Napoli Super Modern
Im vorliegenden Band nimmt das Architekturbüro LAN die Stadt am Vesuv in den Blick und Bauprojekte, die sie zwischen 1930 und 1960 geprägt haben.
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Napoli Super Modern
Im vorliegenden Band nimmt das Architekturbüro LAN die Stadt am Vesuv in den Blick und Bauprojekte, die sie zwischen 1930 und 1960 geprägt haben.
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
In Bauwelt 22 ging es um Gebäude, die ihre Konzeption ganz wesentlich dem Bezug auf die Umgebung verdanken. Daran mangele es der Architektur der Moderne, so der Vorwurf, den manche Architekten seit 20, 25 Jahren gebetsmühlenartig vor sich her tragen. Für Deutschland ist diese Sichtweise verständlich, wenn man den Blickwinkel nur eng genug stellt. Gropius’ Bauhaus-Gebäude etwa könnte genauso auch am Stadtrand von Kassel oder Köln, von Aachen oder Augsburg stehen. Schon bei Mies’ Neuer Nationalgalerie aber wird man ins Grübeln kommen, und spätestens bei Erich Mendelsohns Universum-Areal am Lehniner Platz dürfte selbst dem retro-seligsten Kollegen aufgehen, dass „die“ Moderne durchaus urbane Qualitäten entfalten kann, so die Architekten es denn darauf abgesehen haben. In Italien war dies recht häufig der Fall, dort existierte bis in die 1960er Jahre eine urbane und kontextuell verankerte moderne Architektur. So auch in Neapel.
Im vorliegenden Band nimmt das Architekturbüro LAN mit seinen beiden Partnern Benoit Jallon und Umberto Napolitano die Stadt am Vesuv in den Blick und Bauprojekte, die sie zwischen 1930 und 1960 geprägt haben. Die Ausbeu-te ist reich: „There are very few examples of Neapolitan buildings that can be plucked out of their context and considered independently. In the great majority of cases, the context is not just a factor that impacts on the definition of the project concept, it is rather its decisive, essential and explicit starting point. Villa Savoye could never have been built in Naples“, konstatiert Napolitano im Vorwort. Für das Buch reaktivierten die beiden Herausgeber dasselbe Team, mit dem sie 2017 das „Paris Haussmann“-Projekt realisiert haben. Und entsprechend ähnlich klar wie das zur damaligen Ausstellung erschienene Buch tritt auch ihr neuer Band auf. Große Farbfotografien von Cyrille Weiner (auf weißem Papier gedruckt, wie die Essays in der vorderen Hälfte des Buches), übersichtliche, neu gezeichnete Plandokumentation der vorgestellten Bauten mitsamt Biographien ihrer Planer und Architektinnen (auf grauem Papier, in der zweiten Hälfte), genug Weiß- bzw. Grauraum, um Textfelder, Grafiken und Fotos ihre Wirkung entfalten zu lassen: „Napoli Super Modern“ ist ein ausgesprochen schönes Werk, das sich auf jedem Gabentisch gut macht – der hellblaue Leineneinband, dessen die Beschenkten zuerst ansich-tig werden, verspricht nicht zu viel.
Ich empfehle, mit der Lektüre des Projektteils zu beginnen, denn es ist hilfreich, die Gebäude vor Augen zu haben bei der Lektüre der Essays. Diese arbeiten nämlich mit so vielen Namen, Zitaten und Querverweisen, dass die gebauten Beispiele eher als Startrampe für die Assoziationsmaschinen der Autoren zu dienen scheinen, mit denen sie weit in die Vergangenheit und bis in die Gegenwart vorstoßen, dabei aber auch aus größter Flughöhe den eigentlichen Ort ihres Interesses nie aus den Augen verlieren. Wer das Buch mit deutschem Hintergrund liest, mag überrascht sein, wie viele Einflüsse aus dem Norden sich in Neapel nachweisen lassen, von Schinkel über Benjamin bis zu Mendelsohn und Bonatz, und sich wundern, dass kaum einer der damals in Neapel tätigen Architekten in Neapel geboren wurde: nicht Cesare Bazzani – der Architekt des Wasserbahnhofs (1933–36) stammt aus Rom – und auch nicht Giuseppe Vaccaro und Gino Franzi (die Planer des Hauptpostamts, ebenfalls 1933–36, kamen aus Bologna und aus Pallanza am Lago Maggiore); nicht Raffaello Salvatori (gebürtig aus Serravezza in der Toscana) und nicht Renato Avolio de Martino (der aus Mailand stammte). Doch auch mit Blick auf zwei einheimische Planer liefert der Band Anregung, ihr Oeuvre neu zu betrachten: Bislang unterbewer-tet seien die Bauten von Marcello Canino und von Stefania Filo Speziale, eine der wenigen Frauen, die um 1950 die Szene beherrschten. Kurz: Es gibt reichlich Neues zu entdecken und Bekanntes neu zu sehen bei dieser Lektüre. Eine unbedingte Empfehlung.
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