Bauwelt

Nächstes Mal machen wir es besser falsch

Zwischen Blumentöpfen und Gar­tenmöbeln in Berlin-Neukölln erzählen Lara Stöhlmacher, Aslı Varol und Océane Vé-Réveillac vom fem_arc Kol­lektiv über gerechte Räu­me, die Krux der Geo­metrie und produk­tive Über­forderung.

Text: Sturm, Hanna, Leipzig

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fem_arc Kollektiv ist eine Gruppe von Architektinnen, die an intersektionellen Projekte arbeiten. Durch Formate wie Workshops, Talks, Podcasts und Audiowalks hinterfragen sie Normen und Standards im Beruf sowie in der gebauten Umwelt.
Foto: Jonathan Gescher

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fem_arc Kollektiv ist eine Gruppe von Architektinnen, die an intersektionellen Projekte arbeiten. Durch Formate wie Workshops, Talks, Podcasts und Audiowalks hinterfragen sie Normen und Standards im Beruf sowie in der gebauten Umwelt.

Foto: Jonathan Gescher


Nächstes Mal machen wir es besser falsch

Zwischen Blumentöpfen und Gar­tenmöbeln in Berlin-Neukölln erzählen Lara Stöhlmacher, Aslı Varol und Océane Vé-Réveillac vom fem_arc Kol­lektiv über gerechte Räu­me, die Krux der Geo­metrie und produk­tive Über­forderung.

