Es geht um Bürokultur, nicht um Frauenbevorzugung
Im Bauwelt-Gespräch diskutierten Vertreter:innen des Berufsstands, aus der Kultur und Forschung die Handlungsmöglichkeiten im Bereich Sichtbarkeit von Architektinnen und gerechter Bezahlung, die fehlende Sensibilität für stereotypische Erwartungshaltungen und die Rolle der Männer bei der Realisierung von Gleichstellung.
Text: Flagner, Beatrix, Berlin; Bruun Yde, Marie, Berlin
Es geht um Bürokultur, nicht um Frauenbevorzugung
Im Bauwelt-Gespräch diskutierten Vertreter:innen des Berufsstands, aus der Kultur und Forschung die Handlungsmöglichkeiten im Bereich Sichtbarkeit von Architektinnen und gerechter Bezahlung, die fehlende Sensibilität für stereotypische Erwartungshaltungen und die Rolle der Männer bei der Realisierung von Gleichstellung.
Text: Flagner, Beatrix, Berlin; Bruun Yde, Marie, Berlin
In diesem Jahr war der Equal-Pay-Day am 10. März. Aufgrund geschlechtsspezifischer Lohngefälle haben Frauen bis zu diesem Datum theoretisch unbezahlt gearbeitet. Die Bundesarchitektenkammer hat bereits in mehreren Studien einen „Gender-Pay-Gap“ in der Architekturbranche dokumentiert. Warum gibt es den Gehaltsunterschied?
Ralf Niebergall Wie leider fast überall in der deutschen Wirtschaft ergibt sich auch bei Architekt:innen ein geschlechtsspezifischer Gehaltsunterschied von bis zu 25 Prozent. Bei vergleichbaren Positionen, in vergleichbaren Unternehmen besteht eine Differenz von sechs Prozent. Was uns beunruhigt, ist das strukturelle Problem, das dahintersteht. Frauen haben seltener Führungspositionen in großen Architekturbüros und sind seltener in der gewerblichen Wirtschaft tätig – zum Beispiel in Immobilienunternehmen – die üblicherweise mehr zahlen. Frauen arbeiten eher in kleinen Architektur- und Planungsbüros und sind häufiger diejenigen, die Karrierebrüche wegen Kinderbetreuungszeiten und Pflege von Angehörigen haben. So entsteht auch ein Gender Pension Gap.
Welche Konsequenz zieht man daraus?
Ralf Niebergall Schon vor drei Jahren haben wir uns auf europäischer Ebene mit einer Arbeitsgruppe an einer Initiative beteiligt, die sich mit Chancengleichheit beschäftigt. Wir kommen alle aus verschiedenen Richtungen, sodass zunächst eine Bestandsaufnahme gemacht werden musste. Die skandinavischen Länder waren z.B. nicht wirklich an diesem Thema interessiert, denn dort gibt es das Problem nicht. Nach Rückkopplungen mit verschiedenen Fraueninitiativen wurde der Katalog „Sichtbar machen“ fertig gestellt, in dem die dringlichsten Aufgaben festgehalten sind. Es geht darum zu stärken, zu informieren und um die nötigen Maßnahmen der Unterstützung, bis hin zu Mentoring-Programmen.
Es gibt den von Ihnen angesprochenen Katalog, der Bericht „Frauen in der Architektur“ der TU München erschien 2018, im Juni fand das Women in Architecture Festival Berlin statt: Wieso sprechen wir von Transformation, bleiben aber bei der Affirmation von traditionellen Geschlechterrollen?
Sandra Schuster Natürlich wäre es toll, wenn wir Post-Gender wären. Aber die TUM-Studie hat gezeigt, dass wir noch nicht so weit sind. Es braucht eine Sichtbarmachung bestimmter Strukturen, damit sich Dinge verändern können.
Elke Duda Viele Frauen haben erst während des Festivals angefangen, über die Thematik nachzudenken. Die Sensibilität für die eigenen stereotypischen Erwartungshaltungen ist bei vielen nicht entwickelt. 2018 haben wir im Rahmen der Ausstellung „Frau Architekt“ im DAM ein Symposium unter dem Titel „Yes, We Plan!“ organisiert, anschließend eine Art Wunschzettelumfrage erarbeitet und den Länderkammern übergeben. Die bereits angesprochene Sichtbarmachung ist dabei wichtig. Entscheidend ist es aber, Strukturen zu ändern. Ein weiterer Punkt in der Architekturbranche ist die Erwartungshaltung vieler Architekturbüros an eine permanente 24/7-Verfügbarkeit von Arbeitskraft. In Schweden z.B. ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein wichtiges Gut und alle kümmern sich darum.
