Otho Orlando Kurz
Multerer und Wagner haben sich daran gemacht, das Kurz’sche Oeuvre zu vermessen, in Wort, Zeichnung und Bild.
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Otho Orlando Kurz
Multerer und Wagner haben sich daran gemacht, das Kurz’sche Oeuvre zu vermessen, in Wort, Zeichnung und Bild.
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Das grüne Hardcover macht neugierig: ein eindrucksvoller Name, darunter die Zeichnung einer expressionistischen Fassade, in der Ecke die Namen der Autoren: Sebastian Multerer & Julian Wagner, zwei junge, Münchner Architekten, Bauwelt-Lesern nicht unbekannt (Bauwelt 47.2011 und 9.2017). Dass Architekten eine Monographie über einen Kollegen schreiben, und sei er auch eine Person der Historie, ist ungewöhnlich; Paul Kahlfeldts diesbezügliche Verdienste um das Werk von Hans H. Müller (1879–1951), Architekt der Berliner Stromversorgungsbauten, kommt da spontan in Erinnerung, viel mehr aber auch nicht. Ähnlich vergessen wie seinerzeit Müller ist heute noch sein Münchener Zeitgenosse Kurz (1881–1933), und dies, obwohl seine Bauten, welche er zusammen mit seinem Büropartner Eduard Herbert realisiert hat, auf ihre Weise ebenfalls stadtbildprägend sind: etwa die großen Wohnanlagen aus den späten 20er Jahren in Schwabing (1929) und Neuhausen (der sogenannte Amerikanerblock, 1930) oder seine Kirchenbauten St. Gabriel, 1926, und St. Sebastian, 1929.
Multerer und Wagner haben sich daran gemacht, das Kurz’sche Oeuvre zu vermessen, in Wort, Zeichnung und Bild. Das Ergebnis ist das für mich überzeugendste Münchner Architekturbuch seit längerem; konzeptionell wie grafisch von allergrößter Klarheit. Vor allem die zeichnerische Aufarbeitung der Wohnungsbauten des Büros Herbert & Kurz, die den größten Teil des Bandes ausmacht, sei hier hervorgehoben: Verortet in einem Schwarzplan der bayerischen Hauptstadt, werden sämtliche von 1908 bis 1930realisierten Wohngebäude und -ensembles mit Hilfe eines Lageplans samt Erdgeschossdarstellung, eines Regelgeschoss-Grundrisses sowie farblich vereinheitlichter Ansichtszeichnungen in ihrem ursprünglichen Zustand dokumentiert; ganzseitige Fotos zeigen ihren gegenwärtigen Erhaltungszustand.
Die Bauten illustrieren, wie sich Kurz vom späten Historismus über eine kurze Phase der expressionistischen Anleihen mehr und mehr der neuen Sachlichkeit zuwandte. Das ist für die Zeit seines Wirkens nichts Ungewöhnliches, und da Kurz mit seinen Werken auch eher Einflüsse verarbeitet als selbst ausgeübt zu haben scheint, ist es nicht sonderlich überraschend, dass ihm die ganz große Rolle in der Architekturgeschichtebislang nicht zugeschrieben worden ist – vielleicht ein Grund dafür, dass diese Besprechung, geschrieben gleich nach der Lektüre Ende 2017, so lange auf einen Platz im Heft gewartet hat. Doch sollte Kurz’ Bedeutung für die Gegenwart nicht geringgeschätzt werden. Für das aktuelle Problem des großen Wohnungsbedarfs und die damit einhergehenden gestalterischen wie strukturellen Aufgaben für Architekten kann die Auseinandersetzung mit diesem zwischen Überlieferung und Zukunftsfreude, zwischen städtebaulicher Einordnung und objekthafter Zeichenwirksamkeit changierenden Schaffen nur anregend sein.
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