Bauwelt

Ordnung und Gestalt

Geschichte und Theorie des Städtebaus in Deutschland

Text: Hoffmann-Axthelm, Dieter, Berlin

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Ordnung und Gestalt

Geschichte und Theorie des Städtebaus in Deutschland

Text: Hoffmann-Axthelm, Dieter, Berlin

Bis zum hundertjäh­rigen Bestehen der DASL ist noch etwas Zeit: Gründungsdatum 30. Mai 1922. Bereits jetzt liegt aber der ers­te Band einer auf zwei Bände berechneten Geschichte des Vereins vor: die erste Hälfte. Indem er um drei Jahre über die Hälfte hinausschießt, deutet er schon die inhaltliche Parabel an: 1975, das europäische Denkmalschutzjahr, ist der Zeitpunkt, der sich inzwischen als Datum für den öffentlichen Abschied von den großen Versprechungen der Planungsmoderne eingebürgert hat. An die DASL hat man dabei bisher allerdings nie gedacht. Sie kommt ja auch im Buchtitel gar nicht vor – vielleicht ein leiser Hinweis auf die Fraglichkeit ihres Unternehmens, hatten die Autoren doch das Kunststück zu vollbringen, trotz weitgehender Überschneidungen nicht eine Geschichte des westdeutschen Städtebaus, sondern eine der DASL zu schreiben.
Ist diese aber, über den formalen Zusammenhang ihrer beitragszahlenden Mitglieder und ihr organisatorisches Gerüst hinaus, überhaupt ein fassbarer Untersuchungsgegenstand? Daran hatten Gutschow und Düwel offenbar ihre Zweifel, und wenn am Ende ein Gesamteindruck entsteht, dann der eines Vereins, der, weitgehend ehrenamtlich tätig, durch seine eigenen Ansprüche permanent überfordert war. Und nicht einmal in der Lage, seine Tätigkeit fortlaufend zu dokumentieren: So beklagen Düwel und Gutschow im Vorwort ausführlich eine desolate Material­lage (z.B. dass die Geschäftsstelle nicht einmal eine vollständige Sammlung aller Veröffentlichungen besitzt).
Wenn das vorliegende Werk trotzdem eine Fül­le von teils bisher unbekanntem Material beibringt, ist das allein der bewährten fachlichen Vertrautheit der Autoren mit dem Gesamtfeld deutscher Architektur in NS- und Nachkriegszeit geschuldet. Wo im Archiv der DASL nichts zu holen war, haben sie in Bibliotheken, Zeitschriften, Vorträgen, Aufsätzen und Büchern der Protagonisten oder im Archiv von Niels Gutschow ihr Material gesucht und gefunden. Die direkten Zitate sind so zahlreich und so schlagend, dass man sich, angefangen bei der Grundsatzerklärung von 1923, Mal um Mal bloß zu ihnen zu verhalten möchte: was aber nicht Aufgabe des Rezensenten sein kann, so wenig wie ein Referat der Richtungsänderungen oder Arbeitsweisen der Akademie von den elitären Anfängen über die Einbindung in die NS-Planungen zur Germanisierung Osteuropas bis zum Aufkeimen von Selbstkritik in den sechziger Jahren: Wer das wissen will, muss sich dem Faktenreichtum des Buches stellen, Gegenstand einer Rezension kann ja nur sein zu beurteilen, wie die Autoren mit dem sperrigen Gegenstand fertig geworden sind.
Dass sie damit souverän fertig geworden sind, ist die Nachricht, die hier zu überbringen ist. Es ist keine Festschrift für die Akademie geworden, sondern ein Seitenstück zu den historischen Untersuchungen, denen sich nach und nach nicht nur die Bundesministerien, sondern auch immer mehr kulturelle und sonstige Interessenorganisationen unterziehen, das Verhältnis zur NS-Diktatur betreffend. Wie innig dies im Falle etlicher Mitglieder sein konnte, zeigt sich etwa, wenn die Autoren einem Roland Rainer attestieren, an die Prägekraft der Rasse wirklich geglaubt statt sich nur angepasst zu haben. Kommentarlos präsentieren sie dagegen die peinlichste Etappe der Vereinsgeschichte: dass bei der Neugründung 1945 zwei Juden an vorderste Stelle gehoben werden, Stephan Prager und Philipp Rappaport.
