Monumental Affairs
So sehr man das Werk von der Identität des Architekten trennen möchte: Es ist unmöglich. Das Werk kann nicht ‚neutral‘ betrachtet werden. (Germane Barnes)
Text: Stumm, Alexander, Berlin
Monumental Affairs
So sehr man das Werk von der Identität des Architekten trennen möchte: Es ist unmöglich. Das Werk kann nicht ‚neutral‘ betrachtet werden. (Germane Barnes)
Text: Stumm, Alexander, Berlin
Germane Barnes, Sie sind 2023 der Creative Director der Design Akademie Saaleck (dieDAS) und veranstalten in den historischen Saalecker Werkstätten von Paul Schultze-Naumburg in den nächsten Jahren mehrere Workshops veranstalten. Was haben Sie vor?
Zusammen mit einer Gruppe internationaler Stipendiaten werden wir Methoden des taktischen Urbanismus als Generator nutzen, um Gespräche über Race, Ethnizität, Ethnographie und Nationalismus in Saaleck in Gang zu bringen. Der Titel des Projekts ist „Monumental Affairs“. Unser Ziel dabei ist nicht, ein neues Denkmal zu errichten. Stattdessen wollen wir uns mit den Mechanismen der Konstruktion von Denkmälern befassen. Wir werden den bestehenden Baukomplex als erstes Denkmal nehmen. Monumental Affairs fragt: Wie funktioniert der Prozess der Kanonisierung? Wer bestimmt, welche Architekturen Teil des Kanons werden? Welche mehr oder weniger subtilen Formen der Unterdrückung sind dabei inhärent? Wie generiert man eine Öffentlichkeit, um diese kanonisierten Monumente zu demontieren? Und welche Rolle spielt dabei die konkrete architektonische Materialität?
Die Saalecker Werkstätten dienten Schultze-Naumburg schon während der Weimarer Republik als nationalsozialistischer Thinktank. Architektur und „Rasse“ waren konzeptuell stark verknüpft, wichtige rechtsradikale Vordenker und Adolf Hitler waren hier zu Gast. Was bedeutet das für Sie?
Das Programm des Workshops wird in Räumen stattfinden, in denen perfide Ideen für Ausgrenzung und Terror entwickelt wurden. Das bietet eine besondere Gelegenheit, die Art und Weise zu untersuchen, wie Architektur und die gebaute Umwelt als Komplizen funktionieren können, aber auch dazu, solche Ideale zu dekonstruieren. Es geht um Verantwortung: die des Architekten, aber auch die der Architektur selbst. Dabei möchte ich explizit nicht nur rechtsradikale Architekten ansprechen, sondern auch große Helden der Architekturgeschichte. Ich spreche bei diesen gerne von stand by idols, die sich immer herausreden konnten im Sinne von: „Wir haben die Verbrechen nicht begangen!“ oder „Wir wurden nur gebeten, die Gebäude zu bauen, es ist nicht unsere Schuld.“ Als ob unsere Lieblingsarchitekten nur unter Zwang gehandelt hätten und keine eigene Wahl hatten.
Bei diesen stand by-idols denkt man vielleicht an Le Corbusier, der Hitler und Mussolini verehrte und mit dem Vichy-Regime zusammenarbeitete, oder Mies van der Rohe, der sich bei den Nazis anbiederte. Genereller gefragt: Wie hängen Leben und Werk, wie Architektenbiografie und Raumproduktion zusammen?
So sehr man das Werk von der Identität des Architekten trennen möchte: Es ist unmöglich. Das Werk kann nicht „neutral“ betrachtet werden, als ob persönliche Vorurteile keinen Einfluss auf den Entwurfsprozess haben würden. Jeder einzelne Entwurf lässt sich auf eine Reihe von Umständen zurückführen, seien sie politisch, sozial oder religiös. Erst im Zusammenspiel all dieser Aspekte entsteht am Ende Raum.
Können Sie uns ein Beispiel geben?
