Mies in Barcelona
Auseinandersetzung mit Mies van der Rohes Barcelona Pavillon
Text: Hotze, Benedikt, Berlin
Mies in Barcelona
Auseinandersetzung mit Mies van der Rohes Barcelona Pavillon
Text: Hotze, Benedikt, Berlin
Mies muss auf der Baustelle des Barcelona-Pavillons beliebt gewesen sein, stellte er den Arbeitern doch „großzügig Geld, Bier, Zigaretten und Essen zur Verfügung“ – allerdings nicht aus eigener Tasche, sondern auf Kosten seines Bauherrn. Mies hatte eben „sehr flexible Vorstellungen von Budgetgrenzen“, was wenige Monate vor Beginn der Weltausstellung in Barcelona um ein Haar dazu geführt hätte, den deutschen Beitrag abzusagen. Doch ohne den Barcelona-Pavillon wäre die internationale Entwicklung der modernen Architektur wohl anders verlaufen, denn das ikonische Gebäude wurde weltweit publiziert und kanonisiert wie kaum ein weiterer Bau der Klassischen Moderne.
Der schließlich doch in letzter Minute realisierte Pavillon hatte nur acht Monate Bestand und wurde von den meisten Besuchern der Weltausstellung gar nicht wahrgenommen, weil er an der falschen Stelle des Ausstellungsgeländes am Montjuïc stand. So waren es 13 – allerdings professionelle – Schwarzweiß-Aufnahmen von Sasha Stone, die den posthumen Ruhm des Pavillons begründet haben. Bezeichnenderwei-se wurden die Fotos nicht von dem organisatorisch überforderten Mies in Auftrag gegeben, sondern sie waren eine Art Abfallprodukt eines Dokumentations-Auftrags der Textil-Industrie.
Dass es den Pavillon überhaupt gegeben hat, ist dem konservativen und industrienahen deutschen Ausstellungskommissar Georg von Schnitzler und seiner kunstsinnigen Frau Lilly zu verdanken. Schnitzler hat Mies und seine Partnerin Lilly Reich – zum Teil mit eigenem Geld vorfinanziert – beauftragt und die Baustelle schließlich eigenmächtig gegen den Willen der Reichsregierung in Gang gesetzt, denn die sozialdemokratisch geführte Regierung hatte politisch kein Interesse an dem als „aristokratisch und elitär“ wahrgenommenen Projekt. Dass der Pavillon von der deutschen Regierung als Symbolbau der jungen Demokratie beabsichtigt gewesen sei, kann nach der Lektüre des vorliegenden Bandes jedenfalls klar ausgeschlossen werden.
Warum hat Dietrich Neumann (mit David Caralt) überhaupt diese Monographie dem bereits bestehenden prallen Bücherschrank zum Barcelona-Pavillon hinzugefügt? Die Autoren begründen es mit neuen Forschungsergebnissen aus Archiven in den USA, Spanien und Deutschland, die die Entstehung des Gebäudes detailreich beleuchten. Die daraus geschöpfte Darstellung ist gelungen, liest sich spannend und stellenweise sogar amüsant. Ob die bemerkenswerten Anekdoten und Geschichten nun alle aus den genannten Archivfunden stammen, kann der Rezensent nicht nachprüfen – es wäre auch egal. Plastisch sind sie jedenfalls: Um das finanzielle Desaster wenigstens etwas auszugleichen, wurden nach dem Abbau des Pavillons übriggebliebene Gegenstände wie Barcelona-Chairs verkauft – oder es zumindest versucht, denn manches verschwand auch ungeklärt. Kommissar von Schnitzler saß jedenfalls am Ende auf deutschen Musterstücken wie überdimensionierten Steiff-Plüschtieren.
Auch der 1986 abgeschlossene rekonstruierende Wiederaufbau des Pavillons und dessen kontroverse Rezeption werden anschaulich beleuchtet, dabei wird die Frage nach Authentizität umfassend diskutiert: Rem Koolhaas sprach von „Disneyland“, Alison und Peter Smithson warnten vor einer „Touristenattraktion“. Vertieft ist das in einem separaten, sehr lesenswerten Materialband mit 100 Texten von Architekten; Kritikern und Wissenschaftlerinnen seit 1929. Max Bächer hatte in Bauwelt 19.1989 ein kluges Bonmot zum wiederaufgebauten Barcelona-Pavillon im Vergleich zur Dauerbaustelle der Sagrada Família veröffentlicht: „Das eine ist zwar authentisch, aber kein Original, das andere ein Original, aber nicht authentisch“. Bächers Aufsatz wird im Vorwort des Textbandes zwar erwähnt, aber darin nicht abgedruckt.
Zum Barcelona-Pavillon gibt es also weiterhin viel mehr zu sagen als das, was zwischen diese zwei mal zwei Buchdeckel passt. Aber als Grundlage und Referenz zum Barcelona-Pavillon in deutscher Sprache sind die beiden Bände höchst verdienstvoll.
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