Es ist auch ein Glücksfall, dass die Autoren unterschiedlichen Generationen angehören, so dass dem Werk dank Niels Gutschow noch eine Vertrautheit mit dem unverkennbaren Habitus der mittleren Generation des Zeitausschnittes 1922–75 zugute kommt. Der biografische Ansatz, der vor gut drei Jahrzehnten die Auseinandersetzung mit den Vätern trug (Niels Gutschow und Werner Durth: Träume in Trümmern, 1988), ist jetzt gegenüber der Geschichte der Akademie natürlich unangemessen. Das, was diese 590 Seiten an Lebendigkeit und Erkenntnisgewinn erbringen, verdankt sich aber weitgehend, neben den zitierten Textstrecken, den eingefügten biografischen Skizzen, insbesondere zu Vorsitzenden, die man nicht im Blick hatte, wie Reinhold Niemeyer (ab 1934) und Stephan Prager. Ein ganzes Kapitel rotiert um das Phänomen Hille­brecht. Und Fotos machen etwas klar, was für das Verständnis der Sache nicht ganz unbedeutend ist: dass die DASL, mithin Architektur und Stadtplanung in Deutschland im Untersuchungszeitraum – Irene Wiese von Ofen trat erst 1978 ein – selbstverständlich eine reine Männergesellschaft war.
Die Gesamtanlage des Buches macht es dem Leser allerdings keineswegs leicht. Das beginnt mit der Verdoppelung des Buches über ein ausuferndes Vorwort. Im weiteren folgen zahlreiche Redundanzen. Vor allem überschneiden sich über die ganze Länge zwei konträre Ordnungsformen, einerseits ein Vorgehen entlang der historischen Zeitleiste (die vier Kapitel Gründung und Weimar, NS-Zeit, Neugründung, Hillebrecht), andererseits nach durchlaufenden Themen (die sechs Schwerpunktkapitel).
Das Gründungskapitel konfrontiert einen mit dem Gesamttableau großer Namen im Augenblick des Umbruchs. Warum die Akademie 1923 in direkter Konkurrenz zur gleichzeitigen „Deutschen Gesellschaft für Städtebau und Landesplanung“ gegründet wird, ist selbst den Autoren unklar geblieben, man erfährt auch nicht, wo sie geblieben ist. In beiden Institutionen dominierten Architekten, aus der Vokabeldifferenz Stadtplanung-Städtebau kann man also nicht schließen. Vermutlich verdanken sich beide Gründungen dem Interesse aller damals führenden Architekten an der Aneignung des zuvor ausdrücklich staatlich verantworteten Tätigkeitsfeldes Stadtplanung: Jedenfalls verfolgen die Autoren in den folgenden, über den Gesamtzeitraum reichenden Kapiteln mit einiger Ratlosigkeit, mit welcher Monotonie ein halbes Jahrhundert lang von jeder Regierung die Vergesellschaftung von Grund und Boden gefordert wurde. Und sie wundern sich, dass, wenn selbst die NS-Diktatur, der man sich doch mehrheitlich vertrauensvoll zugewandt hatte, den Wunsch enttäuschte, daraus nach 1945 keine Schlüsse gezogen wurden, und statt dessen Leute wie Ernst May irrwitzige Attacken gegen Artikel 14 GG ritten.
Das Ergebnis eines Halbjahrhunderts Fachgeschichte ist in diesem zentralen Punkt so mager, dass die Autoren offenbar – so mein Eindruck – am Ende ihrer eigenen Einsicht misstrauten. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass sie zum Schluss noch einen Sprung in das Jahr 2018 machen, um darauf hinzuweisen, dass gerade wieder einmal die Bodenfrage aufgeworfen wird. Worüber wundern sie sich? Ist der stereotype Verweis, ohne Vergesellschaftung von Grund und Boden sei nichts zu machen, nicht klar genug – die Lebenslüge einer Zunft, die mehr behauptet, als sie leisten kann?

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