Sie entwerfen ein Gebäude, das Sie für unvoreingenommen und neutral halten; aber Sie entwerfen es in einem Viertel, in dem keine Juden oder Schwarzen erlaubt sind. Glauben Sie immer noch, dass es ein neutrales Gebäude ist? Anderes Beispiel: Sie bauen heute mit Beton, obwohl Sie lieber biobasierte Baustoffe verwenden würden. Aber mineralische Baustoffproduzenten haben viel politischen Einfluss. Architektur und Raum existieren immer in einem Feld aus diversen Vorbedingungen, von denen die Bau- und Planungsvorschriften nur der offensichtliche Teil ist. Einzelne Akteure können zu einem hohen Grad vorbestimmen, wie gebaut wird und wie nicht. Jede Architektur existiert in einem Feld aus Machtpositionen. Paul Schultze-Naumburg ist da nur ein besonders anschauliches Beispiel.
Der Titel Monumental Affairs lässt auch an den Umgang mit Statuen im Stadtraum denken.
Im Zuge der Black Lives Matter-Demonstrationen gab es in vielen Ländern Diskussionen um Denkmäler berühmter Persönlichkeiten, die für Kolonialismus und rassistische Gewalt stehen.
Im Zuge der Black Lives Matter-Demonstrationen gab es in vielen Ländern Diskussionen um Denkmäler berühmter Persönlichkeiten, die für Kolonialismus und rassistische Gewalt stehen.
Wir sollten uns fragen, was es für eine marginalisierte Person bedeutet, mit diesen Denkmälern konfrontiert zu werden? Meine Meinung, im Wissen, dass dies eine kontroverse Position ist: Wir sollten überhaupt keine Statuen für Einzelpersonen errichten. Warum? Diese Monumente sind Signifikanten für ein Othering, also für Abgrenzung und Andersmachen von gewissen Menschengruppen. Man hebt den Status einer einzelnen Person über das Kollektiv, und damit auch die Personengruppe, die sich mit ihr identifiziert. So spaltet man Menschen, gewisse Gruppen werden in der Gesellschaft wichtiger als andere Gruppen. Die Saalecker Werkstätten mit ihren burgartigen Türmchen, der Wehranlage und der Lage auf dem Bergrücken mit Blick über die Landschaft verstehe ich in genau diesem Sinne.
Statuen sind immer Signifikanten für ein Othering?
Ja, immer. Warum sollte man aber jemandem ein Denkmal setzen, der es nicht verdient hat? Wenn man Denkmäler abbaut und neue öffentliche Plätze schafft, entfernt man nicht die Geschichte, man sagt nicht, dass es diese Tat nicht gegeben hat. Das Argument, dass man Geschichte auslösche, läuft für mich völlig ins Leere. Auch das Argument, dass die Statuen nun schon aufgestellt sind, ist nicht überzeugend. Es ist ein Prozess, die Denkmalsetzung findet jeden Tag aufs Neue statt.
Im Falle von Architektur ist die Situation komplizierter: Wie also umgehen mit den Saalecker Werkstätten? Wie schafft man es, eine neue Bedeutungsebene hinzuzufügen, ohne die vorangegangene Bedeutung ganz zu überschreiben? Sie sprachen von taktischem Urbanismus.
Der taktische Urbanismus nutzt Architektur als Mittel des Widerstands. Unsere Frage lautet: Wie können wir die Architektur als Vehikel für alternative Geschichten nutzen? An welchen Räumen auf dem Grundstück werden diese kontaminierten Ideen offensichtlich und wie kön-nen wir sie infiltrieren. Die umgebende Mauer, die wie eine Festungsanlage wirkt, ist so ein Ort. Neben den Werkstätten wollen wir aber auch im Ort Saaleck aktiv werden. Wie lassen sich mittels kleinen Aktionen Räume wieder ins Bewusstsein zurückbringen? Es ist wichtig, die Menschen vor Ort einzubeziehen und Gespräche zu führen. Hier entsteht die eigentliche Reibung. Es wird positive und negative Reaktionen geben. Der Nutzen von taktischem Urbanismus besteht für mich darin, mit einer Reihe von kleinen Dingen, Verständnis zu schaffen und Gemeinsamkeiten aufzubauen. Erst wenn man ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hat, kann man die große Geste machen.
