Bauwelt

Architektur der Schwelle

Der Neubau der Nagoya Zokei University ist ein Sonderfall im Werk von Riken Yamamoto. Ulf Meyer traf den Architekten in seinem Büro in Yokohama zu einem Gespräch über das Bauen für Studierende, Gemeinschaften und den Pritzker-Preis.

Text: Meyer, Ulf, Berlin

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    Riken Yamamoto gründete sein Architekturbüro 1973, Im März 2024 wurde ihm der Pritzker-Preis verliehen. Von 2018 bis 2022 war er Präsident der Nagoya Zokei University of Art and Design (Foto: Tom Welsh).
    Foto: Shigeru Ohno

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    Riken Yamamoto gründete sein Architekturbüro 1973, Im März 2024 wurde ihm der Pritzker-Preis verliehen. Von 2018 bis 2022 war er Präsident der Nagoya Zokei University of Art and Design (Foto: Tom Welsh).

    Foto: Shigeru Ohno

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    Die Kunst-Universität Nagoya Zokei hat 2022 den von Riken Yamamoto ...
    Foto: Shigeru Ohno

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    ... geplanten Neubau im Stadtzentrum bezogen.
    Foto: Architekten

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    Foto: Architekten

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    Der Umzug der Universität Nagoya ins Zentrum der Stadt war Anlass für eine Neuorganisation der Lehre.
    Foto: Shinkenchiku Sha

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    Der Umzug der Universität Nagoya ins Zentrum der Stadt war Anlass für eine Neuorganisation der Lehre.

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    Zentraler Raum des Lehrens und Lernens ist das „Große Studio“, das Studierenden aller Fachrichtungen offensteht.
    Foto: Shinkenchiku Sha

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    Zentraler Raum des Lehrens und Lernens ist das „Große Studio“, das Studierenden aller Fachrichtungen offensteht.

    Foto: Shinkenchiku Sha

Architektur der Schwelle

Der Neubau der Nagoya Zokei University ist ein Sonderfall im Werk von Riken Yamamoto. Ulf Meyer traf den Architekten in seinem Büro in Yokohama zu einem Gespräch über das Bauen für Studierende, Gemeinschaften und den Pritzker-Preis.

