Bauwelt

Wer plant unsere Gebäude – und wer reinigt sie?

Wo ist Rassismus verortet? Und welche Räume und Praktiken können mit ausgrenzenden Strukturen brechen? Die Architekturtheoretikerin Huda Tayob im Gespräch

Text: Stumm, Alexander, Berlin; Bruun Yde, Marie, Berlin

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Huda Tayob
Foto: Sarah de Villiers

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Wer plant unsere Gebäude – und wer reinigt sie?

Wo ist Rassismus verortet? Und welche Räume und Praktiken können mit ausgrenzenden Strukturen brechen? Die Architekturtheoretikerin Huda Tayob im Gespräch

Text: Stumm, Alexander, Berlin; Bruun Yde, Marie, Berlin

Die Architekturtheoretikerin Huda Tayob berichtet von städtischer Verdrängung, Klassifizierung und Ausbeutung aber auch von den Möglichkeiten, resistente Räume zu bauen.
Huda Tayob, der Rassismus in Europa entwickelte sich von einer biologischen Pseudowissenschaft zu einem Kulturessenzialismus, der bestimmten Menschen bestimmte Eigenschaften zuschreibt. Wie hat sich die Rassentrennung in räumlicher Hinsicht entwickelt und wie wirkt sich dies heute auf Architektur und Stadtplanung aus?
Rassismus bedeutet, dass bestimmte Menschen wegen sichtbarer Andersartigkeit ausgeschlossen werden. Es geht aber auch um Strukturen der Ungerechtigkeit und Gewalt, von denen viele im Raum sichtbar sind. Der kamerunische Philosoph Achille Mbembe spricht vom „Schwarzwerden der Welt“ und der zunehmenden Ausbeutung der Arbeiterklasse. Auf die Architektur bezogen wäre eine interessante Frage: Wer plant unsere Gebäude – und wer reinigt sie? Andere Fragen kreisen um Verdrängung und Erreichbarkeit infolge kapitalgesteuerter Stadtplanungsprogramme: Wer ist von Gentrifizierung betroffen? Wer wird also aus den Städten verdrängt und ist im öffentlichen Raum nicht mehr präsent?
Wie können Räume mit ausgrenzenden Strukturen brechen?
Es geht darum, Raum auf andere Art und Weise zu denken und zu nutzen als von den Planern vorgesehen war. In meiner Arbeit über Kapstadt habe ich zum Beispiel Räume untersucht, die von der Stadt weitgehend als „Problem“ angesehen werden, als Orte des Verfalls. Meine Forschungen zeigen jedoch, dass diese informellen Orte mit gemischter Nutzung in Wirklichkeit wichtige Infrastrukturen zur Unterstützung von Flüchtlingen und Migrantinnen in der Stadt sind; sie bieten Raum für temporäre Unterkünfte, kleine Geschäfte, Restaurants oder Telefondiens­te. Viele Menschen, die nur über begrenzte Möglichkeiten verfügen, finden dort ein Zuhause.
Wie funktioniert struktureller Rassismus in Europa heute?
Rassentrennung ist heute zwar keine offizielle Zielsetzung mehr, aber unterschwellige Taktiken verfolgen nicht selten ähnliche Absichten. Dabei geht es um die Verdrängung von Mietern: der Verkauf von öffentlichem Land an Bauträger, wodurch die allgemeinen Immobilienpreise in die Höhe getrieben werden, und die Einschüchterung derjenigen, die bleiben wollen, auf ziemlich gewaltsame Weise.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Der Nordwesten Londons erlangte traurige Berühmtheit durch den Brand des Grenfell Towers im Jahr 2017. North Kensington ist eins der am stärksten von Ungleichheit geprägten Stadtviertel im Vereinigten Königreich; einkommensschwache Gruppen werden zunehmend verdrängt. Der Vorfall resultiert aus dem offiziellen Gebaren im Land, das einem planmäßigen Un­tergang des Sozialstaats gleichkommt.
Viele Top-down-Planungsstrategien haben sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts kaum geändert. Sie zielen darauf ab, Platz für neue Stadtentwicklungsgebiete zu schaffen, von denen nur wenige Menschen wesentlich profitieren. Auf diese Weise werden rassistische Gewalt und rassistische Verdrängung aufrechterhalten und reproduziert.
Sie definieren Hierarchien, die auf Rassifizierung beruhen, als endemisch im Kapitalismus. Können Sie den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Rassismus erklären?
Das ist eine lange Geschichte: Der atlantische Sklavenhandel hat das Wesen des Kapitalismus grundlegend geprägt, denn das System der rassifizierten Ausbeutung bildete die Grund­lage für moderne Bankensysteme und Versicherungen. Die Geografin Kathryn Yusoff verbin­det die rassifizierte Ausbeutung mit dem Beginn dessen, was wir als Anthropozän bezeichnen. Kolonialismus und gewaltsame Anhäufungsprozesse prägen demnach nicht nur das Wirtschaftssystem, sondern in Konsequenz auch die Welt als geologisches System. In der post­kolonialen Zeit bestehen viele Zusammenhänge des Kolonialismus fort.
Sollten wir uns mehr für eine Reform der Architekturausbildung einsetzen?