Hemma Fasch Ich möchte das gerne etwas relativieren: Sowohl Männer als auch Frauen müssen Kinder betreuen und inzwischen haben viele Architekturbüros dafür Verständnis, gerade in der Pandemie hat man das gesehen. Die Rücksichtnahme geht vielleicht manchmal zulasten derer, die keine Kinder haben, aber das muss dann einfach verhandelt werden. Kinderbetreuung sollte eine Gemeinschaftssache sein, aber das Hauptproblem ist, es fehlen Einrichtungen für die Betreuung. Architektinnen oder Alleinerziehende können deswegen nicht so intensiv in den Beruf einsteigen.
Statt also Frauen zu sagen, sie sollen wie Männer arbeiten, müssen sich generell die Arbeitsbedingungen in der Architektur ändern, um Chancengleichheit zu verwirklichen.
Hemma Fasch Frauen müssen auch wie Männer studieren! Es gibt Vorgaben zur maximalen Studiendauer, auch wenn man Kinder bekommt.
Sandra Schuster Das Stichwort lautet Kulturwandel. Wir haben in unserem Forschungsprojekt festgestellt, dass Einzelpersonen oft nur subjektive Beispiele anführen: „Bei uns im Büro ist das nicht so“, „ich hatte noch nie ein Problem auf der Baustelle“. Schaut man in die Breite, zeigen sich Ungleichheiten. Eine Studie vom Deutschen Institut für Wirtschaft legt dar, dass im öffentlichen Bereich mit tariflichen Regelungen eine Zahlungsgleichheit gewährleistet wird, weil sie transparent ist. Transparenz, verankert in der Bürokultur, könnte zu besseren Bedingungen für alle führen. Genauso das Etablieren von Anerkennung bei flexiblen Arbeitszeitmodellen: Jemand in Teilzeit kann im Büro eine verantwortungsvolle Position einnehmen, egal ob Mann oder Frau.
Hemma Fasch Es ist wichtig, dass man Frauen anbietet flexibel sein zu können, sodass sie eine Arbeitszeit haben, in der sie frei sind vom familiärem Druck. Es muss etabliert werden, dass bestimmte Regeln in einem Büro gelten und die für alle gleich sind.
Die wenigsten Männer reduzieren entsprechend ihre Arbeitszeit und beteiligen sich immer noch weniger an der Kinderbetreuung und im Haushalt. Müsste von Männern mehr Verantwortung eingefordert werden?
Ralf Niebergall Der Mann wird deutlich schiefer angeschaut, wenn er in Teilzeit geht, um die Kinderbetreuung zu übernehmen. Aber es findet ein Umdenken in der Gesellschaft statt und junge Männer haben eine andere Position zur Work-Life-Balance. Das ist eine Kulturfrage. Doch bei paritätisch besetzten Führungsriegen ist es oft der Mann, der die Vorträge hält und in die Wettbewerbsjurys berufen wird. Architekturbüros sind häufig offen und divers, aber die Bauwirtschaft und die Immobilienwirtschaft sind männlich dominiert. In der Projektgruppe Chancengleichheit bin ich auch der einzige Mann.
Sandra Schuster In der Studie ist das eine offene Forschungsfrage geblieben: Wie gehen Männer mit diesem permanenten Anspruch der Verfügbarkeit und der zeitlichen Entgrenzung des Berufsbildes um?
Elke Duda Für mich gehört zur Arbeits- und Baukultur dazu, dass Büros proaktiv eine flexible Arbeits- und Projektstruktur für Frauen und Männer kommunizieren. Es geht um Bürokultur, nicht um Frauenbevorzugung. Da sehe ich Büros im Speziellen und die Kammern im Allgemeinen in der Pflicht, für eine andere Kultur zu werben.
Können staatliche Instrumente hilfreich sein? Paritätische Besetzung von Jurys, Quoten bei Aufträgen, Genderkonzepte bei Wettbewerben?
