Am einfachsten wäre es, alles wieder so aufzubauen, wie es war – aber das geht nicht
Bei der Flut im Ahrtal wurden rund hundert Brücken beschädigt oder zerstört. Für den Wiederaufbau liegt ein Gestaltungshandbuch vor. Der Neusser Architekt Eckehard Wienstroer war daran beteiligt.
Text: Kraft, Caroline, Berlin
Am einfachsten wäre es, alles wieder so aufzubauen, wie es war – aber das geht nicht
Bei der Flut im Ahrtal wurden rund hundert Brücken beschädigt oder zerstört. Für den Wiederaufbau liegt ein Gestaltungshandbuch vor. Der Neusser Architekt Eckehard Wienstroer war daran beteiligt.
Text: Kraft, Caroline, Berlin
Sie haben mit Ihrem Architektur- und Stadtplanungsbüro bereits einige Brücken geplant. Wie kam es zu Ihrer Beteiligung am Wiederaufbau der Ahrtalbrücken?
Wir sind seit Beginn unserer Tätigkeit mit dem Thema Brücken beschäftigt. 2004 haben wir die erste Brücke in Straßburg geplant, es entstanden Partnerschaften mit Ingenieurbüros. Die Zerstörung im Ahrtal ist mehr als in aller Munde gewesen – auch wir, die mehr oder weniger in der Region leben und oft dort sind, fühlten uns betroffen. Ich habe davon gelesen, dass es einen Wettbewerb für ein Gestaltungshandbuch gibt.
Wie viele Büros haben an der Ausschreibung teilgenommen?
Auf jeden Fall waren es viele, auch große Ingenieurbüros. Da ging’s nicht um Geld. Unser Preisangebot damals war sehr schlank. Wir fanden, wenn etwas Gutes dabei rauskommt, ist uns das genug.
Wie sind Sie den Erstellungsprozess des Handbuchs angegangen?
Ich rief einen langjährigen Partner an. Peter Sprinke von Schüßler-Plan. Wir kennen uns schon lang, haben schon viel zusammen gearbeitet und haben eine gemeinsame gestalterische Haltung. Landauf, landab werden Gestaltungshandbücher entwickelt, die liest man einmal durch und wirft sie weg. Unsere Haltung in dieses Buch zu bringen, benutzbar für andere, das war die Herausforderung. Wir haben im Vorfeld des Wettbewerbs in Windeseile zwei Brückentypen entwickelt, die wir im Gestaltungshandbuch ausgearbeitet haben, zwei oder drei Monate war Zeit.
Der Wettbewerb zum Handbuch wurde vom Landesbetrieb Mobilität, der Deutschen Bahn, der Aufbau- und Entwicklungsgesellschaft Bad Neuenahr-Ahrweiler, der Verbandsgemeinde Altenahr und der Stadt Sinzig ausgeschrieben. Was waren die Vorgaben?
Dem Auftraggeber war sehr klar, was er wollte, aber er konnte es nicht genau fassen. Das Vokabular, die formale Fassung zu entwickeln, war komplex. Die Vorstellung war, eine Art Kochbuch zu schreiben. Mit drei, vier Rezepten und fertig. Wir haben aber gesagt: Nein, wir müssen eine Partitur entwickeln. Wir haben es mit Gemeinden, Bürgermeistern und Bürgerinnen zu tun. Es ist nicht mehr 1870; solche Prozesse funktionieren nicht top-down, wir leben in einer anderen Zeit. 1870 gab es schon mal ein großes Unglück im Ahrtal, die Brücken sind neu gebaut worden, die Gestaltung wurde behördlich vorgegeben. Das waren sicher alles gute Planer damals, aber so geht das eben heute nicht mehr.
Gab es ein Beteiligungsformat für den Wiederaufbau der Brücken im Ahrtal?
Im Vorfeld des Wettbewerbs zum Gestaltungshandbuch gab es Kooperation mit Hochschulen und Behörden, da ging es um Themen wie Farbigkeit oder Beschaffenheit der Oberflächen. Das hat zu bestimmten Entscheidungen beigetragen.
Die alten Sandstein-Gewölbebrücken im Ahrtal haben die Flutkatastrophe teils verschlimmert. Eine gewisse Massivität ist aber unausweichlich. Welche konstruktiven Möglichkeiten gibt es bei der Planung von neuen Brücken im Überflutungsgebiet, damit sie nicht zu Wehren werden?