Text: Meyer, Ulf, Berlin

Riken Yamamotos Büro in Yokohama quillt bei meinem Besuch im April über vor Orchideen und Saké-Flaschen, die ihm Kollegen anlässlich der Pritzker-Preis-Verleihung geschickt haben. Im Interview erläutert Yamamoto, wie sein jüngster Universitätsbau in sein Œuvre passt und warum es Streit darum gab. Die Nagoya Zokei University of Art and Design ist in die In-nenstadt von Nagoya gezogen. Der weiße, im Grundriss quadratische Neubau – das Plateau ist 88 x 88 Meter groß – befindet sich neben dem Meijo-Park, direkt über einem S-Bahnhof, und ist wie eine Brücke gestaltet. Die Fächer Malerei, Bildhauerei, Innenarchitektur, Manga und Illustration werden nicht nach Disziplinen unterteilt, sondern nach dem Zweck der Gestaltung geordnet. Die große Halle kann wie ein Atelier genutzt werden und bietet Studierenden verschiedener Fächer die Möglichkeit, miteinander in Austausch zu treten.
Waren Sie überrascht, als Sie erfuhren, dass Sie den Pritzker-Preis bekommen haben?
Ja, sehr. Mich rief Manuela Lucá-Dazio aus Venedig an, und ich dachte deshalb zunächst, es ginge um die Architekturbiennale. Im März kam Alejandro Aravena nach Japan, um sich von mir meine Projekte zeigen zu lassen, auch die Universität in Nagoya. Er hat mir auf der Fahrt den Sinn des Preises erklärt, dass es um eine soziale Aussage geht. Ich bin sehr stolz und glücklich über den Preis, weil er nicht nur für ein Gebäude vergeben wird.
Sie beschreiben sich selber als Außenseiter in der japanischen Architekturszene, denn Sie denken politisch und arbeiten im urbanen Maßstab. Zusammen mit Hiroshi Hara gelten Sie als Experte für Großgebäude.
Auf unseren Reisen nach Europa, Amerika, Indien und Nepal haben wir gemeinsam traditionelle Siedlungsmuster studiert. Speziell das Verhältnis von Familie und Gemeinschaft interessiert mich. Die meisten zeitgenössischen Architekten fokussieren hingegen auf die Architektur selbst und ignorieren den sozialen Kontext. Insofern denke ich, dass ich ein Insider bin.
Es gibt keine starke Städtebau-Tradition in Japan. Die großen Städte sind ein Resultat von Wachstum, nicht von Planung. Mit Ausnahme von Kyoto und Nara natürlich.
Das hat mit der Zerstörung der japanischen Städte durch die Bomben der Amerikaner im Zweiten Weltkrieg zu tun. Die Städte aus Holz und Papier wurden völlig zerstört. Danach kamen die modernen Prinzipien des CIAM zur Wirkung. Japan war nach 1945 einige Jahre lang eine Kolonie der USA, sogar heute noch ist ein Macht-System spürbar. Es gibt viele amerikanische Militärbasen in Japan, und Japan darf keine eigene Armee haben. Die Zerstörung der Tradition machte die neue Herrschaft leichter.
Shinzo Abe wollte in seiner Zeit als Premierminister die Verfassung deswegen ändern.
Ja, aber er war im alten Denken gefangen. Gebäude sollten mit der Gemeinschaft zusammenhängen, nicht von der Nationalregierung abhängig, sondern autonom sein. Selbstver-waltung ist das Ziel. In der Wohnsiedlung Shimo-Izumi-cho, die ich entworfen habe, leben heute 600 Menschen. Im Zentrum meiner Entwürfe steht die Gemeinschaft – sogar beim Entwurf einer Feuerwehr-Station wie in Hiroshima.
Ist das eine Frage des architektonischen Entwurfs oder eher der Organisation?
Des Entwurfs, denn es geht auch um Symbole der Gemeinschaft.
Traditionell sind japanische Häuser von einer Engawa umgeben, die zwischen Innen- und Außenraum vermittelt. Ihre Gebäude haben zwar keine Engawa, aber suchen Sie den-noch solch einen Zwischenraum?
Ja, es ist eine „Architektur der Schwelle“.
Sie hat einen Filter?
Ja, aber der Filter ist keine bloße Linie, sondern hat Tiefe. Es ist ein Raum.
Das japanische Wort „shiki-i“ bezeichnet hölzerne Schwellen in einem Tempel-Tor.
In Europa spricht man von Porosität, einem Vestibül oder Foyer. Solche Schwellen sind essentiell auch beim Städtebau. Bei der Pangyo-Siedlung in Südkorea habe ich beispielsweise transparen-te Gemeinschaftsräume entworfen, die die Benutzer für verschiedene Anlässe nutzen können.
Wenn Sie eine Universität entwerfen wie in Nagoya, denken Sie eine „Stadt in der Stadt“?
Es ist eine Kunst-Universität, deswegen habe ich einen großen gedeckten Hof entworfen, auf dem die Studenten ihre Kunstwerke verkaufen können, wie in einer riesigen Galerie. In dieser großen, jederzeit zugänglichen Box ist der Grundriss offen wie in einem Loft. Nur die Professoren-Zimmer sind abgeschlossen, aber sie sind transparent. Es ist nicht die erste Uni, die ich entworfen habe.
