Grzimek ist für mich ein Pionier in vielen Dingen
Regine Keller über Olympische Spiele im Grünen, Günther Grzimeks Verständnis vom demokratischen Grün und den Olympiapark als Gebrauchsgegenstand
Text: Hoetzel, Dagmar, Berlin; Friedrich, Jan, Berlin
Grzimek ist für mich ein Pionier in vielen Dingen
Regine Keller über Olympische Spiele im Grünen, Günther Grzimeks Verständnis vom demokratischen Grün und den Olympiapark als Gebrauchsgegenstand
Text: Hoetzel, Dagmar, Berlin; Friedrich, Jan, Berlin
Wie kam die Zusammenarbeit von Günter Behnisch und Günther Grzimek zustande?
Günther Grzimek war lange Jahre Gartenamtsleiter in Ulm. Er wurde Günter Behnisch, als dieser 1960 jemanden suchte, um die Ingenieurschule in Ulm zu bauen, vom staatlichen Bauamt als Landschaftsarchitekt empfohlen. Die beiden haben sich von Anfang an wohl sehr gut verstanden. Behnisch merkte, dass Grzimek gut mit Gelände und mit Architektur umgehen kann.
Im Wettbewerb für das Olympiastadion in München war Grzimek noch nicht beteiligt, Carlo Weber war maßgeblich für die Geländegestaltung verantwortlich. Viele der wunderschönen Skizzen zum Gelände sind vom ihm. Er hatte großes Talent für den Umgang mit der Topografie. Man sieht das schon an den ersten Modellen, die aus Sägemehl hergestellt wurden. Behnisch schlug dann Grzimek als Landschaftsarchitekt vor. Es gab keine Ausschreibung, keinen weiteren Wettbewerb für den Landschaftsteil. Für Grzimeks Beauftragung mag auch ausschlagend gewesen sein, dass Otl Aicher und Günther Grzimek sich bereits aus Ulm kannten – sie hat eine lebenslange Freundschaft verbunden.
Hatte Grzimek ein eigenes Büro?
Ja, in Kassel, wo er auch Professor war. Er hat dann aber ein Büro in München eröffnet und saß mit den anderen Planern zusammen in einem Gebäude im Olympiapark. Als er 1972 an die TU München berufen wurde, wechselte auch sein Büro komplett nach München.
War das Leitbild für den Park schon im Wettbewerb entstanden?
Es gab ein paar Leitbildskizzen von Carlo Weber. Unter anderem zu der Frage, wie man mit dem Olympiaberg als der einen hohen Erhebung im Areal umgeht. Die Idee war, diese über das ganze Gelände weiterzuziehen und aus dem Aushub der Stadien und des Sees ein Cut and Fill, also ein Herausnehmen und Wiederauffüllen, zu machen. Das ist sehr modern, was den ökologischen Footprint betrifft. Es wurde kein Material abgefahren, sondern vor Ort verwendet, um damit die Erdstadien wie selbstverständlich in eine Gesamtmodellierung einzubetten. Es gab auch Skizzen zur Wegeführung, die Wege sollten immer an den Bergkuppen entlangführen, nie über diese hinüber, ähnlich Bergwanderwegen. Und es gab das Prinzip, Bäume im Raster zu stellen.
Grzimek hat diese Ideen dann weitergeführt?
Grzimek hat fünf Entwurfsprinzipien daraus abgeleitet, die er durch den ganzen Park zog. Doch betonte er immer, er habe, bevor er die Prinzipien aus dem Wettbewerb übernahm, eine intensive Landschaftsanalyse vorgenommen. Einerseits, um die Landschaft zu verstehen, andererseits, um nicht einfach ein Bild zu applizieren, das sich nicht herleiten ließ. Er hat sich viele Motive angeschaut aus klassischen Parks, der Voralpenlandschaft und dem barocken Kanalsystem, um diese weiterzuentwickeln und schließlich fast archetypische Bilder im Park zu schaffen.
Welche Prinzipien waren das?
