Plattenbau Berlin
Text: Hotze, Benedikt, Berlin
Plattenbau Berlin
Text: Hotze, Benedikt, Berlin
In der Mensa der Uni Lausanne, die aufgrund ihrer baulichen Form auch als Banane bezeichnet wird, gab es zum Dessert meistens Obst, wenn auch selten Bana-nen. Gabi aus Luzern bemerkte stets etwas spitz „quelle surprise, une pomme“, wenn wieder mal nur ein schnöder Apfel serviert wurde.
Eine Riesen-Surprise hat der Prestel-Verlag jetzt in Berlin ausgemacht: In der Hauptstadt gibt es zwar kaum Äpfel zum Nachtisch, dafür aber Plattenbauten zum Hauptgang. Da die Zutaten schon etwas älter sind, könnte man sie auch als kalte Platten bezeichnen. „Urbane Wohnarchitektur – ein fotografischer Rundgang“ heißt dieses Menü im Untertitel. Angerichtet wurde es von Jesse Simon, der auch schon typographische Besonderheiten im Berliner Stadtraum auf die Karte gesetzt hatte. Sein aktuelles Folgemenü ist eher frugal: Zu sehen sind hauptsächlich Sozialwohnungen in Hochhausbauweise, allerdings ausschließlich von außen. Wie es innen schmeckt, wird nicht berichtet.
Mit perspektivisch korrigierten Architekturaufnahmen als ästhetisches Ereignis präsentiert, riechen solche Bilder schnell nach Food Porn: je schicker, desto schärfer. Als Geschmacksverstärker werden hier (immerhin) korrekt recherchierte Angaben zu Baujahren und Architekten gereicht. Trotzdem blättert der Gast etwas lustlos in der Speisekarte herum, kann sich nicht zwischen Ost und West entscheiden: „Alles so schön bunt hier!“ (Nina Hagen, 1978)
Statt sich die Plattenbauten (und auch die technisch anders angerichteten Wohnhochhäuser) auf der Zunge zergehen zu lassen, legt man diese Speisekarte lieber zur Seite und geht gegenüber zum Soul-Food-Stand. Dort sind die Angebote diverser, internationaler – und frischer.
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