Wo ist Ihnen das gelungen?
In Miami gab es entlang der NW 12th Avenue zwischen 63. und 64. Straße seit den 1930er Jahren, als die Rassentrennung in den USA noch in Kraft war, eine Segregation Wall: Eine buchstäbliche Mauer mit 3,5 Meter Höhe, die weiße und schwar- ze Menschen voneinander trennte. Sie stand für gut vier Jahrzehnte. Inzwischen ist sie abgerissen, aber noch heute existiert zwischen den beiden Stadtteilen ein Höhenunterschied von knapp 1,5 Metern – auch wenn die Mauer weg ist, gibt es immer noch eine Mauer! Im Sommer arbeite ich dort mit jungen Leuten – wir bauen Treppen, um uns die Topografie bewusst zu machen und errichten eine Bühne, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Für die Älteren ist der Ort immer noch mit viel Schmerz verbunden, die Jüngeren kennen die Geschichte meist gar nicht. Es ist wichtig, sich mit der Vielschichtigkeit von Monumentalität auseinanderzusetzen und historische Kontinuitäten zu beleuchten.
Wie stellen Sie sich ein wirksames Ergebnis für das dieDAS-Projekt in Saaleck vor?
Das Programm ist auf mehrere Jahre ausgelegt, nur so lässt sich eine ernsthafte Beziehung zum Ort aufbauen. Es werden Fellows aus allen Teilen der Welt und ganz unterschiedlichen Kontexten zusammenkommen. Denn die Situation in Südostasien ist anders als in Südamerika, im Süden Europas anders als im Süden der USA, in Kana-da anders als in Polynesien. Damit bleibt die Situation in Saaleck nicht isoliert, sondern wird zu einem Baustein einer größeren Karte. So entsteht ein geografisches Netz, was innerstaatliche Marginalisierung bedeutet.
In den nächsten Jahren wird der Komplex vom dänischen Architekturbüro Dorte Mandrup umgebaut.
Dorte Mandrup Architects wollen die Architektur der Saalecker Werkstätten transformieren. Vie-les wird erhalten, aber mit mehreren gezielten Eingriffen wird eine neue Identität geschaffen. Eine der stärksten Gesten finde ich den Eingangsbereich. Dort, wo derzeit die abweisende Backsteinwand steht, wird zukünftig ein gläsernes Besucherzentrum untergebracht. Wo vorher eine Grenze war, wird ein neuer Ort der Kommunikation entstehen. Die Tektonik, die einen wichtigen Teil zum Ausdruck des Gebäudes beiträgt, wird konterkariert.
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Germane Barnes ist Leiter des Studio Barnes sowie Assistant Professor und Director des Community Housing & Identity Lab (CHIL) an der University of Miami School of Architecture, wo er mittels historischer Forschung und Design-Spekulationen die soziale und politische Wirkung von Architektur untersucht. Seine Arbeiten waren unter anderem in der Ausstellung „Reconstructions. Architecture and Blackness in America 2020“ im Museum of Modern Art in New York und auf der Chicago Architecture Biennial 2021 ausgestellt. 2021 gewann er den Architectural League Prize for Young Architects and Designers, 2021–2022 war er Rome Prize Fellow an der American Academy in Rom.
