Design muss unterhalten
Mehr Sein als Schein: Der Innenarchitekt Ruud Belmans vom belgischen Büro WeWantMore will Gestaltung mit Tiefgang. Glitzern darf es trotzdem.
Text: Crone, Benedikt, Berlin; Kraft, Caroline, Mannheim
Design muss unterhalten
Mehr Sein als Schein: Der Innenarchitekt Ruud Belmans vom belgischen Büro WeWantMore will Gestaltung mit Tiefgang. Glitzern darf es trotzdem.
Text: Crone, Benedikt, Berlin; Kraft, Caroline, Mannheim
Euer Büro nennt sich – wenig bescheiden – WeWantMore. Was wollt ihr mehr?
Mehr Vergnügen! Der Name unseres Büros bezieht sich zum einen auf die Art, wie wir entwerfen und zum anderen auf den Anspruch, den wir an Gestaltung stellen. Deshalb finde ich ein Thema wie das des Hefts – Prunk und Punk – so interessant. In belgischen Design- und Architekturmedien würde das überhaupt nicht auftauchen. Da geht es eher um Understatement im Stil von Vincent Van Duysen. Das ist wunderschönes, vollkommenes Design, aber mir fehlt da die Freude. Design sollte Menschen emotional beeinflussen. Es geht um mehr, als etwas Schönes zu schaffen. Wir wollen mehr, auch mehr Spaß! Design ist nichts Intellektuelles.
Viele Architektinnen oder Architekten würden die Frage, warum ihr Gebäude nicht unterhaltsamer sei, wahrscheinlich für unangemessen halten.
Genau das meine ich. Warum ist das so? Man sollte sich selbst nicht so ernst nehmen. Jede Gestaltung sollte zum Ziel haben, Emotionen hervorzurufen, Erfahrungen zu erzeugen, zu inspirieren. Man entwirft nicht für sein Ego.
Wenn wir also eure Arbeiten in eine Prunk-und-Punk-Ecke stellen, bist du nicht beleidigt?
Ich freue mich! Ich verstehe nicht, warum man nicht in dieser Ecke sein will. Man kann von dort aus viel experimentieren und Neues wagen.
Geht es euch in euren Projekten in erster Linie darum, Emotionen zu erzeugen?
Ja, aber positive Emotionen. Wir sehen uns als Entertainer. Wir unterhalten, indem wir Menschen zu Erfahrungen einladen, die wir kreieren.
Wie gehst du mit dem Vorwurf um, das sei oberflächlich?
Das ist nicht oberflächlich. Nur weil etwas einfach aussieht, heißt es nicht, dass es keine tiefere Wirkung gibt. Es ist wie abends, wenn man Netflix schaut: Man möchte unterhalten werden – aber gut unterhalten. Auch wir wollen unterhalten, nur mit einem anderen Medium. Die Möglichkeit als Designer oder Designerin Gefühle zu erzeugen ist keine Kleinigkeit. Sie ist eine verantwortungsvolle Aufgabe.
Die Gaststätte „Le Grand Café“ in Brüssel, die Ihr umgestaltet habt, war früher ein Aufführungsort für Drag-Queen-Shows. Wie habt ihr diese Nutzungsgeschichte in euer Design einfließen lassen?
Die ersten Entwürfe waren etwas diffus. Wir haben den expressiven Charakter von Drag-Queen-Shows versucht greifbar zu machen. Das war aber schwierig, der Entwurf hat sich nicht stark genug angefühlt, war nicht selbsterklärend. Dann hatten wir die Idee mit den riesigen abstrahierten Masken. Ich habe den Vorschlag dem Kunden gezeigt – und er hat sofort gelächelt. Wenn der, der bezahlen muss, nichts sagt, aber lächelt, ist alles richtig. Hätten wir den ersten Entwurf gezeigt, hätten wir ihn lange erklären müssen. Er war nicht emotional, sondern rational. Da lächelt niemand.
Habt ihr noch anderes am Interior des Cafés verändert?
Ja, viel, wir haben das ganze Mobiliar getauscht. Aber das meiste Geld floss in die Masken. Ich fand es besser, wenn es drei aufwändig und gut gestaltete Stellen gibt – die drei Masken – und der Rest des Innenraums etwas in den Hintergrund tritt.
Für das Café wie auch für ein anderes Projekte, das Hotel „Château de Vignée“, habt ihr eine „Brand Identity“ des Ortes erarbeitet – vom Interior, über Handtuchlogos und Kaffeebechern bis zu Werbevideos. Gehört dieser ganzheitliche Ansatz für euch zu jedem Projekt dazu?
Unser Büro besteht aus zwei Teilen: dem Branding-Team und dem Innenarchitektur-Team. Beide sind besonders qualifiziert auf ihrem Gebiet, aber wir gehen als Studio von derselben ganzheitlichen Auffassung von Design aus. Und da wir alle an einem Ort arbeiten, entstehen natürlich Kollaborationen. Anfangs haben wir viel für Start-ups entworfen, daher war es nützlich, zusammenzuarbeiten. Jetzt haben wir größere Kunden, die sich entweder ein Branding oder eine Raumgestaltung wünschen. Einige von ihnen sehen zum Glück das Potenzial darin, alles aus einer Hand zu erhalten.
