Bauwelt

Es tut der Stadt gut, wenn sie nicht blitzblank geputzt ist

Geschäfte als Orte des Handels und des Austauschs gestalten den öffentlichen Raum der Stadt maß­geb­lich. Die Archi­tek­­­­tin Aleksandra Wasilkows­ka hat den Umbau des Bakalarska Markts in Warschau betreut. Im Interview sprachen wir mit ihr über den Bazar als Spannungsfeld zwischen Aneignungsprozessen, Designanspruch und Kontrollmaßnahmen.

Text: Landes, Josepha, Berlin; Bruun Yde, Marie, Berlin

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    Bisher wurde der mar­­kier­te Bereich des Baka­larska Bazars umgestaltet, der­zeit plant Aleksandra Wasilkowska den Umbau eines weiteren Teils.
    Foto: Antonina Gugała

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    Bisher wurde der mar­­kier­te Bereich des Baka­larska Bazars umgestaltet, der­zeit plant Aleksandra Wasilkowska den Umbau eines weiteren Teils.

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    Der Bakalarska Markt er­öffnete 2010, ...
    Foto: Antonina Gugała

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    Der Bakalarska Markt er­öffnete 2010, ...

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    ... nachdem der Europamarkt am Warschauer Stadium geschlossen worden war.
    Foto: Maciej Landsberg

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    ... nachdem der Europamarkt am Warschauer Stadium geschlossen worden war.

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    Viele hundert Menschen ...
    Foto: Antonina Gugała

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    ... aus 25 Nationen ...
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    ... arbeiten auf dem Bakalarska Markt.
    Foto: Antonina Gugała

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    ... arbeiten auf dem Bakalarska Markt.

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    Aleksandra Wasilkowska ist Architektin und arbeitet an der Schnittstelle von Architektur, Stadtplanung, Kunst und Bühnenbild. Schwerpunkte ihres Architekturbüros in Warschau sind öffentliche Gebäude, Landschaft und die Revitalisierung von Bazaren. Wasilkowska verfasste die Bücher Shadow Architecture und The City is the City. Ihre Installationen wurde auf der Architekturbiennale in Venedig, im Guggenheim Museum New York und Seoul Art Center ausgestellt.
    Foto: Antonina Gugała

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    Aleksandra Wasilkowska ist Architektin und arbeitet an der Schnittstelle von Architektur, Stadtplanung, Kunst und Bühnenbild. Schwerpunkte ihres Architekturbüros in Warschau sind öffentliche Gebäude, Landschaft und die Revitalisierung von Bazaren. Wasilkowska verfasste die Bücher Shadow Architecture und The City is the City. Ihre Installationen wurde auf der Architekturbiennale in Venedig, im Guggenheim Museum New York und Seoul Art Center ausgestellt.

    Foto: Antonina Gugała

Es tut der Stadt gut, wenn sie nicht blitzblank geputzt ist

Geschäfte als Orte des Handels und des Austauschs gestalten den öffentlichen Raum der Stadt maß­geb­lich. Die Archi­tek­­­­tin Aleksandra Wasilkows­ka hat den Umbau des Bakalarska Markts in Warschau betreut. Im Interview sprachen wir mit ihr über den Bazar als Spannungsfeld zwischen Aneignungsprozessen, Designanspruch und Kontrollmaßnahmen.