Wie unterscheidet sich der Entwurf von Ihren Gebäuden für die Universität in Hakodate oder in Saitama?
Die haben nichts mit Kunst zu tun, sondern mit Technik und Pflegeberufen.
Interessieren Sie sich für die Strukturalisten der sechziger Jahre wie Aldo van Eyck?
Ich habe Hermann Hertzbergers Gebäude besucht. Der Begriff „Strukturalismus“ hat in der Philosophie von Claude Lévi-Strauss und anderen Ethnologen jedoch eine andere Bedeutung. Hannah Arendt war keine Anthropologin, sondern Philosophin. Ihr Buch „The human condition“ („vita activa“ auf deutsch, Anm. d. Red.) habe ich auf Japanisch gelesen. Auch ihren Men-toren, Martin Heidegger. Das System von Familie und Gemeinschaft hat sie ebenso interessiert wie mich. An verschiedenen Orten der Welt habe ich Dörfer und Siedlungen in dieser Hinsicht analysiert. Gleichzeitig las ich Lévi-Strauss und seine Analyse von Verwandtschaftssystemen. Familien sind der Baustein der Gemeinschaft. Jedes Haus einer Familie hat Mittel, um es mit der Gemeinschaft zu verbinden.
Fumihiko Maki hat bei der „Hillside Terrace“ inTokyo seine Theorie der „Group Form“ umgesetzt.
Ja, aber bei ihm geht es nur um Formen, nicht um menschliche Aktivitäten.
Ihr Mentor, Hiroshi Hara, hat nie den Pritzker-Preis bekommen, müssen Sie den Preis mit ihm teilen?
Er war ein guter Lehrer und hat uns in griechischer Philosophie unterrichtet, auch die Rö-mer und Denker der Renaissance hat er uns nahegebracht.
Hara zelebriert die Erschließung, aber darum geht es Ihnen nicht?
Er entwirft für „gewöhnliche Menschen“, nicht für eine Gemeinschaft. Deshalb grenzen seine Entwürfe an Kitsch. Er entwirft für städtische Touristen. Seine Entwürfe sind populär und kühn. Er will einen ganzen „Kosmos“ entwerfen, wie er es nennt.
Sind Sie ein Kommunitarist?
Ich sehe Egoismus und Kommunitarismus nicht als Gegensatz. Individualismus kann mit Egoismus verwechselt werden. Menschen gehören einer Gemeinschaft an. Purer Egoismus oder In-dividualismus tötet Kommunikation. Heidegger träumte vom „einen Volk“, aber Arendt bezweifelte das. Für Heidegger ist „der Mensch in der Welt“. Die Welt kontrolliert den Menschen, und er will ihr entfliehen. Für Arendt war das Gegenteil der Fall: Die Welt ermöglicht es dem Menschen erst, zum Individuum zu werden. Statt „Welt“ könnte man auch „Gemeinschaft“ oder „Öffentlichkeit“ sagen. Dann gibt es keinen Bedarf, der „Freiheit zu entfliehen“, wie Erich Fromm es nannte.
Nur wenige Architekten exponieren sich in Philosophie und Politik.
Le Corbusier war der letzte Architekt, der so dachte.
Der Pritzker-Preis zeichnet eine Lebensleistung aus, aber sie sind noch aktiv. Haben Sie noch ein Ziel, das Sie erreichen möchten?
Ja, eine autonome Gemeinschaft zu entwerfen, mit einer eigenen ökonomischen Basis, ei-ne „Local Republic“. Es ist nicht so schwer!
Benötigen Sie dafür einen Bauherren, oder können Sie das selber anstoßen?
Ich spreche mit Gouverneuren und Bürgermeistern, aber sie verstehen das nicht.
Wird der Pritzker-Preis helfen?
Ja, sehr! Ich gehe jetzt auf eine Vortragsreise nach Guatemala, Serbien und die Philippinen und möchte meine Denkweise dort vorstellen. Ich lobe selbst einen Preis aus, den „Local Republic“-Preis, er wurde schon dreimal an junge Architekten vergeben. Ich ziehe den „Stadt-Staat“ dem „National-Staat“ vor. Ich glaube an das Recht und die Macht der Gemeinschaft.
Ist für Sie beim Bau einer Universität wie in Nagoya die Studentenschaft die „Community“?
Ja. Wir haben derzeit einen Konflikt mit dem Bauherren der Universität in Nagoya. Wir wurden gefeuert. Ich lehne das pädagogische Konzept des Direktors ab. Er geht von mächtigen Professoren und Schulleitern aus. Ich habe drei Broschüren verfasst, um ihm mein Konzept zu erklären. Aber nach dem ersten Band hat die Uni die Herausgabe nicht mehr unterstützt.
War er schon Bauherren-Vertreter, als Sie den Auftrag bekamen?
Ja, er hat mich beauftragt. Jetzt habe ihn vor Gericht verklagt und gewonnen. Aber ich kann die Universität nun nicht mehr besuchen.
Betrachten Sie Ihr Gebäude dennoch als Erfolg?
Auf jeden Fall. Es ist peinlich für ihn, dass meine Arbeit nun mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet wurde!
Fakten
Architekten Yamamoto, Riken, Yokohama
aus Bauwelt 11.2024
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