Inside North Korea
Wainwright kommt über die bekannte These vom „Kuriositätenkabinett Nordkorea“ kaum hinaus.
Text: Fischer, Silke
Inside North Korea
Wainwright kommt über die bekannte These vom „Kuriositätenkabinett Nordkorea“ kaum hinaus.
Text: Fischer, Silke
Wer von einer Reise nach Nordkorea zurückkommt, der hat im Regelfall zweierlei im Gepäck: einen ganzen Haufen Bildmaterial und die nagende Frage, was damit denn nun anzustellen sei. Insbesondere Architekten schleppen schwer bei der Heimreise, denn Nordkorea ist mangels fachspezifischer Publikationen im Grunde ein Arbeitsauftrag. Das hat sich auch Oliver Wainwright gedacht und sich als Autor und Fotograf in Personalunion entschieden, die Beute seiner einwöchigen Nordkorea-Reise auf Hochglanz auszudrucken. Das Ergebnis ist ein Bildband mit einem einleitenden Essay und beschreibenden Bildunterschriften jeweils in drei Sprachen.
Wainwright ist Architekt, arbeitet jedoch als Journalist und Architekturkritiker (u.a. für den Guardian), keine schlechten Voraussetzungen also für eine Arbeit über Nordkorea, die den immer gleichen Touristenbildern aus dem Internet etwas Reiferes entgegenhalten kann. Das wäre zumindest die Erwartung. Aber ach: Das Buch enttäuscht, zumindest bereits nach Nordkorea gereiste Architekten. Das dürften jedoch nicht all-zu viele sein, was man sicher auch im Taschen-Verlag weiß und die Publikation eher niedrigschwellig hält, wohl um einen breiteren Markt zu bedienen, was auch den unglücklichen Titel „Inside North Korea“ erklären dürfte. Bereits 2017 hat die ARD gezeigt, dass die Hoffnung auf Quote steigt, wenn „Inside“ oder „Nordkorea“, am besten jedoch beides draufsteht und kurzerhand den Titel des Films „Im Strahl der Sonne“ auf „Inside Nordkorea“ geändert.
Von dem titelverschuldeten Generalverdacht „marktorientiert“ kann sich das Buch aber auch inhaltlich leider nicht emanzipieren. Wainwright kommt über die bekannte These vom „Kuriositätenkabinett Nordkorea“ kaum hinaus. In dem einleitenden Essay, der durchaus interessante und wenig bekannte Aspekte anspricht, tummeln sich die nordkorea-eigenen Superlative: faszinierend, theatralisch, einzigartig, gigantisch, blitzblank, surreal, Science-Fiction. Die Hauptstadt Pjöngjang – und mehr Nordkorea ist in diesem Buch nicht zu finden – ist ihm laut Text mehr ei-ne Abfolge von Bühnenbildern, atmosphärisch irgendwo zwischen Thomas Demand und Wes Anderson, die mehr an eine realsozialistische Oper erinnern denn an eine reguläre Stadt mit allem Drum und Dran. Die Bildsprache folgt dem entsprechend: viel Zentralperspektive und Symmetrie, betonte Leere.
Die Auswahl der gezeigten Gebäude und Orte selbst entspricht dem üblichen Touristenprogramm (Nordkorea-Reisen sind geführte Touren zu von oberster Stelle freigegebenen Orten): Monumente und Metro, Studienpalast, Schülerpalast, Zirkus, Theater, Hotellobbies und Sportstätten, plus was einem auf dem Weg begegnet wie zum Beispiel die Großwohnbauten der 80er Jahre. Es ist auch die Stadt des vergangenen Jahrhunderts, nur eben jetzt mit etwas mehr Farbe. Die aktuellen Entwicklungen spart Wainwright mit wenigen Ausnahmen bei den eigenen Bildern überraschenderweise aus, obwohl er sich textlich ausführlich darauf einlässt und kleinere Abbildungen aus anderen Quellen einfügt. Dabei wäre gerade in dem Nebeneinander etwas zu holen gewesen, nämlich andere, vielleicht sogar neue Fragen. Das Bild würde jedenfalls komplexer werden. Leicht wäre diese Aufgabe freilich nicht, und ich wage zu behaupten, dass eine einwöchige Reise dafür auch nicht ausreicht. Schlussendlich ist auch Wainwright in Nordkorea nur ein Tourist und sieht vor allem, was er sehen soll. Aber das Sehen selbst ist ja nicht nur in Nordkorea ein Problem, sondern sowieso ein Dilemma, das wusste schon Goethe, wenn er sagt, „man sieht nur, was man weiß“. Oder vielleicht sehen will.
So weit, so schade. Nichts Neues unter der Sonne außer, dass Nordkorea nunmehr offensichtlich im coffee table book-Format angekommen ist: jenes Wohn-Accessoire mit eher geringem Gebrauchswert, das jedoch vom Geschmack und von der Weltgewandtheit des Besitzers zeugen soll. Legt man den Band möglichst beiläufig aber gekonnt eben auf den – sofern man hat – coffee table, vielleicht auf einen Stapel mit „Inside Cuba“ (ebenfalls aus dem Taschen-Verlag) gibt man bekannt, weder Berührungsängste noch Vorurteile zu haben. Nordkorea hat den Tabu-Status verlassen. Das ist vielleicht sogar ein „immerhin“ wert.
0 Kommentare