Jean Nouvel by Jean Nouvel
1981–2022
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
Jean Nouvel by Jean Nouvel
1981–2022
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
Große Architekten lieben Größe. Taschen bietet diese Größe. Das Buch hat die Abmessungen 29 x 37 cm und wiegt mit seinen 784 Seiten 5,72 kg. Braucht es aber diese Größe, um der Größe des Architekten gerecht zu werden? Jean Nouvel ist auch in den Emiraten, in Fernost und den USA präsent. Sicherlich ist diese Werkschau in den Abmessungen eines großen, dicken Aktenkoffers dort passend, denn es sorgt als Supplement für Eindruck, wenn der Architekt freundlich-charmant und manchmal auch etwas verschmitzt seinen Auftritt hat.
Nouvels großes Taschen-Buch wird als aktualisierte Ausgabe präsentiert. Der Verleger produzierte bereits 2008 das erste große Buch, allerdings in zwei Bänden, die angeblich zusammen sogar über 8 kg auf die Waage bringen. Jetzt sind 25 Projekte hinzugekommen, aber das große Gesamtwerk reicht nicht mehr von 1970 bis 2007, sondern von 1981 bis 2022. Möchte man sich über die Bauten des wohl bekanntesten lebenden Architekten Frankreichs intensiv informieren, bietet das Buch umfassend Auskunft. Dazu gehören die großen Meisterwerke Institut du Monde Arabe in Paris (Bauwelt 1–2.1988), das Kultur- und Kongresszentrum in Luzern (Bauwelt 37.1998), die Fondation Cartier, ebenfalls in Paris (Bauwelt 26.1994), und zuletzt der Grand Louvre in Abu Dhabi, wo mehr als 30 Jahre nach dem Institut du Monde Arabe erneut Nouvels Kenntnis-se der arabischen Kultur unverkennbar in seine Entwurfsidee eingeflossen sind (Bauwelt 2.2018).
Hinzugekommen ist auch so Unterschiedliches wie das Projekt des in die rötlichen Sandsteinfelsen der Oase Al-Ula eingefügte Sharaan Desert Resort mit Kongresszentrum nordwestlich von Medina und die scheinbar auf schlechtem Untergrund errichteten und daher in ihrer Gestalt unstabil wirkenden Duo Towers am Boulevard Périphérique im Pariser Südosten. Die gewohnte Klarheit und Brillanz der Architektur des inzwischen 78-jährigen Pritzker-Preisträgers mit dem schwarzen Hut ist hier nicht erkennbar.
Das Bilderbuch ist klassisch aufgebaut mit der Abfolge der Bauten und Projekte, die allerdings nur in einer winzig kleinen Zeile ganz unten am Rand genannt werden. Der Fokus liegt auf den Fotos, von unterschiedlichen Fotografen im Laufe der Jahre aufgenommen. Trotz der Größe des Buchs sind die nur teilweise und ohne Sorgfalt hinzugestellten Grundrisse, Schnitte und Visualisierungen sehr klein ausgefallen und mit den Erläuterungstexten separat als Anhang ganz hinten zu finden. Die Fotos dagegen sind groß, doppelseitig sogar riesig. Aber diese Größe braucht es nicht, um von Nouvels Werk einen Eindruck zu gewinnen. Weit unverständlicher bleibt, dass ganze Serien der Fotos schummerig-diffus sind. Sie sollen wohl atmosphärisch wirken, vielleicht bestimmte Besonderheiten hervorheben, geben aber nur sehr begrenzt die eigentliche Qualität der Bauten wieder.
Das Buch beginnt mit zwei wichtigen Texten: Die Würdigung durch Philip Jodidio, detailliert und fundiert von Bau zu Bau seit den frühen Anfängen und einer Charakterisierung der Stimmungen des schon immer eigene Wege mit deutlicher Positionierung gehenden Architekten in den verschiedenen Phasen seines Berufslebens. Beim zweiten Text handelt es sich um Jean Nouvels bekanntes Manifest von Louisiana von 2005, seine kritische Sicht auf die Architektur in Leitsätzen, das in deutscher Sprache erstmals in der Bauwelt erschienen ist (Bauwelt 28–29.2006). Dort ist schon damals zu lesen: „Ein Architekt weiß erst, dass er an seine Grenzen gekommen ist, wenn er Entwerfen als Modifizieren ansieht, wenn er nicht mehr auf Bestätigung aus ist, wenn er sich auf Anspielungen einlässt, wenn er Errichten als Einfügen interpretiert und statt von Bauen von Einordnen redet, wenn es ihm nicht um Positionierung, sondern um Überlagerung geht, wenn er statt an Eindeutigkeit an Störung interessiert ist, wenn er an die Stelle purer Addition gewisse Umwege setzt und statt einer sauberen Kalligra-fie für mehrfach Überzeichnetes zu haben ist.“
„Jean Nouvel by Jean Nouvel“ ist kein Coffee Table Book, aber ein Table Book, denn ohne den Tisch, auf dem es liegt, ist die Lektüre nicht zu bewerkstelligen. Der Verlag teilt mit, dass die Monografie auch als Art Edition erhältlich ist, signiert und limitiert auf 200 Exemplare, mit dem Kunstdruck einer Skizze des Opernhauses von Shenzhen und einem maßgefertigten Edelstahlschuber. Damit sind Größe und Gewicht in einer eigenen Klasse endgültig erreicht.
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