Text: Landes, Josepha, Berlin; Bruun Yde, Marie, Berlin

Sie haben sich auf den Entwurf von Märkten spezialisiert. Wie kamen Sie dazu?
Vor zwanzig Jahren gab es in Warschau kaum attraktiven Freiraum. Märkte, etwa der am ehemaligen Stadium, waren die einzigen Orte, wo Menschen mit niedrigem Einkommen, Künstlerinnen, Studenten, Migranten, ältere Leute sich trafen – alle, die es sich nicht leisten konnten, ins Restaurant zu gehen. Ich war damals alleinstehend und hatte ein kleines Kind, ich ging auch dort hin. Heute gibt es diesen Ort so nicht mehr. Gehört denn die Stadt den Reichen, den weißen Männern? Oder sollte sie nicht vielmehr für alle Räume bereithalten? Bazare sind multifunktionale Plätze, wo sich Minderheiten treffen, verschiedene Kulturen vermischen sich. Für mich gehören sie zu den inklusivsten Orten überhaupt. Ich wollte herausfinden, warum die Menschen lieber dorthin gehen als auf einen der modernisierten, sauberen Plätze im Stadtzentrum. Einerseits war mein Anliegen, eine bessere Stadt für alle so­zia­len Schichten zu fordern, andererseits eine Kampfansage, die Forderung nach einer Stadt der Zukunft, in der jeder Zugriff auf gesunde und erschwingliche Nahrungsmittel hat. Bazare stellen nämlich auch sicher, dass lokale Versorgungsketten aufrechterhalten werden. Dass zum Beispiel Bauern ihre Produkte anbieten können, fördert den Zusammenhalt einer Gesellschaft.
Wie haben Sie aus diesem privaten Anliegen Architektur entwickelt?
Zuerst war meine Arbeit eher „paper activism“. Fünfzehn Jahre nach dem politischen Wechsel war der öffentliche Raum vieler Städte in Polen von Mauscheleien und dem Schwarzmarkt dominiert. Halblegale oder illegale Strukturen, die Waren teils zwielichtigen Ursprungs feilboten – Kiosks, Klappstände – besetzten den städtischen Raum. Die Verwaltungen wollten sie loswerden, Polen sollte modern im Sinne von europäisch, westlich werden, sauber und ansehnlich. Die Bazare, mit denen ich mich beschäftigt habe, repräsentieren eher eine östliche als eine westliche Lebensrealität. Deshalb gab es zum Beispiel einen Konflikt um den Warschauer Paradeplatz, wo sich rund um den Kulturpalast – diese phallische Großstruktur aus der Zeit des Stalinismus – illegale Büdchen ihren Platz erobert hatten. Dieser zentrale Bazar war in gewisser Weise das Herz der Stadt. Nun gibt es ihn nicht mehr.
Welchen Ansatz haben Sie verfolgt, um die rauen, illegalen Strukturen in einer verträglicheren Form zu verstetigen?
Das Wichtigste war, die Form des Bazars neu zu verhandeln. Es galt, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass es der Stadt guttut, wenn sie nicht blitzblank geputzt ist. Wir sollten nicht alle alltäglichen Nutzungen in ihrer gewachsenen Gestalt an den Rand verdrängen. Ich habe eine Form vorgeschlagen, die den Bazar mit dem Stadtzentrum hätte versöhnen können. Heute steht an seiner Stelle das Museum für Moderne Kunst, das zeigt ganz gut den Geist der Gegenwart. Neben dieser Sehnsucht nach dem Bilbao-Effekt keimt mittlerweile aber auch eine gewisse Anerkennung für Bottom-Up-Ansätze.
Sie konnten also Ihren ersten Vorstoß nicht durchziehen. Nun haben Sie dennoch ein paar Marktplätze realisiert.
Ich konnte die Vertreter der Politik damals nicht überzeugen, den zentralen Bazar zu erhalten. Das Nebeneinander von Bazar und Museum war irgendwie tabu. Aber neben dem Museum gibt es noch genug Platz – ich hoffe, dass da eines Tages wieder ein Markt Platz findet. Die Projekte, die ich schließlich realisiert habe, folgten auf einige Publikationen in deren Nachgang ich mit der Stadt und dem polnischen Architektenverband eine Strategie für ein „Polyzentrisches Warschau“ erarbeitet habe. Diese Strategie sieht für jedes Subzentrum einen Bazar als Mittelpunkt vor.
Das Dokument ist mittlerweile Teil der offiziellen Stadtentwicklungspapiere. Einer dieser Bazare ist der Bakalarska Markt.
Bakalarska ist ein Umbau-Projekt. Was für ein Markt ist das?