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Die Saalecker Werkstätten von Paul Schultze-Naumburg
Der Maler und Amateurarchitekt Paul Schultze-Naumburg zog 1901 nach Saaleck und gründete hier das Planungsbüro Saalecker Werkstätten, das von 1904 bis zur Schließung 1930 die Bereiche Architektur, Inneneinrichtung und Gartengestaltung abdeckte. Schultze-Naumburg war Nationalsozialist. Nach dem Ersten Weltkrieg agierte er als Hauptfigur in den völkisch gesinnten, antisemitisch ausgerichteten Vereinen „Der Block“, „Kampfbund für Deutsche Kultur“ und „Kampfbund Deutscher Architekten und Ingenieure“. Trauriger Höhepunkt ist seine 1928 veröffentlichte Schrift „Kunst und Rasse“. Allerdings hatte er als Gründungsmitglied des Werkbundes 1907 auch mit den wichtigsten Reformarchitekten seiner Zeit zusammengearbeitet. Den „Dekorationswahnsinn“ eines ausufernden Historismus lehnte er – wie später die Modernisten – ab; als treibende Kraft im Heimatschutzbund setzte er sich gegen die durch die Industrialisierung verursachte Umweltzerstörung ein. Dem Kunsthistoriker Norbert Borrmann zufolge war für Schultze-Naumburg aber „die Rassenfrage der Schlüssel zur Weltgeschichte, mit deren Hilfe er sich alle Probleme einer sich rasch wandelnden Zeit erklärte.“
Der Maler und Amateurarchitekt Paul Schultze-Naumburg zog 1901 nach Saaleck und gründete hier das Planungsbüro Saalecker Werkstätten, das von 1904 bis zur Schließung 1930 die Bereiche Architektur, Inneneinrichtung und Gartengestaltung abdeckte. Schultze-Naumburg war Nationalsozialist. Nach dem Ersten Weltkrieg agierte er als Hauptfigur in den völkisch gesinnten, antisemitisch ausgerichteten Vereinen „Der Block“, „Kampfbund für Deutsche Kultur“ und „Kampfbund Deutscher Architekten und Ingenieure“. Trauriger Höhepunkt ist seine 1928 veröffentlichte Schrift „Kunst und Rasse“. Allerdings hatte er als Gründungsmitglied des Werkbundes 1907 auch mit den wichtigsten Reformarchitekten seiner Zeit zusammengearbeitet. Den „Dekorationswahnsinn“ eines ausufernden Historismus lehnte er – wie später die Modernisten – ab; als treibende Kraft im Heimatschutzbund setzte er sich gegen die durch die Industrialisierung verursachte Umweltzerstörung ein. Dem Kunsthistoriker Norbert Borrmann zufolge war für Schultze-Naumburg aber „die Rassenfrage der Schlüssel zur Weltgeschichte, mit deren Hilfe er sich alle Probleme einer sich rasch wandelnden Zeit erklärte.“
Die von ihm selbst entworfene Architektur der Saalecker Werkstätten steht für diese schwierige Gemengelage: Das nach Gutsherrenart errichtete, mehrfach erweiterte Haupthaus besitzt Mansarddach und Ecktürmchen, ein Torhaus mit Rundbogen markiert den Eingang, auch Stallungen durften nicht fehlen. Einen wichtigen Teil nahmen die Garten- und Außenanlagen ein. Von dem nah an einem Steilhang gelegenen Grundstück hat man eine erhabene Sicht über das Saaletal. Für Borrmann ist das Ensemble Ausdruck einer „ländlich-natürlichen, patriarchalisch geordneten Lebensart“.
Auf dem Hügel über den Werkstätten thront die Burg Saaleck. 1922 bot der Burgherr, Mitglied der rechtsextremen Organisation Consul, den Mördern von Außenminister Walter Rathenau hier Zuflucht, wo sie bei einer dramatischen Polizeiaktion ums Leben kamen. Noch heute werden zu Ehren der Mörder Kränze niedergelegt.
Die Marzona Stiftung des Verlegers, Kunstsammlers und Mäzens Egidio Marzona will mit dem Erwerb des Grundstücks und der Gründung der Design Akademie Saaleck – kurz die-DAS – das lange leerstehende Gebäude wieder ins Bewusstsein zurückbringen. Nach einem Masterplan des dänischen Architekturbüros Dorte Mandrup sollen die Strukturen saniert und umgenutzt werden. Historische Zeitschichten und neue Hinzufügungen werden sich überlagern und Brüche nachvollziehbar machen. Für die Architektin Dorte Mandrup geht es darum, das „sehr unbequeme Denkmal zurückzuerobern und mit neuen Werten und Inhalten zu füllen.“ Schon seit 2020 bietet dieDAS jungen Stipendiatinnen und Stipendiaten in Sommerschulen auf dem Gelände eine Plattform für politische und ökologische Diskurse. Alexander Stumm
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