Text: Bruun Yde, Marie, Berlin
Für drei Monate leben sie in ihrem Mondhabitat, abgelegen, offline, isoliert, um den Zusammenhang zwischen Architektur und Wohl befinden, wie er im Weltraum erlebbar werden könnte, am eigenen Körper auszutesten. Ihr Habitat, LUNARK, ist von der japanischen Origami-Faltkunst inspiriert. Der sieben Quadratmeter gro-ße Raum ist dicht bepackt, gut durchdacht und mit Pflanzen ausgestattet. Draußen herrschen 22 Grad minus, das Interview mit der Bauwelt ist das einzige auf der Mission. Die Verbindung per Satellitentelefon wurde 14 Mal unterbrochen.
Was macht ihr während eures Aufenthalts?
Vier Dinge beschäftigen uns. Erstens, das Habitat: Instandhaltung, Aktualisierung, neue Funktionen. Wir haben einen 3D-Drucker dabei, mit dem wir beispielsweise drei kleine Wassertanks für unseren Algenreaktor, die wir vergessen hatten, gedruckt haben. Zweitens, Forschung: Wir sind Versuchskaninchen in einer Reihe psychologischer Studien. Wir kollaborieren mit DTU Space (Dänemarks Technische Universität) und testen u.a. Schlafqualität, Konfliktmanagement, kognitive Performance und fragen uns, ob Virtual Reality Lösungsansätze für raumverursachten Stress bieten kann. Außerdem machen wir eigene Studien zu architektonischen Gestaltungsmitteln, etwa mit einem 24-Stunden-Rhythmus-Lichtsystem, unserem synthetischen Himmel im Habitat. Drittens, Pflichten: Beispielsweise schlagen wir Eis von Eisbergen ab und verschmelzen es zum Trinkwasser. Als wir hierherkamen, ging die Sonne nicht unter, mittlerweile (im November, Anm. d. Red.) geht sie nicht mehr auf. Nach zwei Wochen permanente Finsternis haben wir keine Sonnenenergie mehr und müssen täglich draußen die Generatoren mit Diesel auftanken. Viertens, persönliche Zeit: Wir nutzen unsere Freizeit zum Lesen und Lernen. Karl vertieft sich in Mathematik, Sebastian in digitale Werkzeuge. Insgesamt sind wir sehr beschäftigt, das Gegenteil könnte Psyche und Moral schaden.
Was hat euch an den Polarkreis verschlagen?
Wir wohnen seit zweieinhalb Monaten in einer „Mondwohnung“ in Grönland. Wir sind davon fasziniert, Architektur für Menschen im Weltraum zu bauen. Im Studium war alles sehr theoretisch. Wir waren müde davon, uns mit Architektur nur auf dem Papier zu beschäftigen. Wir denken, wenn man verstehen will, welche architektonischen Gestaltungsmittel auf dem Mond oder Mars gefragt sind, muss man das erleben. Noch nie waren Architekten im Weltraum, der Polarkreis kommt nah ran.
Was hat die Architektur der Raumforschung voraus?
Die Architektur hat den Menschen im Fokus. Bei jeder Entwurfsentscheidung fragen wir: „Wie beeinflusst das den Bewohner?“. Darüber hinaus sind wir Outsider, kommen mit frischen, freien Ideen und entwickeln neue Lösungen. Weltraumforschung ist teuer, kompliziert und langsam. Deshalb macht die Industrie meistens, was sie schon immer machte. Das erste Problem, das wir lösen mussten, war Platzmangel, der größte Sünder beim Missbefinden. Wir sprachen mit Robert Lang, einem Origamieexperten bei der NASA, der das nicht für lösbar hielt, aber statt aufzugeben haben wir jetzt ein 700% erweiterbares Habitat. Alle sehen bei Weltraumreisen die gleichen Probleme, aber jeder löst sie anders. Wir lösen sie mit Mitteln der Architektur.
Welche Probleme habt ihr im Mondhabitat?
Schlaflosigkeit beispielsweise. Ein Arzt schreibt vielleicht Schlafpillen auf, ein Ingenieur baut ein neues Bett. Wir entwerfen einen künstlichen Himmel um die biologischen Funktionen in uns zu aktivieren. Es ist uns gelungen hier besser als zu Hause zu schlafen, wahrscheinlich wegen des gesünderen Lichteinflusses. Wir stehen mit der Sonne im Habitat auf.
Wer sind eure Auftraggeber?
