Bauwelt

Der Traum von einer schönen Stadt

Leipziger Stadtplanung und Architektur im Kaiserreich

Text: Bartetzky, Arnold, Leipzig

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Der Traum von einer schönen Stadt

Leipziger Stadtplanung und Architektur im Kaiserreich

Text: Bartetzky, Arnold, Leipzig

Auf dieses Buch haben wir lange gewartet. Denn Leipzig ist wie kaum eine andere Stadt Deutschlands von der Architektur aus der Zeit des wilhelminischen Kaiserreichs geprägt. Das liegt an dem durch extremes Bevölkerungswachstum und den Erfolg der Leipziger Messe ausgelösten Bauboom, den die Stadt in den Jahrzehnten um 1900 erlebte, aber auch an der vergleichsweise geringen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg. Die Bombardierungen verschonten weite Teile Leipzigs, und danach erwies sich die DDR-Mangelwirtschaft als guter Konservator, auch wenn ein Teil des historischen Baubestands der Tabula-rasa-Stadtplanung der sechziger Jahre und später dem unaufhaltsamen Verfall zum Opfer fiel.
Im Stadtzentrum sind in historistischer Pracht schwelgende Repräsentationsbauten wie das Neue Rathaus, das einstige Reichsgericht, etliche Messepaläste und Bankgebäude erhalten. Wer mit dem Zug anreist, den beeindruckt gleich bei Ankunft der 1915 eröffneten Hauptbahnhof, der zu den größten Europas gehört. Wenn das von topographischen Reizen wenig gesegnete Leipzig heute von seinen Bewohnern wie Besuchern fast unisono als schöne Stadt gerühmt wird, dann verdankt sich dies aber auch und besonders den weitläufigen gründerzeitlichen Wohngebieten und zunehmend auch den umgenutzten Industrieensembles, die nach überwiegend qualitätvollen Sanierungen das bröckelnde Grauschwarz des Sozialismus abgelegt haben.
Rund 10.000 Leipziger Bauten aus der Kaiserzeit stehen heute unter Denkmalschutz. Es ist erstaunlich, dass es bisher kein Überblickswerk zu diesem stadtbildprägenden Bestand gab. Dieses haben nun der Denkmalpfleger Wolfgang Hocquél und der Kunsthistoriker Richard Hüttel vorgelegt. Ihr Buch bietet mehr als nur eine erwartbare Auswahl besonders prominenter Spitzenleistungen. Es rückt auch manchen bemerkenswerten und bisher wenig beachteten Bau ins Licht, wie zum Beispiel das malerische Rathaus im Stadtteil Schönefeld oder die im eng­lischen Landhausstil errichtete Villa Schulz-Schomburgk in Connewitz. Darüber hinaus enthält es lesenswerte Abschnitte zu verschiedenen Aspekten der Leipziger Stadtentwicklung: Es geht etwa um die Besonderheiten der Wohnverhältnisse, die wesentlich besser waren als in dem für seine Mietskasernen berüchtigten Ber­-lin; um die Internationale Baufachausstellung von 1913, von der heute außerhalb Leipzigs kaum jemand etwas weiß (obwohl sie als bis dahin weltweit größte Baumesse gilt); oder umd die Planungen für die Straße des 18. Oktober, ein vom künstlerischen Städtebau Camillo Sittes ins­piriertes Großprojekt des Stadtbauinspektors Hans Strobel, das wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs unrealisiert blieb.
Leider ist der Text des reich illustrierten Bandes allerdings streckenweise etwas fahrig. Vie­les wird angerissen, aber nicht ausgeführt, abrupt werden die Themen gewechselt. Immer wieder fehlt es an architekturhistorischer Präzision, was gelegentlich zu Widersprüchen führt, etwa wenn das Völkerschlachtdenkmal zu einem „baukünstlerischen Höhepunkt des Leipziger Historismus“ erklärt und zwei Seiten später der Kunsthistoriker Cornelius Gurlitt mit der zutreffenderen Einschätzung zitiert wird, dass das Monument die Stilnachahmung des Historismus weit hinter sich lasse. Zugleich wirken die lexikalischen Aufzählungen von Architekten und Bauten etwas ermüdend. Man wünschte sich mehr Konzentration, mehr roten Faden und eingehendere Analysen statt stereotype Formulierungen wie „vollendete Raumwirkung“, „würdige künstlerische Form“ oder „baukünstlerisches Ereignis von europäischem Rang“, die in ihrer Überemphase etwas antiquiert klingen.
Und doch öffnet dieses schön gestaltete Buch immer wieder die Augen für die Leistungen und die Vielfalt der für Leipzig prägenden Bauepoche, die noch vor wenigen Jahrzehnten von Ideologen des Modernismus als Verfallszeit gebrandmarkt wurde. Dass sie noch immer unterbewertet ist, zeigt allein schon die Tatsache, dass kaum einer der in Leipzig tätigen Architekten des Historismus, die damals die wichtigsten Aufträge in einer der größten Städte Deutschlands erhielten, heute über das Mikromilieu der Lokalforschung hinaus bekannt ist.
Fakten
Autor / Herausgeber Wolfgang Hocquél und Richard Hüttel
Verlag Faber & Faber, Leipzig, 2020
Zum Verlag
aus Bauwelt 6.2022
Artikel als pdf

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