Das eine Prinzip ist Berg und Modellierung. Damit bearbeitet er das ganze Areal. Mit der Modellierung geht eine Rasen- und Wiesenlandschaft einher. An den steilen Flanken wurden Wiesen angelegt – mit dem Motto: Blumen pflücken erwünscht! –, in den Flächen, die den Menschen zu Aneignung zur Verfügung gestellt werden, kurz geschnittener Rasen unter der Maxime: Betreten erlaubt! Als Antithese zu Parks feudaler Herkunft, die man damals nicht betreten durfte. Im Englischen Garten war es seinerzeit nicht erlaubt, auf den Wiesen zu liegen. Das haben sich erst die Hippies erobert.
Das nächste Prinzip ist, typische Pflanzen aus der freien Kulturlandschaft zu verwenden. Das heißt zum Beispiel, am Berg Latschenkiefern zu pflanzen, die man aus dem Gebirge kennt. Der Olympiaberg existierte ja schon, es ist der Trümmerberg, und er war mit Pappeln bepflanzt. Die ließ Grzimek fällen, weil er meinte, dass die Pappeln den Berg zu klein machen. Er pflanzte an den Bergflanken kleinere Gehölze, sodass der Berg als Zentrum des Parks wirken kann und das Stadion nicht der höchste Punkt ist, sondern die Naturanalogie die Dominante ist. Am See wurden Weiden gepflanzt, und die Linden als Leitbaumart stehen im Raster von 7,5 x 7,5 Metern. Da immer wieder Bäume ausgelassen wurden, spürt man das Raster nicht, nimmt es nur ganz subtil wahr. Das Raster soll den architektonischen Norden mit dem landschaftlichen Süden verbinden.
Welche Überlegungen liegen der Wegeführung zugrunde?
Die Wegestruktur ist nie achsial, sondern immer verzweigt. Grzimeks Idee war, die Wege so klein zu halten, dass man, obwohl die Olympischen Spiele ja eine Massenveranstaltung waren, nie den Eindruck von Aufmarschachsen hat. Es gibt Sichtachsen, aber keine Wegeachsen. Wenn die Massen durch den Park strömen, nehmen viele kleine Wege genauso viele Menschen auf wie ein großer Weg. Und die Vereinzelung verhindert Panikgefühle. Das war psychologisch gedacht. Wie überhaupt bei der ganzen Planung soziologische Überlegungen, wie sich Menschen bei einer Massenveranstaltung verhalten, Beachtung fanden. Dazu gehörte das Aneignen der Wiesen, die verzweigten Wege und kaum Beschilderung – die Hostessen sollten lebende Wegweiser sein. Das hatte sich Otl Aicher ausgedacht.
Wasser ist ein weiteres wichtiges Element des Parks.
Ja, als historisches Zitat des Nymphenburger Kanals und aufgestaut als See. Hier gab es die große Idee zur Retention. Der See nimmt alle Oberflächenwasser auf. Auch die der Dachflächen. Es ist alles so modelliert, dass der See der Vorfluter für Starkregenereignisse ist. Allerdings ist er aus Sicherheitsgründen an seiner tiefsten Stelle nur 1,30 Meter tief – leider! Das macht ihn ökologisch zu einem Desaster. Er wird viel zu warm, ist völlig veralgt. Es gibt einen Bypass, um ihn zu säubern, der allerdings nie richtig funktioniert hat. Der See ist eher ein Sorgenkind.
Das fünfte Prinzip ist die Möblierung. Sie wurde eigens für den Olympiapark erfunden. Die Bänke stehen einzeln und in Gruppen, halbrund, kommunikativ. Das waren die drei Möblierungselemente – Parkbank, Mülleimer und ein Lampentyp –, die für den Park realisiert wurden. Es gab noch Entwürfe für Spielobjekte aus Beton, die aus Kostengründen leider nie gebaut wurden. Es waren einfache architektonische Konstellationen, von denen Grzimek sagte, sie seien inspirierend, aber nicht monofunktional. Es waren abstrakte Gebilde, weil er der Meinung war, Kinder brauchen Anregungen, aber keine vorgefertigten Spielideen. Deshalb gab es auch anfangs keinen Spielplatz im ganzen Olympiaareal. Eher ein kuratorisches, angeleitetes Spiel, wie in der Spielstraße. Die Idee war, dass man interaktiv miteinander ins Spiel kommt.
Gab es Diskussionen um die neuartigen Elemente des Parks?