Bakalarska ist mit ungefähr 20.000 Quadratmetern der größte Markt unter freiem Himmel in Polen. Jeder Bazar hat hier seine eigene Typologie, das hängt von der Art ab, wie er verwaltet wird, und von seinem Warenangebot. Bakalarska ist fast rund um die Uhr, sieben Tage die Woche geöffnet. Viele Lebensmittel sind Importware aus Vietnam oder Jamaika. Außerdem ist er bekannt für seine „Beauty Street“ mit Nagelstudios und Frisören.
Wer war in diesem Fall Ihr Auftraggeber?
Das Geld kam von den Händlern, sie hatten kein großes Budget. Es war nicht drin, Bäume zu pflanzen. Jeder Quadratmeter muss da als Verkaufsfläche nutzbar sein. Wir haben mit billigem, leicht verfügbarem, teils wiederver­wen­detem Material gearbeitet. Das war ein echtes Bottom-up-Projekt! Ich würde fast sagen,
eigentlich haben die Händlerinnen ihren Markt entworfen.
Aber das Projekt ist auf städtischem Land gebaut. Warum wurden die Händler verpflichtet, den Markt instand zu setzen?
Bazare sind oft in schlechtem Zustand. In Bakalarska gab es einen „Not in my backyard“-Konflikt mit den Nachbarn. Sie haben sich über den „hässlichen Bazar“ vor ihrem Fenster beschwert. Die Stadt stand unter Druck, die Händler zu vertreiben. Daraufhin baten mich die Händlerinnen um Hilfe. Sie sind vertraglich verpflichtet, ihre Buden in Schuss zu halten. Aber die Pacht läuft üblicherweise nur über drei Jahre – mit so wenig Sicherheit investieren die wenigsten. Zuerst einmal habe ich den Händlern geholfen, eine Nutzungsdauer von zwanzig Jahren zu verhandeln, um Investitionen wirtschaftlich zu gestalten.
Und wie sind Sie mit dem Dilemma umgegangen, dass Bazare nun einmal eben die hybride Form haben, die genau den Anwohnern zuwider war?
Eine Idee war es, die Architektur nur als Hintergrund für die Abläufe des Marktes einzusetzen. Auch deshalb ist das Design so neutral, alles weiß. Die weißen Fassaden sind der Kompromiss, sozusagen das „Interface“ für Händler und Anwohnerinnen. Trotzdem war von Anfang an klar, dass es nicht geht, eine einheitliche Front hinzustellen. Ich wusste, dass über Kurz oder Lang alles mit Werbung überzogen wäre, jeder Händler würde sich Extras aushandeln. Daher dieser „Hanoi style”, bei dem die Fassade in der Höhe verspringt. Auf zwei Meter haben wir eine Grenze ausgemacht: Darüber lag alles in meiner Gestaltungsmacht, darunter konnten die Händler machen, was sie wollten. Unterdessen haben sie sich zwar auch meinen Teil einverleibt, aber das war unsere anfängliche Abmachung.
Wie sieht es jetzt dort aus?
Der Markt ist seit zwei Jahren fertig. Jegliche Abmachung hat sich verflüchtigt. Es ist schwierig, den Markt als meinen Entwurf zu bezeichnen, aber ich denke, dass er meinen Fingerabdruck trägt. Nach und nach wird mein Mitwirken immer weiter verblassen. Ein Bazar ist nicht wirklich dafür gemacht, sich ordnen zu lassen. Ich finde Bakalarska ist ein unglaublicher Ort. Erst gestern war ich dort und es war so voll! Die Architektur ist komplett mit Werbung bedeckt, kein Zentimeter ist mehr frei. Neue Läden sind entstanden, das ist pure Selbst-Organisation. Sicher könnte man das hässlich finden, aber ich halte es vor allem für lebendig.
Sie bezeichnen diese Art vergessener oder sogar vermiedener, ja stigmatisierter Architektur als „Schattenarchitektur“. Meinen Sie damit Architektur ohne Architekten?
Der Begriff bezieht sich auf Carl Gustav Jungs Archetyp des Schattens, der die verborgene Seite unseres Bewusstseins darstellt, auf Tabus und Verdrängung anspielt. Für mich sind Schattenarchitekturen kleine, eher unscheinbare Objekte, eben Bazare, aber auch Toiletten oder Mülleimer – die Dreckecken der Stadt. Mein „Therapie-Konzept“ ist es, sie zu integrieren, damit die Gesellschaft widerstandsfähig ist. Ich glaube schon, dass Architektinnen dabei helfen können.
Fakten
Architekten Wasilkowska, Aleksandra, Warschau
aus Bauwelt 21.2023
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