Zweifach war des Bauens Lust
Architektur Leben Gesellschaft
Text: Hammerschmidt, Valentin, Dresden
Zweifach war des Bauens Lust
Architektur Leben Gesellschaft
Text: Hammerschmidt, Valentin, Dresden
Ein Architekt räumt sein Büro – symbolträchtig zum 50. Jubiläum seines ersten Arbeitstags. Zeit, zurückzublicken auf ein Berufsleben und die Bedingungen, unter denen es stattfand: So wird es eine Biographie, ein Werkbericht, und zugleich eine Geschichte der Architektur dieser Lebenszeit. Und es ergibt sich, dass eine Hälfte dieses Berufslebens in der DDR stattfand, die andere in der erweiterten Bundesrepublik. Wolf R. Eisentrauts Geschichte enthält auch eine Periodisierung der DDR-Architektur. Beide verflicht er ineinander wie einen Hefezopf und unterlegt sie – manchmal systematisch – mit allgemeinen Gedanken zur Architektur; eine gute Einführung, wenn man sich dem Fach nähern will.
Statt ins Baukombinat trat Wolf R. Eisentraut nach dem Studium in die Meisterwerkstatt von Hermann Henselmann an der Bauakademie ein, wo man eine völlig neue Architektur schaffen wollte. Es war die Zeit der „Bildzeichen“ – Großprojekte, die der Meister entwarf und zur Durcharbeitung weiterreichte. In der staatlichen Planproduktion war hier das Sonnendeck.
Der VIII. Parteitag 1971 beendete diese Ära zugunsten der quantitativen Lösung der Wohnungsfrage – Eisentraut wechselte ins Institut für Wohnungsbau, wo er als erstes die Schreib- durch Zeichentische ersetzte: Beim Stil des Bauens geht es auch um den Stil der Architekten. „Gerüchte leichten Lotterlebens und individueller Arbeitszeit“ gingen um über sein Gebaren als Künstler. Dabei arbeitete man an einem Katalog modularisierter Bauteile als offenem, flexiblen System: das WBS 70. Die Enttäuschung folgte schnell: „Vorzugsvarianten zur Erstanwendung“ erstarrten zu bürokratischen Typenvorgaben und machten „Entwerfen“ entbehrlich.
Beim „Sonderauftrag Mehrzweckgebäude“ für den Palast der Republik – Wunschtraum eines Architekten – war Eisentraut für Foyer und Theater zuständig. Es folgte eine vielgerühmte „Behindertenschule“, internationales Vorzeigeprojekt zum „Jahr der Behinderten“ der UNO. Das ging nur im ungeliebten Kombinat. „Damit begann mein Kampf gegen die Typenbauten.“
Die folgenden zwölf Jahre war er als „Komplexarchitekt“ mit Zentrumsplanungen für Großsiedlungen, vor allem in Berlin-Marzahn, beschäftigt; statt der Addition von Bautypen kämpfte er für individuelle Gebäude und Stadträume. „Unikales“ Entwerfen war nur möglich, wenn man Einsparungen in Material und Kosten vorrechnen konnte – die Architektur interessierte niemanden. Doch betont Eisentraut, wie wichtig es ihm war, auch die Ausführung zu leiten. Das war vom System her anders gedacht. Diese Periode der „zunehmenden Vielfalt“ wurde mit dem XI. Parteitag 1986 beendet.
Mittlerweile lehrte Eisentraut an der TU Dresden; aber seine Alma Mater erlebte er als Ort von Ritualen und Intrigen. Die „renitente Stimmung gegenüber allem, was aus der Hauptstadt kam“ steigerte sich bis zu den Erregungen der Nachwendezeit. 1991 gründete er ein eigenes Büro. Die letzte Phase der DDR Architekturgeschichte bedeutete Abriss oder Transformation; die Verteidigung seines Werks gelang ihm nur teilweise.
Der interessantere Teil des Buches betrifft die Zeit der DDR. Viel erfährt man aus dem Inneren der Projektierungsabteilungen – Details, die jüngeren Forschungsarbeiten noch fehlen, aber auch Fragen des Habitus: Wie gab sich ein Architekt in der DDR? Dies ist keine akademische Arbeit. Keine Anmerkungen bremsen den Lesefluss, es fehlen Bibliographie, Register und theoretische Moden, die umfangreiche Verdankung beschränkt sich auf Vornamen (dreimal „Birgit“, dreimal „Thomas“) – ultimativer Test auf Insider-Wissen. Im Stil bleibt Eisentraut schnoddrig, lakonisch, immer eine gute Pointe schätzend. Doch bei aller Ironie bleibt Wehmut über das Verschwinden etlicher seiner Bauten – was der Rezensent (West) auf wesentlich bescheidenerem Niveau teilen kann.
0 Kommentare