Zum Beispiel, indem es Verbundbrücken sind, deren Widerlager sehr weit außen steht und dazwischen ein konstruktives Element über eine weite Spannweite keine Stützen braucht. Also: erhöhte Spannweite, die konstruktiven Möglichkeiten einer Brücke mit vorgespannten Konstruktionen und Mischkonstruktionen aus Stahl und Beton ausreizen, große Durchflussquerschnitte realisieren und Formen integrieren, die per se schon eine Strömungsgünstigkeit bieten. Dass man also bestimmte Brückentypen nach Möglichkeit nicht realisiert.
Welche Brückentypen sind das?
Beispielsweise Fachwerkbrücken, die mitunter für große Spannweiten zwar gut sind, aber bei Flut sammelt sich das Treibgut hinter der Konstruktion an, was die Auswirkungen verschlimmert. Wir haben auch wegklappbare oder bewegliche Geländer eingeplant oder Trogbrücken so ausgebildet, dass sie strömungsgünstig geformt sind, das Wasser also über oder unter ihnen fließt.
Gilt das Handbuch für das gesamte Ahrtal?
Es wird für sämtliche Brücken eingesetzt, die neu gebaut werden. Das sind rund hundert. Auch Bestandsbrücken müssen teilweise untersucht werden, ob sie bleiben können. Damit sind schmerzliche Prozesse verbunden. Die Nepomukbrücke ist ein Beispiel für Leuchttürme, die kaputt gegangen sind. Saniert man die? In Fuchshofen steht eine der Brücken jetzt wieder so da, wie sie war. Wie oft geht das noch gut, ist die dann bei der nächsten Welle dran?
Daniela Schmitt (FDP), Verkehrsministerin in Rheinland-Pfalz, sagte: „Neben der Erfüllung der unabdingbaren technischen Kriterien, die an die neuen Brückenbauwerke gestellt werden, ist es wichtig, dass wir auch deren Gestaltung in den Blick nehmen. Denn auch die neuen Brücken sollen sich harmonisch in den Landschaftsraum einfügen.“ Nun wurde rund die Hälfte der alten Bogenbrücken zerstört. Sie waren charakteristisch für die Gegend. Wie können die neuen, schlankeren Konstruktionen zum Identifikationsfaktor beitragen?
Bei Brücken gibt es Teile, die fest und stabil, massiv sein müssen: die Widerlager. Die verschwinden entweder im Ufer oder sind als vertikale Bauteile stark sichtbar. Da können Materialien verwendet werden, die dort typologisch Erinnerungen wecken. Wobei Verkleidungen sich natürlich bei hartem Wasseranprall ablösen können. Das ist eine Anforderung an die Konstruktion, das hinzubekommen. Oder dass man mit Beton arbeitet, der nicht eine harte Schalung hat, sondern die grobe Haptik eines Steins. Wenn sich die Gestaltung wiederholt, gibt es vielleicht materiell und strukturell eine Erinnerung an das Stabilere. Die Brücken selber können aber keine Reminiszenz sein, weil sie einfach anders sein und eine neue Sprache sprechen müssen.
Der Wettbewerb zur neuen Kurgartenbrücke und zur neuen Casinobrücke in Bad Neuenahr-Ahrweiler (Bauwelt 6.2024) wurde Anfang des Jahres entschieden. Orientieren sich die Entwürfe schon am Gestaltungshandbuch?
Ja, das Handbuch greift seit Anfang 2023. Es ist zu sehen, dass die Teilnehmenden in ihren Entwürfen die Prinzipien aus dem Handbuch umgesetzt haben. Die Autobrücke zum Beispiel ist eine Verbundbrücke, auch formal folgt sie dem Handbuch.
Von welchem Zeitraum sprechen wir denn, wie lange soll der Wiederaufbau dauern?
Ich kenne keinen zeitlichen Rahmen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie man den fassen sollte. Ich habe mich anfangs gefragt, warum es nicht schneller geht. Dieser Wiederaufbau ist aber hochkomplex. Es dürfen keine Fehler passieren. Mit der heißen Nadel etwas zusammenzustricken, würde bei der nächsten Katastrophe die Frage aufwerfen: Wer war verantwortlich? Und dann müssen die Brücken nachhaltig sein, es gibt DIN-Vorgaben, das Gestaltungshandbuch, und es müssen vorab Prüfprozesse durchgeführt werden.
Gibt es eine Reihenfolge des Wiederaufbaus?