Wir haben eine Reihe Sponsoren, die uns Materialien und Transport finanzieren, etwa die Dänische Kunststiftung. Wir arbeiten auf einen Auftrag hin mit einer der großen Weltraumagenturen oder privaten Weltraumunternehmen, aber es ist noch zu früh zu sagen, wann das Realität wird. Bis dahin arbeiten wir an unseren Kompetenzen, digitalen Werkzeugen und rekrutieren die besten Köpfe, die wir finden.
Wer braucht Weltraumarchitektur?
In der Weltraumindustrie geschieht momentan eine Revolution. Private Unternehmen konkurrieren mit Nationen. Eine Privatisierung des Weltraums findet statt. Das heißt eine Zukunft mit mehr Zivilisten im Weltraum, nicht nur toptrainierten Astronauten. Dadurch wird die Architektur wichtiger. Wir haben mit vielen Astronauten gesprochen, aber sie sind hardcore, militant und nicht immer die besten Ansprechpartner bezüglich Verbesserungen der Weltraumarchitektur. Zivilisten haben andere Bedürfnisse als Professionelle.
Wieviel Ästhetik verträgt das All?
Der Weltraum ist feindlich und unnatürlich für Menschen. Aber die Reise in den Weltraum ist das nicht. Der Mensch hat immer erforscht, neue Kontinente besiedelt und Entdeckungsreisen unternommen. Unsere Ästhetik ist ehrlich, von der Funktion abgeleitet und entspringt der physischen Welt. Wir übernehmen Lösungen von der Natur, insbesondere Biologie und Bionik. Wir glauben, dass diese Ästhetik intuitiv geschätzt wird, indem sie … eben natürlich ist. Auch drinnen im Habitat hat man unterbewusst ein Verständnis für das Äußere. Das Habitat ist deine ganze Welt. Es hält einen am Leben und soll darum auch aussehen und sich anfühlen wie etwas, was am Leben hält.
Wie seid ihr nach Grönland gekommen?
Unser Mondhabitat kam mit dem Schiffscontainer hierher. Wenn man zum Mond fliegt, muss das Habitat mit der Rakete transportiert werden können, weshalb sein Volumen sehr begrenzt ist. Deshalb kann es zusammengefaltet werden. Wir sind mit dem Helikopter gekommen und werden in zwei Wochen auch wieder vom Helikopter abgeholt und zur amerikanischen Militärbase geflogen. Das ist der einzige Weg rein und raus, weil das Meer nur anderthalb Monate im Sommer für Schiffe offen ist. Deshalb kann auch das Habitat erst später abgeholt werden.
Was muss ein Habitat den Menschen im All bieten?
Bisher waren Weltraumhabitate weiße, sterile Überlebensmaschinen. Sie sind eher Labor als Zuhause. Wir verwenden stimulierende Materialien und Oberflächen in irdischen Nuancen. Im eigenen Fall zurückhaltende, nordische Töne. Für Menschen mit anderem nationalen und kulturellen Hintergrund müsste das Habitat angepasst werden. Darüber hinaus imitiert das Lichtdesign das Himmelslicht in seinen Variationen. Nicht nur Tag und Nacht, sondern auch die vielen kleinen Nuancen, die wir über 24 Stunden wegen der meteorologischen Verhältnisse, Jahreszeiten und dem Mondzyklus erleben.
Wieso baut ihr außerirdisch?
Weltraumarchitektur ist sehr herausfordernd und pionierhaft. Sie gibt Perspektive zur Architektur auf der Erde. Die Erde ist der beste Ort im Universum für uns Menschen. Die Arbeit mit dem Weltraum bestätigt das jeden Tag. Wir lieben die Erde und beschweren uns nie mehr über das Wetter, weil der Gedanke, nie wieder Wind, Regen oder Schnee zu spüren, unheimlich ist. Im Weltraum wird der Effekt von Architektur sichtbarer, es gibt keinen Platz für Bullshit.
Wie geht es euch?
Das ganze Habitat hat eine Fläche von sieben Quadratmetern, ist also sehr klein. Alles spielt für unser Wohlbefinden zusammen. Der wenige Kontakt, den wir mit unseren Familien haben, bedeutet viel. Plötzlich friert der Toilettentank ein und man muss damit umgehen. Wir trinken Pulveressen und es schmeckt überraschenderweise immer besser. Wenn es draußen stockdunkel ist, ist es uns wichtig drinnen einem gewöhnlichen Sonnenrhythmus zu folgen. Wir dokumentieren möglichst viel, aber verstehen wahrscheinlich erst richtig, wie es hier war, wenn wir wieder zu Hause sind. Astronauten leben anders, sie können mit ihren Familien skypen und normal essen. Hier ist es absichtlich extremer inszeniert, weil es eh nie so extrem wäre wie die unverständliche Situation auf einem fremden Planeten zu wohnen.
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