstes zur christlichen Ehe im Vergleich zu praktiziertem göttlichem Sex.
Das Hauptkapitel behauptet, eine „Phänomenologische Analyse“ zu sein. In ihm wird der Stoff im Prinzip nur nach bestimmten Begriffen neu geordnet. Wie z.B. im Kapitel „Material“ und als Unterkapitel „Glas“, „Stein“, „Stahl“, „Holz“ usw., wobei diese Themen dann wieder anhand der einzelnen Objekte nacheinander in aller Langatmigkeit durchdekliniert werden. Das einzige halbwegs interessante und originelle Kapitel ist das über die Rolle des Wassers in den Eingängen. Während die nähere Untersuchung des jeweiligen Gegenstandes auf Grund der stiefmütter-lich behandelten Beziehungen der Themen untereinander und Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Stichpunkten weitgehend an der Oberfläche bleibt, bildet das völlige Fehlen einer nennenswerten Auswertung und Synthese das größte Defizit der vorliegenden Arbeit. Der Neuigkeitswert, ein zentrales Kriterium bei wissenschaftlichen Untersuchungen, hält sich deshalb in ganz engen Grenzen.
Schließlich möchte man meinen, dass wenigstens der wissenschaftliche Apparat in Ordnung wäre. Ein Blick in die Literaturangaben zeigt, dassdem nicht so ist. Offensichtlich sind dort nämlich Veröffentlichungen in Sammelbänden generell falsch nachgewiesen. So etwas darf einfach nicht passieren.
Alles in allem ein Musterbeispiel für die interdisziplinäre Besoffenheit der letzten Dekaden, dahingehend, dass ein Fach auf den Gegenstand einer Nachbardisziplin übergreift, ohne über deren ausgefeilte Methodik zu verfügen. Das heißt, dass hier begriffliches Denken auf Objekte trifft, die in erster Linie ein räumliches Denken erfordernwürden. Zusammen genommen ein albernes und für Architekten auf jeden Fall überflüssiges Buch.
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