Nicht dass ich wüsste; vermutlich ergibt die sich aber aus den strukturellen Notwendigkeiten. Teilweise sind Dörfer auseinandergerissen worden. Um vom einen in den anderen Teil zu kommen, musste man erhebliche Umwege fahren, in einer bergigen Landschaft, in der 15 Kilometer lange dauern. Das war dramatisch – an solchen Stellen wurden dann schnell Ersatzbrücken aufgebaut. Das sind Brücken, die zuerst erneuert werden.
Sie haben verschiedene Typen von Auto-, Fuß- und Bahnbrücken entwickelt. Wie unterscheiden sie sich, kommen sie jeweils an bestimmten Orten zum Einsatz?
Das kann man so nicht sagen. Unser Ziel war, Planenden verschiedene Prinzipien zu präsentieren, zum Beispiel die Trogkonstruktion oder die schlanke Verbundkonstruktion, also bestimmte Eignungen für bestimmte Spannweiten. Aber wir haben die nicht verortet, das sind Vorgaben, die wir den Planenden machen, damit die dann basierend auf dem Ort damit arbeiten können und eine eigene Sprache entwickeln. Der Deutschen Bahn haben wir auch Brücken vorgeschlagen, nicht nur, was die Konstruktion angeht, sondern auch die Gestaltung, sodass es für jede Brückentypologie Vorschläge gibt – ein Gesamtensemble. Wenn sich Prinzipien oder Farbigkeiten wiederholen, können Zusammenhänge entstehen. Fußgängerbrücken haben meistens eine Spannweite von 40 bis 45 Metern. Deshalb gibt es auch konstruktiv immer ähnliche Anforderungen.
Teilweise sind die Brückentypen auch unterschiedlich.
Ja, in Dernau gibt es beispielsweise die Weinbaubrücke, die plant ein regionales Büro. Die haben wir uns in der Entwicklungsphase genauer angeschaut, weil da viel Besuchsverkehr herrscht und während der Weinsaison viel stattfindet. Dort muss eine Brücke mit Aufenthaltsqualität entstehen, wo man sitzen und Wein trinken kann. Eine Wanderweg-Brücke braucht das nicht.
Im Handbuch ist die Rede von einer Beratungskommission, die hinzugezogen werden kann. Wann soll das der Fall sein?
Als Wettbewerbsarchitekt weiß ich, dass es sinnvoll ist, an herausgehobenen Stellen den jeweiligen Bürgermeisterinnen und Politikern ein Instrument an die Hand zu geben, das sie zur besseren Entscheidungsfindung nutzen können. Die Wettbewerbe müssen europaweit ausgeschrieben werden, es hilft, wenn an manchen Stellen ein Gremium gemeinsam entscheiden kann.
Geht es da um konstruktive oder gestalterische Fragen?
Das ist eine Mischung im besten Sinne; bei Brücken ist die Konstruktion die Gestalt. Das ist das wunderbare – mit einer Linie ist alles gesagt. Das ist der Partitur-Gedanke: dass jemand aus der Grundlage etwas Neues machen kann, das in diesem Vokabular funktioniert. Die Romanik besteht aus ganz einfachen Buchstaben: Quadrat, Dreieck, Kreis. Damit gibt es unglaubliche Formenvielfalt. Und alles hängt zusammen.
Das Überqueren des Flusses ist für die Menschen im Ahrtal selbstverständlich. Trotzdem ist und bleibt es ein Überschwemmungsgebiet. Wie sieht ein verantwortungsvoller Wiederaufbau aus?
Am einfachsten wäre es, alles wieder so aufzubauen, wie es war, dann gäbe es am wenigsten Schwierigkeiten, politisch wie sozial. Aber das geht nicht. Wenn vier oder fünf Brücken nebeneinanderliegen, die über Jahrhunderte entstanden sind, sich aber Ortsgemeinden teilweise fast völlig aufgelöst haben, vom Wasser weggeräumt wurden, muss man sich fragen: Baut man das wieder auf? Sollte man nicht lieber eine Brücke bauen, die mehrere zusammenfasst? Das ist der „konsolidierte Ersatzneubau.“ Damit entsteht städtebauliche Neustrukturierung, aber auch mehr Freiraum für die nächste Flut. Das ist die technische Basis, um weniger Risiko zu erzeugen.
Was sind Herausforderungen bei der flutsicheren Brückenplanung?