Text: Sturm, Hanna, Leipzig

Euer Kollektiv fem_arc setzt sich mit der räumlichen Dimension von Gerechtigkeit und einer feministischen Praxis in der Architektur auseinander. Könnt ihr euch und eure Arbeit kurz vorstellen?
Lara Stöhlmacher Wie der Name schon sagt, hat fem_arc mit feministischer Architektur zu tun. Wir beschränken uns aber nicht darauf zu sagen, dass es mehr Architektinnen braucht. Wir wollen schauen, was Leute für individuelle Erfahrungen mit dem Thema gesammelt haben. Wie können diese Erfahrungen in der Architekturpraxis, in der Lehre, im Diskurs mehr Raum finden? Das untersuchen wir in verschiedenen Formaten.
2018 habt ihr euer Kollektiv gegründet. Wie kam es dazu?
LS Wir haben uns an der Universität der Künste in Berlin zusammengefunden. Auslöser waren die UdK-Tuesdays, eine klassische Vortragsreihe über Architektur, meistens eine Werkschau. Wir dachten, es wäre spannend, anders über Architektur zu sprechen und diversere Perspektiven auf Raumproduktion zu sammeln.
Aslı Varol Die Leute, die beim UdK-Tuesday sprechen, werden von Professor/innen ausgewählt und eingeladen. Auf der Liste der Vortragenden standen hauptsächlich Männer. Wir haben uns gefragt, wie Studentinnen da ein Rollenbild finden sollen.
Océane Vé-Réveillac Wir hatten den Aktzeichensaal für unsere Vortragsreihe ausgesucht, der sich für eine offenere Gestaltung anbot. Wie könnte die Vortragssituation aussehen? Vielleicht wollen Leute auf dem Boden sitzen, vielleicht sind Kinder dabei.
Ihr sagt, räumlicher Ausdruck muss sich nicht in physischer Architektur materialisieren. Welche Mittel stehen zur Gestaltung dieses immateriellen Raums zur Verfügung?
LS Etwas, das sich durch viele unserer Forma­te zieht, ist das Sammeln von Geschichten. Da­bei gehen wir weg vom Zeichnerischen, arbeiten mit Sound, mit Worten. Auf unserer Homepage steht ein Zitat von Katie Lloyd Thomas. Sie hinterfragt darin, ob ein Stift und Papier im Zeichensaal die richtigen Voraussetzungen für das Entwerfen sind.
AV Der Text kritisiert auch die Geometrie an sich, die ja eine von Männern entwickelte Tradition ist. Auf ihr baut alles auf. Uns geht es darum, wie wir Architektur anders darstellen, damit wir unsere Wahrnehmung auf sie und ihre Produktion verändern können. Was passiert, wenn wir einen Entwurf nicht zeichnen, sondern erzählen?
Das Infragestellen des klassischen Architekturbegriffs ist mit einer Kritik an den Ausbildungskonzepten der Architekturhochschulen verknüpft. Wie sollte sich die Lehre verändern?
AV Die Frage ist: Wer bekommt lebenslange Professuren? Jede/r Lehrende bringt ein eigenes Verständnis und eigene Formate mit.
OVR Wir stellen in Workshops oft die Frage: Wie bist du hierhergekommen? Solange man seinen Standpunkt und seine Privilegien nicht reflektiert, ist es schwierig gesellschaftliche Verantwortung zu tragen. Was heißt es weiß zu sein, was heißt es einen Migrationshintergrund zu haben? Welche Formen von Diskriminierung erfährt man? Ich finde, das sollte ein wichtiger Punkt in der Architekturlehre sein.
Was sind die F_WALKS und wie kamt ihr zu dem Projekt?
LS Die Galerie Futura, eine feministische Galerie in Berlin, hat uns letztes Jahr angesprochen, ob wir im Rahmen einer Ausstellung über Zukunftsvisionen für Berlin eine Stadtführung machen könnten. Wir wollten anhand von Beispielen zeigen, wie Menschen sich Raum auf emanzipato­rische Art aneignen. Der Audiowalk ist nicht an einen Ort gebunden. Es geht um das, was uns über sprachliche, gesellschaftliche, räumliche Grenzen hinweg verbindet.
Was ist das Ziel dieser Form von Raumerfahrung?
AV Wenn wir nach den Spaziergängen in der Gruppe sammeln, welche Momente den stärksten Eindruck hinterlassen haben, sind es oft die, in denen es um Barrierefreiheit geht. Die Teilnehmer/innen sollen langsam laufen. Weil sie sich anders bewegen, nehmen sie den Stadtraum anders wahr. Hinterher sagten dann viele: Ah, mir ist gerade zum ersten Mal aufgefallen, dass hier Stufen sind und kein Aufzug. Solche Perspektivwechsel wollen wir erzeugen.
Durch die Corona-Pandemie wurde der eigene Körper plötzlich sehr präsent. Hat sich euer Blick auf die Beziehung zwischen Körper und Raum seit der Pandemie verändert?
OVR Der eigene Körper konnte plötzlich andere in Gefahr bringen. Die Grenze zwischen Innen und Außen war nicht mehr die Wohnungstür oder das Fenster, sondern der Körper, die Luft um ihn herum.
LS Bei unserem fem_arc STUDIO haben wir über die Veränderung der Begriffe privat und öffentlich diskutiert. Im Video Call entstehen seltsame Zwischenräume, man kuratiert sich in der eigenen Wohnung.
AV Online ist die Diskussionskultur anders. Man unterbricht sich seltener und niemand kann sich nach hinten setzen.
OVR Als Lehrende habe ich erfahren, dass gewisse Ungleichheiten verstärkt werden. Manche haben keine Kamera, einen alten Laptop oder eine schlechte Internetverbindung. Es war eindrucksvoll, wie nötig die Universität als physischer Ort zum Studieren und Fokussieren ist.
In eurem fem_arc STUDIO fordert ihr in Workshops dazu auf, künstlerische Perspektiven auf das Leben in der Pandemie zu öffnen. Wel­che Ideen oder Bilder sind euch besonders in Erinnerung geblieben?
LS Es war toll das Vertrauen zwischen den Studierenden zu sehen. Wenn es um Themen wie Gerechtigkeit geht, wird es schnell persönlich. Ein Teilnehmer ist im Rahmen des Workshops das erste Mal mit Frauenkleidung auf die Straße gegangen und hat dieses Erlebnis dokumentiert. Während des Pandemiejahres konnte er sich zu Hause noch einmal anders mit seiner Identität beschäftigen.
Eure Formate setzen sich mit unterschiedlichsten Positionen auseinander: immersives Theater, critical Mapping, medienkritische Performance. Ist dieser interdisziplinäre Ansatz immer produktiv oder wird euch der Gegenstand eurer Untersuchungen manchmal zu groß?
OVR Es ist immer interessant nach der Methode zu schauen: Wie macht man immersives Theater? Kann man da etwas in seine eigene Praxis übertragen? In meinem ersten Semester hatte ich eine tolle Professorin: Clotilde Barto. Das Erste, was sie uns gesagt hat war: Ich verbiete euch in ein Architekturmagazin zu schauen. Ihr müsst ins Theater gehen, Bücher lesen, euch kennenlernen und ihr werdet sehen, alle diese Dinge werden sich zusammenfügen. Das war ein toller Tipp ganz am Anfang.
Wie stellt ihr euch einen gerechten Raum vor?
AV Wenn wir das beschreiben könnten, würden wir nicht hier sitzen. Es ist ein Prozess. Wir suchen nach unterschiedlichen Perspektiven auf Gerechtigkeit. Kann es für alle gerecht sein?
LS Da muss ich an Jos Boys denken, die zu uns gesagt hat: Am Ende des Tages kommt es da­rauf an zu verstehen, dass es nicht die eine gerechte Version gibt. Es wird nie für Jeden passen. Die Frage ist, wie wir es schaffen können, dass es nicht nur für die Stärksten und Lautesten passt, sondern dass wir als Planerinnen dafür sorgen, dass auch andere einen Platz für sich finden. Und dann werden wir uns immer noch kritisieren lassen müssen. Das zu begrei­fen war eine Erleichterung. Wir können es nur falsch machen und nächstes Mal machen wir es besser falsch.
OVR Es ist ein komplexer Raum. Und das ist auch unsere Idee, diese Komplexität zu erlauben.
Fakten
Architekten fem_arc, Berlin
aus Bauwelt 17.2021
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