Hotels wie das Château de Vignée konkurrieren mit individuelleren Übernachtungskonzepten wie Airbnb. Viele Branchen müssen ihrer Kundschaft inzwischen besondere Erfahrungen anbieten. Ist die Mischung aus Branding und Gestaltung auch eine Antwort auf diese Entwicklung?
Ja. Es wird immer wichtiger werden, Hotels, Restaurants und andere Projekte auf mehreren Ebenen mit einem Unterhaltungswert zu betrachten. Zum Château de Vignée haben wir auch einen Kurzfilm gedreht, der aussehen sollte wie ein Serien-Trailer. Wenn man eine Serie schaut, dann auch wegen der Gesamtstimmung, die sie transportiert. Ähnlich ist es, wenn man in einem Hotel übernachtet: Man erfährt das Gebäude als Ganzes. Wenn Serien Trailer haben können, dachten wir, dann können Designprojekte das auch.
In dem Hotel – einem ehemaligen Jagdhaus – werden Tierpräparate künstlerisch inszeniert. Im Kurzfilm zum Hotel schwelgt zudem ein älterer Herr in Erinnerungen an eine gute alte Zeit, in der ausgiebig gejagt wurde. Wie hat der Kunde auf diese „gewagten“ Formate reagiert?
Über den Film haben wir ihn nicht informiert. Den haben wir selbst finanziert, denn wir hatten Lust ihn zu machen, ohne dass der Kunde reinredet. Die Tiere fand er großartig, er hat sie sogar ausgesucht. Die Künstler, die die Präparate erstellt haben, Les Deux Garçons aus Maastricht, haben uns in ihr Atelier eingeladen. Wir haben Kaffee getrunken, und ich fühlte mich wie in einer Szene aus Alice im Wunderland. Die Tiere scheinen lebendig, fast fröhlich. Das mag makaber klingen, aber im Kern ist die Jagd nicht gegen die Natur gerichtet: Jäger respektieren Natur und Tiere. Man kann anderer Meinung sein, doch die Jagdkultur existiert, und sie wird von einem Großteil der Besucher von Château de Vignée geschätzt. In diesem Sinne können die Tiere wie eine Ode an die Natur verstanden werden.
Es gab keine Kritik an den Präparaten?
Doch. Es gibt immer jemanden, der kritisiert. Aber man sollte provozieren dürfen. Nur weil manche es nicht mögen werden, ist es keine Lösung, brav in der Mitte stehen zu bleiben, um nicht anzuecken. Es ist wichtig, Diskussionen zu erzeugen.
Sobald eine Gestaltung allen gefällt, ist sie gescheitert?
Ich denke schon. Es ist leicht, etwas zu entwerfen, das 90 Prozent der Leute gefällt. Man orientiert sich dafür nicht an einem Konzept, sondern an aktuellen Trends. Doch solche Entwürfe werden schnell langweilig. Wir wurden gefragt, ob wir eine Installation für „Smile Safari“ erstellen wollen, ein Instagram-Museum in Brüssel für Menschen, die gerne Selfies machen – vor pinken Hintergründen, Einhörnern, Regenbögen. Ich hasse es. Wir entwarfen daraufhin eine Installation, die die oberflächliche Instagram-Kultur kritisieren sollte. Dennoch sollte sie so ansprechend sein, dass man die Selfies weiterhin teilen würde wollen und so seinen Narzissmus selbst zur Schau stellt. Wir planten sechs Glaslinsen mit verschiedenen Effekten, große, gebaute Filter. Wenn man sich hinter sie stellt, ist man nicht mehr zu erkennen, das Foto aber wird wie ein Gemälde, farbig und abstrakt. Es geht also nicht mehr um den Menschen, sondern um das Bild.
Verstehen die Menschen diese unterschwellige Kritik?
Nein, die meisten nicht. Viele haben sich vor die Linsen gestellt.
Ist es wichtig für euch, in euren Projekten versteckte Botschaften zu transportieren?
Es ist wichtig, aber nicht bei jedem Projekt ist das möglich. Allerdings sollte man immer allgemeine Konventionen auf die Probe stellen, sich von Klischees befreien.
Dann noch eine Klischee-Frage zum Abschluss: Wo holst du dir Inspiration?
Wenn ich Filme schaue, inspiriert mich das. Und Musik: Wenn ich entwerfe, höre ich sehr laut Musik. Oder wenn ich durch die Stadt laufe: verschiedene Formen, Proportionen, Materialien wahrzunehmen, das ist für mich anregend. Gehe ich an ein Projekt, interessiert mich in erster Linie was Menschen sehen, wenn sie die Räume betreten, weshalb ich ein Projekt nie vom Grundriss aus erstelle. Denn was sehen Leute, wenn sie einen Ort betreten? Kompositionen und Licht. Wo braucht man viel Licht, wo wenig? Welche Oberflächen und Materialien werden zu sehen sein? Innenarchitektur ist wie bewegte Kunst, und diese Kunst offenbart sich nicht auf einem Grundriss. Ich weiß auch gar nicht, wie man detaillierte Pläne zeichnet.
Aus dem Englischen von Caroline Kraft.
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