Manche Probleme scheinen anfangs unlösbar. Das Freibord, also der Abstand zwischen Wasserober- und Brückenunterkante muss mindestens einen Meter betragen. Hydraulische Modelle, die verschieden starke Regenzustände simulieren, helfen bei der Planung. Wenn die Simulation zeigt, dass das Freibord größer werden muss, gibt es zwei mögliche Konsequenzen: Entweder kann keine Brücke gebaut werden, weil sie nicht anschließen könnte. Oder Gebäude müssen abgerissen werden, weil die Vorlandbrücke, also die Rampe, die auf die eigentliche Brücke führt, zu lang werden würde, bei nur einem Meter um zig Rampenmeter.
Jede siebte Brücke in Deutschland muss repariert oder ersetzt werden. Warum denken Sie, ist das so? Sind Brücken eine vernachlässigte Bauaufgabe trotz ihrer Wichtigkeit für unsere Infrastruktur und ihres symbolischen Werts?
Ich möchte kein Planer-Bashing betreiben. Bei der Brückenplanung steht eben das Konstruktive, das Funktionale so stark im Vordergrund, dass Gestaltung teilweise als Hinderungsgrund empfunden wird. Das ist Quatsch. Wir bauen Brücken nicht nur für Maschinen, sondern für Menschen. Wenn mir ein älterer Stadtbewohner sagt, dass es Spaß macht, über eine bestimmte Brücke zu gehen, zeigt das, welche Qualitäten sie haben können. Brücken können Übergänge spürbar machen. Sie können schützen, sind dynamisch, regen zur Bewegung an. Das liegt nicht nur an Funktionalität, sondern auch an räumlicher Qualität. Der Fokus auf Gestaltung bei Ingenieur- oder Tiefbauprojekten wird immer größer. Wir können nicht mehr nur nach Funktion planen.
Im Ahrtal geht es schon um viel mehr als um reine Zweckbauten.
Es geht darum, die verlorengegangene Identität neu zu erfinden. Das war der Anspruch, ist aber in einer pluralistischen Welt nicht ganz einfach. Es gibt verschiedene Ortsgemeinden, wie die Verbandsgemeinde Bad Neuenahr-Ahrweiler, die bei jedem Wettbewerb dann eben unser Gestaltungshandbuch als Planungsgrundlage dazugeben und verteidigen, in der Hoffnung, dass es auch dem Entscheidungsgremium vereinfacht, die Qualität eines Entwurfs erkennen zu können. Das Handbuch soll Sicherheit geben. Die Brückenentwürfe sind experimentell in der Hinsicht, dass sie nicht mehr aussehen wie früher. Es gibt ja diese Standard-Nutzbauwerke nach bestimmten Vorschriften der Straßenbauordnung. Das sind Baubeispiele, die deutschlandweit gelten, mit Geländertyp 1, 2 und 3; die Autobahnbrücken in Norddeutschland sehen aus wie die in Süddeutschland. Das könnte im Ahrtal auch passieren, aber es gibt eben noch den gestalterischen Anspruch und eine aquadynamische Formensprache, dadurch entsteht Wiedererkennbarkeit.
Sind Sie gerade in den Wiederaufbau eingebunden oder werden es in Zukunft sein?
Im Moment nicht. Es kann sein, dass ich mal bei einer Kommission mitmache. Die Projekte im Ahrtal sind eher kleinteilig, es ist gut, wenn sie vor Ort bearbeitet werden. Von außen betrachtet, entsteht vielleicht der Eindruck, dass alles viel zu langsam geht. Ich wünsche mir mehr Verständnis für die Beteiligten, einen sinnvollen Pragmatismus. Das betrifft aber das ganze Bauen. Wir verlieren im Vorschriften-Wahnsinn die Kreativität. Wir kommen nur weiter, wenn wir Experimente zulassen. Dafür ist das Gestaltungshandbuch. Nicht Kochbuch; nicht Plan B, sondern Plan E: Plan Erfindung.
Eckehard Wienstroer absolvierte eine Ausbildung zum Maurergesellen, bevor er in Hagen und Wuppertal Architektur studierte. 1995 machte er sich selbstständig und führt seit 2022 Wienstroer Architekten Stadtplaner in Neuss. Er hat einen Lehrauftrag an der FH Aachen, Vorsitze in mehreren Gestaltungsbeiräten und ist Vorstand im BDA der Kreisgruppe Düsseldorf-Neuss.
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