Vergangenes Jahr wurde ein Bericht über zahlreiche sexistische und rassistische Vorfälle an der UCL Bartlett veröffentlicht, viele davon sind spezifisch und brutal, gleichzeitig zeigen sie exemplarisch, wie die Architekturausbildung Teil eines Gewaltsystems ist. Extrem lange Arbeitszeiten und unentgeltliche Studentenarbeit müssen überdacht werden.
In puncto Dekolonisierung hingegen gibt es einige Bemühungen, entsprechende Projekte anzubieten, was wiederum ein gut gemeinter Schritt ist. Allerdings wird das häufig als et­was Neues dargestellt, obwohl es schon in den 1960­-er und 70er Jahren dahingehende Vorstöße gab.
Sollte also auch die Geschichte der Dekolo­nialisierung mehr Thema an den Hochschulen sein?
Ja, ich denke, es ist wichtig, sich der Anstrengungen der Vergangenheit bewusst zu sein, damit wir auf ihnen aufbauen können. Ein Beispiel mit Bezug zur afrikanischen Architektur: 1977 kuratierte David Aradeon eine Ausstellung über afrikanische Architekturtechnologie für das Festival der afrikanischen Kulturen in Lagos und war Mitbegründer der gemeinnützigen Organisation Build with Earth. Er warf Fragen auf wie: Was bedeutet es, wieder auf lokale Materialien zurückzugreifen? Wie können wir bestimmte Arten von Low-Tech-Baumethoden umsetzen? Heute hört man viel über die Dringlichkeit der Klimakrise und darüber, welch radikale Veränderungen nötig sind, um Umweltkatastrophen zu verhindern. Aber genau genommen ist die Welt für vie­-le Menschen schon viele Male untergegangen, und wir sollten diese Geschichten zur Kenntnis nehmen. Wir sprechen jetzt über das Anthropozän; das begann vor fünfhundert Jahren mit der kolonialen Expansion Europas nach Amerika und Ostasien. Bei diesen frühen Missionen war die Vorstellung, den Planeten zu verändern, sehr offensichtlich – sie waren von Anfang an ein bewusstes Auslöschen von Orten und Menschen.
Wie setzen Sie dekoloniales Denken in Ihrer Lehrtätigkeit um?
Ich unterrichte architekturbezogene Geisteswissenschaften, zwei meiner aktuellen Kurse sind „Der Ozean als Archiv“ und „Der Ozean als Methode“. Derzeit beschäftigen uns beim Thema Wasser verheerende Überschwemmungen, der schleichende Anstieg des Meeresspiegels und die zunehmende Gefährdung von küstennahen Siedlungen insbesondere im globalen Süden, wo viele Orte, die am stärksten von der Klimakrise betroffen sind, gleichzeitig auf eine Geschichte kolonialer Gewalt und Ausbeutung zurück­blicken. Wenn wir uns mit dem Thema Meer beschäftigen, müssen wir über Verbindungen, Verstrickungen und gegenseitige Abhängigkeiten nachdenken.
Welche Rolle spielt Architektur überhaupt für eine antirassistische Bewegung?
Wir müssen die Sprache und die Strukturen, die wir als Architektur verstehen, überdenken. Wir sollten unsere Aufmerksamkeit auch auf die uns umgebenden Normen und Praktiken richten, die teils umfassen, dass Menschen, Kulturen und Orte einer Klassifizierung unterliegen. Zu verstehen, wie die Architektur einigen dieser Struktu­-ren Vorschub leistet, könnte uns in die Lage versetzen, sie zu untergraben. Ein Ansatz wären kollektive Praktiken des Place-Making, um gemeinsam resistente politische Räume zu bauen, und das nicht nur mit professionellen Architekten.
Wäre die Idee einer Architektur ohne Architekten eine Möglichkeit, Hierarchien aufzubrechen?
Architektur kann Orte zum Staunen und von unglaublicher Schönheit schaffen – und Architekten sind dazu in der Lage. Ich möchte hier nicht die Binarität von professionell und nicht-professionell reproduzieren. Aber die Vorstellung, dass nur Architekten in der Lage sind, interessante Räume zu schaffen, ist reduktiv. Der in den Hochschulen für Architektur postulierte Schwerpunkt auf Neuheit und Erfindung sollte überdacht werden. Wenn man ein Architekturstudium beginnt, wird einem gesagt, dass man etwas Neues schaffen muss, während man in Wirklichkeit meistens nur bestehende architektonische Visionen reproduziert. Aber das anzusprechen, wird beinahe als Tabu angesehen. Wir sollten Instandsetzung und Instandhaltung der gebauten Umwelt mehr Aufmerksamkeit schenken.
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Huda Tayob ist eine südafrikanische Architektin und Architekturtheoretikerin. Derzeit ist sie Dozentin in Architectural Studies am University of Manchester, früher unterrichtete sie an der University of Cape Town, der University of Johannesburg und der Bartlett School of Architecture. Tayobs Forschung konzentriert sich auf kleinere, migrantische und subalterne Architekturen mit Schwerpunkt auf Afrika und dem globalen Süden. Sie ist Ko-Kuratorin des Open-Access-Lehrplans racespacearchitecture.org und leitende Kuratorin der digitalen Ausstellungs-, Essay- und Podcast-Plattform Archive of Forgetfulness.
Fakten
Architekten Tayob, Huda, Manchester
aus Bauwelt 26.2022
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