Stadtwende
Bürgerengagement und Altstadterneuerung in der DDR und Ostdeutschland
Text: Costadura, Leonardo, Berlin
Stadtwende
Bürgerengagement und Altstadterneuerung in der DDR und Ostdeutschland
Text: Costadura, Leonardo, Berlin
Als in den 80er Jahren das Scheitern des politischen und wirtschaftlichen Systems der DDR im Zustand der Städte seinen weithin sichtba-ren Ausdruck fand, fingen mutige Bürger an, ihre Stimme zu erheben. Sie schickten Briefe an die Regierungsorgane, schlossen sich zusammen, kümmerten sich teilweise auf eige-ne Faust um den Erhalt von Bausubstanz und protestierten schließlich auch auf der Straße. Dieses Phänomen, das einen konsistenten Beitrag zur Friedlichen Revolution leistete und auch die ostdeutsche Planungskultur der Nachwendezeit stark beeinflusste, wird als Stadtwende bezeichnet – ein Begriff, der zugleich auch die Neubewertung der Altstädte als schützenswertes Kulturerbe in ganz Europa ab den 70er Jahren meint.
„Stadtwende“, so lautet der Titel der Abschlusspublikation eines vierjährigen Forschungsprojekts, das an der TU Kaiserslautern, der Bauhaus-Universität Weimar, dem Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung und der Universität Kassel angesiedelt war und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Forschungsprogramms „Wissenslücken über die DDR schließen“ gefördert wurde. In dem Sammelband, der 2022 im Ch.-Links-Verlag erschienen ist, werden 17 eigenständige Beiträge von einer Einleitung und einem Epilog gerahmt.
Ebenjene Rahmung ist die große Schwäche des Bandes, denn es fehlt eine methodische Disposition sowie theoretische Verortung des Projekts. Wo die Einleitung „Theorien, Ansätze und Methoden“ verspricht, wird höchstens der Gegenstand zeitlich eingegrenzt. Die Äußerung, man wolle keine neue „Theorie der DDR-Stadtentwicklung“ vorlegen, klingt unbeholfen: Natürlich nicht, wie auch? Eine Theorie der DDR Stadtentwicklung haben vielleicht sozialistische Architekturtheoretiker in der DDR verfasst, heute dagegen kann man höchstens eine Geschichte der Theorie der DDR-Stadtentwicklung schreiben oder eben eine Geschichte der DDR-Stadtentwicklung. Methodische Schwierigkeiten im Umgang mit Zeitzeugeninterviews bleiben genauso unerwähnt wie die für den Gegenstand einschlägigen Archive. Dass es bei der großen Bandbreite der herangezogenen Quellen von behördlichen Akten über Fotos und Plakate bis hin zu Gebäuden durchaus um der Belastbarkeit willen einer starken methodischen Reflexion bedarf, artikulieren die Herausgeber in ihrer Einleitung nicht. Erst im Abschnitt „Konzeption und Gliederung“ sagen sie endlich, dass es sich um empirische Ergebnisse handelt, die sie in diesem Buch vorstellen – wie erwartet also tatsächlich keine Theorie. Die epistemologischen Grundlagender Empirie derweil bleiben im Dunkeln. Dies mag nicht überraschen, wenn man bedenkt, dass von 18 Beteiligten ein einziger von Haus aus Historiker ist und nur sechs Geistes- und Gesellschaftswissenschaften studiert haben. Das ist für ein Thema, das unleugbar ein geschichtswissenschaftliches ist, zu wenig.
Als ob dies den Herausgebern selbst bewusst wäre, dominieren im Epilog Diskurse über die eigene Schwäche; man könnte sagen, sie wollen die Stadt vor lauter Häusern nicht sehen. So bemühen sie das Narrativ einer übergroßen Komplexität des Gegenstandes, nach dem man die Stadtwende als abgeschlossenes historisches Phänomen nicht angemessen beschreiben könnte: „Deutlich wird in jedem Fall, dass die auch in diesem Band vertretenen, heterogenen Ansätze der Periodisierung der Stadtwende(n) mehrals nur eine akademische Fingerübung sind und eine einfache Sicht auf die Stadtwende (1989) als Epochenbruch differenzieren. Der Blick auf die Genese fachpolitischer und öffentlicher Neupositionierung hinsichtlich städtischer Reproduktion hat stärker die Transformation im Blick und erklärt das Jahr 1989 nicht als historische Notwendigkeit. Vielmehr trägt die Forschung zur Frage bei, wie es dazu kommen konnte.“ Statt nur zu fragen und zu Fragen beizutragen, wären wir nach vier Jahren Forschung über manche Antworten dankbar gewesen. Folgerichtig endet der Band mit dem pathetischen Mantra: „Doch diese Forschung ist ganz wie die Stadterneuerung –eine Daueraufgabe.“ Dem wird niemand widersprechen wollen.
Davon abgesehen bieten die 17 Aufsätze zwischen Einleitung und Epilog im Einzelnen eine lehrreiche Lektüre. Im dritten Kapitel beispielsweise, das den Titel „Engagement und Aushandlung“ trägt, schildert Sven Kröber die hohe ideelle wie personelle Kontinuität von im Leipzig der 70er Jahre entstandenen Initiativen gegen die massive Braunkohleausbeutung und die damit einhergehende Zerstörung der Umwelt über die Leipziger Volksbaukonferenz im Januar 1990 bis zum Verein „Pro Leipzig“, der den Erneuerungsprozess der Stadt nach der Wende mitgestaltete. Fridtjof Florian Dossin untersucht das staatlich geförderte Programm der „Ausbauwohnung“ im Spiegel der Zeitschrift „Kultur und Heim“ als ei-ne „do it yourself“-Spielart des Substanzerhalts, der als Grauzone zwischen staatlichen Prestigeprojekten und engagierten Bürgergruppen in der DDR existierte. Das vierte Kapitel, „Planung und Diskurs“, im dem Beiträge von Frank Peter Jäger und Holger Schmidt, von Wiebke Reinert sowie Jana Breßler und Detlef Kurth die Bedeutung der Fachwelt für die Reformdebatten beleuchten, liefert neue Erkenntnisse für die Geschichte von Forschung und Lehre in der DDR. Jäger und Schmidt etwa analysierten anhand von Archivmaterial und Zeitzeugeninterviews, wie Stadtrekonstruktion und Denkmalpflege an der Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar unterrichtet wurde und welchen Einfluss die Forcierung dieses Schwerpunkts in den 80er Jahren auf die DDR-Gesellschaft haben konnte. Demjenigen, der für 25 Euro dieses 320 Seiten dicke Buch erwirbt, sei darum geraten, gleich in medias res zu gehen und die Aufsätze zu lesen, die ihn interessieren.
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