Bauwelt

The Materials Book

Text: Stumm, Alexander, Berlin

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The Materials Book

Text: Stumm, Alexander, Berlin

Auf unserem Planeten leben heute 7,6 Mil­liarden Menschen, die jährlich vierzig Mil­liarden Tonnen Mate­rial pro Jahr bewegen. The Materials Book, herausgegeben von Ilka und Andreas Ruby, erschöpft sich nicht in einem Kompendium zukunftsträchtiger Materialien, auch wenn es Holz, Stampflehm oder experimentel­le Verfahren wie myzelbasierte Baustoffe behandelt. Vielmehr nimmt es im Sinne des „material turn“ in knapp 40 Essays das gesamte Spektrum materieller Artefakte in den Fokus: Arbeit, Energie, Extraktivismus, Gesellschaft, Infrastruktur, Ökosystem und Technologie.
Die Publikation dreht sich um die Idee der „Re-materialisierung der Konstruktion“. Architektin­-nen und Architekten müssen sich ihrer Verantwortung für die Folgen von Planung, Entwurf und Bauprozess bewusst werden. Stoßrichtung ist eine Verwendung von Materialien nach Prin­zipien der „Nachhaltigkeit“. Wie Nachhaltigkeit aussieht, kann sich jedoch in unterschiedlichen Kontexten diametral unterscheiden. Die Publikation zeigt mit mehreren Essays zu Afrika und Südasien, dass keine universellen Lösungen zu erwarten sind, sondern eine multiperspektivische Herangehensweise notwendig ist. Allen, die in Mitteleuropa arbeiten, sei Anne Lacatons Text „Make Do“ empfohlen. Sie plädiert dafür, mit dem Vorhandenen auszukommen, mit den Menschen, der Natur, dem Klima, der Wirtschaft – nicht im Sinne einer Einschränkung, sondern einer großen Chance.
Ein heimlicher Schwerpunkt liegt auf dem Baustoff Zement. Das verwundert wenig, denn das Buch entstand aus einem 2019 abgehal­tenen Forum für Nachhaltige Konstruktion des Zementriesen LafargeHolcim und wurde auch durch dessen Stiftung gefördert. Das schmälert nicht die Standpunkte der Autorinnen und Autoren; dennoch muss sich The Materials Book die Frage gefallen lassen, wer die letzte Entscheidung über den Diskurs behält. Welche Positionen waren zur Konferenz eingeladen, welche nicht?
Im Epilog stellt Simon Upton, der parlamentarische Beauftragte für Umwelt in Neuseeland, die Grundsatzfrage: Muss der Wandel ein schrittweiser oder ein radikaler sein? Auch wenn es an politischem Willen mangelt, spielt Upton den Ball an die Architekten zurück: Wenn sie die komplexe Transformation eines wirtschaftlichen Paradigmas nicht nachvollziehbar machen können, wie sollten es dann die Politiker?
Das Buch lässt sich aber auch als handfeste Inspirationsquelle im Entwurf heranziehen. Denn Something Fantastic hat in Zusammenarbeit mit vielen Architekturbüros eine Sammlung von rund 50 Bauelementen und Materialien zusammengestellt, die über das Übliche hinausgehen. Das reicht von unbehandeltem Bambus (Case Design, Projekt Avasara Academy, Pune) und Draht (FAR frohn&rojas, Projekt Wohnregal, Berlin) über Pflanzen (Minsuk Cho, Projekt Mass Studies HQ, Seoul) und Polycarbonat-Stegplatten (Brandlhuber+, Projekt Brunnenstraße, Berlin) bis zu Joghurtbechern (2hs, Projekt Empa Nest, Dübendorf) und Zitronensäure (Summacumfem- mer, Projekt Dieskaustraße, Leipzig). Das schön gemachte Softcover bietet viele Farbabbildungen und spielt unaufgeregt mit Typografien – selbstverständlich auf Recyclingpapier.
Fakten
Autor / Herausgeber Ilka und Andreas Ruby (Hrsg.)
Verlag Ruby Press, Berlin 2021
Zum Verlag
aus Bauwelt 22.2021
Artikel als pdf

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