Bauwelt

Licht, Luft und eine neue Pädagogik

Die Kieler Pavillonschulen und der Schulbau der 20er bis 50er Jahre

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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Licht, Luft und eine neue Pädagogik

Die Kieler Pavillonschulen und der Schulbau der 20er bis 50er Jahre

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

Mit über 20 sogenannten Pavillonschulen, gebaut zwischen 1948 und 1964, weist die schleswig-holsteinische Landeshauptstadt Kiel einen international einzigartigen, in Teilen denkmalgeschützten, gleichwohl gefährdeten Baubestand auf. Die charakteristische Baustruktur besteht aus kammartig addierten, eingeschossigen Zeilen, erschlossen durch lediglich gedeckte oder einseitig verglaste Laufgänge. Die Zeilen fassen jeweils eine Handvoll quadratischer, variabel nutzbarer Stammklassen für den mehrjährigen Verbleib der Schülerinnen und Schüler zu einer Gemeinschaft zusammen. Zwei- oder mehrseitig belichtet und zu durchlüften, sind den Unterrichtsräumen Freiluftklassen, kleine Höfe oder Be­reiche aktiver Gartenarbeit als situative wie pädagogische Ergänzungsangebote zugeordnet. Die körperlich-geistige Entwicklung des Kindes stand im Mittelpunkt der Planung, die Architektur wurde ihr funktionaler wie ideeller Ausdrucksträger.
Im Mai 2021 galt diesem Baubestand ein dreitägiges Online-Symposion des Kunsthistorischen Instituts der Christian-Albrechts-Universität in Kiel, unterstützt vom Landesverband des BDA. Institutsdirektor Klaus Gereon Beuckers lud zum internationalen Austausch über diesen Bautyp sowie Schulbautheorien der 1920er bis 1950er Jahre (Bauwelt 16.2021). Der im Nachgang erschienene Aufsatzband liefert auf über 550 Seiten mit insgesamt 22 Beiträgen eine substanzielle Erweiterung des Forschungsfeldes. Erfreulich ist, dass sich der akademische Nachwuchs rege beteiligte: Drei (stark gekürzte) Masterarbeiten der Kunstgeschichte und Kunstpädagogik fanden Einzug in den Band.
Die Textsammlung gliedert sich in drei Schwerpunkte. Zum Ersten: die Entstehung des Typus Pavillon- und Freiluftschule aufgrund reformpädagogischer Ansätze in den 1920er Jahren. Er war eine Antwort auf hygienische und gesundheitliche Missstände des 19. Jahrhunderts. Diese theoretische Grundlagenarbeit wie auch prototypische Bauten, etwa in der Schweiz, in Frankreich, aber auch im Rahmen des „Neuen Frankfurt“ der Zwischenkriegsjahre, in denen Alternativen zum mehrgeschossigen, zweibündigen „Kasernentyp“ erprobt wurden, bildeten nach 1945 in Kiel die theoretische wie gebäudekundliche Basis. Aber es bedurfte, gefördert durch die britische Besatzungsmacht, des glücklichen Zusammenspiels von lokaler Politik – hier war es der Oberbürgermeister –, der Verwaltung, vertreten durch Schulrätin Toni Jensen, und des Kieler Hochbauamtsarchitekten – von 1951 bis zur Pensionierung 1962 Magistratsbaudirektors – Rudolf Schroeder (1897–1965), um das ambitionierte Schulbauprogramm Gestalt werden zu lassen. Diesem Triumvirat gelten Einzelbeiträge. Ein Katalog stellt zudem alle unter Schroeders Ägide gebauten Schulen in Kiel vor, die Kriterien für ihre städtebauliche Positionierung im Wiederaufbau Kiels sowie das aktuelle Leitbild einer denkmalpflegerischen Bewertung.
Ein dritter Schwerpunkt gilt der Kontextualisierung der Schroeder-Schule innerhalb der Schulbauentwicklung und Schulpolitik von 1945 bis in die 1960er Jahre. So adaptierten etwas Genia und Kurt Mahron oder Günter Wilhelm in den 1950er Jahren den Pavillontypus für teils bewegte Topografien im Großraum Stuttgart. Die 1961 von Günter Behnisch und Bruno Lambart in Stuttgart realisierte Vogelsangschule bildete eine individuelle Auslegung, Hans Scharoun lieferte 1962 mit der Geschwister-Scholl-Schule in Lünen den Höhe- wie auch Endpunkt dieses Schultypus. Denn ab den 1960er Jahren regte sich Kritik: zu flächenintensiv, zu teuer, zu hoch der Unterhaltungsaufwand. Ökonomisch bestimmte Bauformen erhielten Priorität. Damit ebbte auch eine politisch getragene Schulbaudiskussion ab und mit ihr ein ernsthaftes Ringen um pädagogische Reformen und kontinuier­­-liche Neuprogrammierung des gesamten Unterrichtswesens. Der Band liefert somit nicht nur einen kaum zu überschätzenden historischen Rückblick auf eine „geistige Schule“ im Schulbau, er zeigt indirekt die Defizite des heutigen Schulwesens in seiner einseitigen Ausrichtung auf architektonische wie pädagogische Effizienz.
Fakten
Autor / Herausgeber Klaus Gereon Beuckers, Martina Ide, Jens-Oliver Kempf und Nils Meyer (Hrsg.)
Verlag Ludwig Verlag, Kiel 2022
Zum Verlag
aus Bauwelt 14.2024
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