Der Park war genehmigungsfrei. Man hat schon darauf geachtet, nach Normen zu bauen. Aber viele Sachen wurden auch komplett neu erfunden, für die gab es überhaupt keine Normen. Zum Beispiel die Wegebeläge: der sogenannte Olympia-Mastix, der auch heute noch so heißt. Man wollte Wege, die ausschauen wie Kieswege, über die aber trotzdem ein LKW fahren kann. Also hat man Heiß-Asphalt (Mastix) ausgebracht und Biergarten-Split reingestreut. Da musste auch eine Behörde extrem offen sein.
Wäre das heute nicht mehr möglich?
Es gibt nicht wenige Autoren, die schreiben, wenn alle nicht so super mitgespielt hätten, dann hätte es das Stadion und den Park so nicht gegeben. Das zieht sich ja von der Preisgerichtsentscheidung mit Egon Eiermann über Franz-Josef Strauß bis zu Hans-Jochen Vogel und den Bauämtern. Alle werden zitiert als unglaublich mutige Leute, die gesagt haben, wir machen das jetzt und wir stehen dafür gerade. Das finden Sie mal heute! Diese Bereitschaft zum Risiko.
Zunächst aber nicht ganz uneingeschränkt,
Richtig, das belegen Hintergrundgeschichten, wenn beispielsweise Fritz Auer erzählt, wie ihnen zugesetzt wurde, bis sie das Dach bauen durften: viel Gegenwind und zwei Gegengutachten der TU München von namhaften Kollegen, dass das Dach nicht baubar sei. Im März 1968 haben Behnisch & Partner den Auftrag bekommen – da mussten sie aber immer noch beweisen, dass das Stadion baubar ist.
Nur zwei Monate später, im Mai, beginnt Grzimek bereits mit den Erdarbeiten vor Ort. Die Bauherren gingen davon aus, dass die Modellierung so gemacht wird, wie im Wettbewerb vorgesehen, und irgendein Dach würden sie schon daraufsetzen. Was für ein Wagemut! Heute, wo alles justifiziert wird – was nicht zuletzt zu erheblichen Bauzeitenverlängerungen führt –, wäre so eine Vorgehensweise unvorstellbar.
Haben die Menschen den Park von Anfang an angenommen?
Grzimek fing schon 1971 an, Bergfeste zu veranstalten. Er hat Esel- und Ponyreiten angeboten, Kasperletheater, Lagerfeuer – all das, was er als Spiel für richtig empfand. Der Park begann also schon während der Bauzeit, für die Benutzer wirksam zu werden. Diese Feste waren super besucht, wohl auch, weil man vom Berg einen guten Blick auf die Stadionbaustelle hatte. Ich finde das außerordentlich, weil der Park auf diese Weise allmählich von der Bevölkerung in Besitz genommen wurde.
War Grzimek seiner Zeit voraus?
Absolut! Er ist für mich ein Pionier in vielen Dingen. Vom Schwammstadtprinzip über ökologische Fragen bis zu klimagerechten Pflanzen ist alles in seinen Überlegungen enthalten. Auch seine Idee, die heute als „essbarer Park“ bezeichnet würde – heimische Gehölze nähren die Vögel, Wiesenblumen die Bienen –, ist ökologisch. Dennoch schreibt er, der Olympiapark sei eindeutig ein Artefakt. Die von Menschenhand gestaltete Natur bleibt ablesbar und stellt kein Imitat von Natur dar. Es ist ja nicht wie im Englischen Garten der Versuch, eine elysische Landschaft herzustellen, sondern es bleibt im Artefaktischen. Da ist er natürlich bei Otl Aicher und dessen Credo vom Gebrauchsgegenstand: Auch der Park muss ein Gebrauchsgegenstand sein – gut designt und animierend zum Benutzen.
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Regine Keller
ist Landschaftsarchitektin und Stadtplanerin. Sie hat die Professur für Landschaftsarchitektur und öffentlichen Raum an der TU München inne, wo sich auch das Archiv Günther Grzimek befindet.
ist Landschaftsarchitektin und Stadtplanerin. Sie hat die Professur für Landschaftsarchitektur und öffentlichen Raum an der TU München inne, wo sich auch das Archiv Günther Grzimek befindet.
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