Hemma Fasch Eine Quote bei Jurys oder bei Wettbewerbsentscheidungen empfinde ich gegenüber Frauen als ungerecht, weil sie dann offensichtlich gesetzliche Unterstützung brauchen. Es geht doch um die Qualität der Arbeit. Sowohl für Frauen als auch für Männer ist es schwierig, über Wettbewerbe ins Geschäft zu kommen. Eine Unterstützung über Kammerinitiativen oder eine Ausnahme im Bundesvergabegesetz für bestimmte Projektgrößen wäre richtig. Männer spüren die Mehrfachbelastungen genauso wie Frauen. Sie müssen genauso unterstützt werden, damit man nicht wieder das klassische Rollenbild reproduziert: Frauen, die sich zu Hause kümmern, müssen wir unterstützen, während Männer selbstverständlich in den Beruf einsteigen. Das wäre ein falsches Signal.
Elke Duda Ich möchte betonen, dass ich eine Verfechterin der Quote bin. Gerade bei der Besetzung von Jurys, aber auch bei Einladungen zu Podiumsdiskussionen oder bei Beiträgen in Zeitschriften. Wir haben in den letzten zwanzig Jahren doch gesehen, dass Eigenverantwortung am Ende nicht funktioniert. Kammern und Büros sollten sich dazu verpflichtet fühlen, Leitfäden aufzustellen. Architectural Review hat ein Manifest zur Gleichstellung formuliert, von der RIBA gibt es einen Leitfaden zur Vermeidung des Gender-Pay-Gaps. Doch am Ende müssen Büros eine Eigenverantwortung übernehmen.
Sandra Schuster Es existieren generell wenige Erhebungen und Daten. Dabei ist die Dokumentation eine Form der Reflexion: Wie sind die aktuellen Entwicklungen? Wie viele Frauen und Männer treten jährlich in die Länderkammern ein, machen einen Architekturabschluss oder werden für eine Professur berufen? Besteht da Gleichheit? Wenn nicht, was sind die Gründe? Die Dokumentation von Zahlen und Fakten ist wichtig, um beurteilen zu können, ob sich etwas verändert oder man doch eine Quote braucht. Allerdings ist die Gewinnung von Drittmitteln eine Herausforderung: Im Bereich der Soziologie scheint das Feld zu spezifisch, während im Architekturbereich gesagt wird, das sei Soziologie.
Alles Maßnahmen, die Zeit brauchen. Gibt es auch schnellere Handlungsmöglichkeiten?
Hemma Fasch Es gibt nichts Schlimmeres für ein Büro als permanent wechselnde Mitarbeiter:innen, das ist ein wirtschaftliches Desaster. So gesehen ist die Achtung auf Gleichheiten im Eigeninteresse der Büros.
Elke Duda Viele Dinge können im Büro schnell umgesetzt werden: Lohnvergleiche von Frauen und Männern, einen eigenen Leitfaden erstellen oder sich aus einem Katalog Maßnahmen herauszuschreiben und zu etablieren. Oder einfach der Personalabteilung eine Schulung zu Gender-Bias, zu unterbewusster Diskriminierung, geben.
Ralf Niebergall Die Kammern haben die Möglichkeit, Best-Practice-Büros zu teilen. Aufzuzeigen, wie sich gemischte Teams und Work-Life-Balance auch wirtschaftlich positiv auswirken können. Auch an Jurybesetzungen sind die Kammern beteiligt und können die Bauherren auf einer Gender-Balancierung aufmerksam machen.
Elke Duda Wichtig ist es, die richtigen Fragen zu stellen und dafür auch Geld in die Hand zu nehmen. Wofür wird der Haushalt der Kammer eingesetzt? Warum nicht für eine Umfrage, die mehr Licht ins Dunkel bringt?
Sandra Schuster ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Chair of Architecture and Timber Construction an der TU München und leitete 2018 die Studie „Frauen in der Architektur“ über fachkulturell relevante geschlechtergerechte Veränderungen.
Hemma Fasch leitet das Architekturbüro Fasch & Fuchs in Wien und ist Mitglied der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Wien, Niederösterreich und Burgenland.
Ralf Niebergall betreut als Vizepräsident der Bundesarchitektenkammer und als „Head of Delegation“ der deutschen Delegation im Architects’ Council of Europe das Thema Chancengleichheit.
Elke Duda ist Architektin. Sie ist Teil des Planerinnen-Netzwerks „n-ails“ und war Mitinitiatorin und Koordinatorin des Women in Architecture Berlin 2021 Festivals.
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