Marke Bauhaus 1919–2019
Der Sieg der ikonischen Form über den Gebrauch
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Marke Bauhaus 1919–2019
Der Sieg der ikonischen Form über den Gebrauch
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Das Buch will aufräumen – aufräumen mit einem konstruierten und kanonisierten Mythos Bauhaus, der in krassem Widerspruch steht zu dem, was die Institution in den 14 Jahren ihres Bestehen erreicht hatte. Schon der Einband will die mangelnde Historizität und Wirklichkeitstreue in der Causa Bauhaus ästhetisch rüberbringen: labberig wie ein Telefonbuch, bedruckt mit strahlendblauen Reklamelogos der Wortmarke Bauhaus aus diversen historischen wie aktuellen Verwertungszusammenhängen.
Autor Philipp Oswalt verfügt über ein grandioses Wissen zum Thema. Er war von 2009 bis 2014 streitbarer Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau, davor wie danach intensiv forschend und publizierend mit der Materie befasst. Zudem kann er vorzüglich schreiben, seine Thesen auf den Punkt bringen, so dass die Lektüre in einem Zuge genossen werden will. Umfangreiches Bildmaterial, auch aus aktuellen und trivialen Kontexten, verstärkt die Kurzweil.
Wenn man selber ein wenig in die Geschichte des Bauhauses eingestiegen ist, mag man Oswalt in weiten Teilen zustimmen. Da wäre, wie der Mythos Bauhaus bereits mit der Berufung von Walter Gropius zum 1. April 1919 als neuem Direktor der Kunsthochschule in Weimar beginnt. Gropius übernimmt Professoren, Studenten, Werkstattleiter und materielle Ressourcen der Vorgängerinstitution, aber auch der 1915 geschlossenen Kunstgewerbeschule van de Veldes. Das erscheint wie eine simple Amtsnachfolge, Gropius jedoch möchte die Hochschule als Neugründung inszenieren. Er nutzt die politische Gunst der „Provisorisch-Republikanischen Regierung“ Thüringens: Ein programmatischer Name und ein Manifest werden genehmigt, ein Signet entworfen. In Vielem greift Gropius auf Bewährtes zurück: auf Ideen Bruno Tauts, Otto Bartnings und des Arbeitsrats für Kunst in seinem Programm, später auf pädagogisch erfahrene Lehrkräfte und ihren Import erprobter Konzepte, etwa der Bildanalyse oder der Kompositions-und Farbenlehre Adolf Hölzels aus der Zeit um 1900 durch Johannes Itten, Oskar Schlemmer, Ludwig Hirschfeld-Mack. Gropius jedoch gelingt es, alles als neuartig und sein geistiges Verdienst zu stilisieren, so Oswalt.
Die sich etablierende Marke Bauhaus muss sich beweisen: Unter Druck politisch konservativer Kräfte beschließen Gropius und der Meisterrat für den Sommer 1923 eine Leistungsschau, die viele Register modernen Marketings zieht. Dazu gehört auch ein „Reklamebau“, ein Gebäudetypus, den Gropius durch seine fiktive Maschinenbaufabrik auf der Werkbundausstellung 1914 kennt, nun in Gestalt des Musterwohnhauses Am Horn mit kompletter Ausstattung. Diese aber besteht, entgegen der proklamierten Neuausrichtung des Bauhauses unter der Maxime „Kunst und Technik – eine neue Einheit“, aus exquisitem Kunsthandwerk. Den Widerspruch, trotz entsprechender Verlautbarungen kaum Gebrauchsgüter für die preiswerte, industrielle Produktion geschaffen zu haben, legt Oswalt ausführlich in einem Kapitel zur Wagenfeldleuchte aus. Sie war weder lichttechnisch innovativ, noch fand sie lan-ge Zeit einen Weg aus der handwerklichen Fertigung in einer vorsintflutlichen Werkstatt in Weimar – und wurde gleichwohl (oder durch diesen Umstand) zur Designikone.
Dem Bauhaus, respektive seinem Produktionsbetrieb als GmbH, war wenig wirtschaftlicher Erfolg beschieden. Aber, möchte man zur Ehrenrettung einwerfen: das Bauhaus war eine Bildungseinrichtung, notorisch unterfinanziert, musste „Drittmittel“ für seinen Betrieb akquirieren, es war kein kommerzielles Designatelier. Die Weimarer Republik erschütterten zudem mehrere Inflationen, ab 1929 dann die Weltwirtschaftskri-se, ökonomisch kaum zuträgliche Bedingungen. Zugegebenermaßen lieferte das Bauhaus auch keine massentauglichen Beiträge zum Wohnbau, dem Schlüsselthema sozialer Daseinsfürsorge ab etwa 1923, Dessau-Törten geriet gar zum bautechnischen wie finanziellen Debakel. Aber hier gilt ebenfalls, zu unterscheiden: Das Bauhaus war keine Institution operativer Baupraxis wie entsprechende Ämter in Frankfurt, Berlin, Hamburg-Altona oder auch Magdeburg.
Verantwortlich für die Markenstilisierung Bauhaus ist natürlich Walter Gropius, der auch nach seinem Ausscheiden 1928 die Deutungshoheit über Einrichtung und Marke bis zu seinem Tode 1969 in den Händen behalten wird. Er steuert die weltweite Rezeption, etwa 1930 in einer Ausstellung des Werkbundes in Paris, die vom Bauhaus bereits in der Vergangenheitsform erzählt. Auch die berühmt berüchtigte MoMA-Ausstellung verkürzt 1938 das Bauhaus auf die Gropius-Jahre. Zwar wird Hannes Meyer als Leiter der 1927 eingerichteten Architekturabteilung und als Nachfolger im Direktorat vorgestellt, Gropius scheut aber nicht davor zurück, Daten zu fälschen und die Entstehung wichtiger Referenzen der Meyer-Ära in seine Amtszeit vorzuverlegen, wie Oswalt nachweist. Die erste Bauhaus-Monografie von Gropius‘ Gnaden durch Hans Maria Wingler widmet 1962 dem Verdienst des ersten Direktors dann vier Mal so viel Umfang wie seinen beiden Nachfolgern zusammen. Die Bauhaus-Ausstellung 1968 in Stuttgart trägt am folgenreichsten zur Kanonisierung des Bauhauses bei, so Oswalt, über eine Million Menschen sehen die anschließende weltweite Wanderschau mit neun Stationen auf fünf Kontinenten, nur Afrika blieb ausgespart. Das Bauhaus wird zum kulturellen Exportartikel der Bundesrepublik und zum Hort ewigzeitlicher Moderne. Aber auch die museal-wissenschaftlichen Stätten, das Bauhaus-Archiv in Berlin und die Stiftungen in Weimar und Dessau, sind vorrangig an merkantiler wie, aktuell, touristischer Ausbeute des Erbes interessiert.
Eine versöhnliche Perspektive eröffnet Oswalt zum Schluss. Er würdigt die gemeinschaftlich gelebte pädagogische wie gestalterische Praxis des Bauhauses, sieht seine Stärke darin, widerstrebende Konzepte in produktiven Austausch gebracht zu haben. Nachdem aber die „Gestaltung“ mittlerweile alle Lebensbereiche durchdrungen hat, läge in ihrer Abwesenheit ein befreiendes Moment. Eine kritische Analyse wäre vonnöten, um uns unvoreingenommen den Herausforderungen der Gegenwart zu stellen.
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