Bauwelt

Weiche Knie

Monumentale Gebäude sind für viele Menschen eher angst­einflößend, meint der neue Leiter des Hauses der Kulturen der Welt in Berlin. Schwellen und Hegemonie setzt er Pluralisierung und Miteinander entgegen. Dabei soll Architektur eine große Rolle spielen. Alexander Stumm und Marie Bruun Yde im Gespräch mit Bonaventure Soh Bejeng Ndikung

Text: Stumm, Alexander, Berlin; Bruun Yde, Marie

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Der neue Direktor des HKW: Bonaventure Soh Bejeng Ndikung
Foto: Alexander Steffens

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Der neue Direktor des HKW: Bonaventure Soh Bejeng Ndikung

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Weiche Knie

Monumentale Gebäude sind für viele Menschen eher angst­einflößend, meint der neue Leiter des Hauses der Kulturen der Welt in Berlin. Schwellen und Hegemonie setzt er Pluralisierung und Miteinander entgegen. Dabei soll Architektur eine große Rolle spielen. Alexander Stumm und Marie Bruun Yde im Gespräch mit Bonaventure Soh Bejeng Ndikung

Text: Stumm, Alexander, Berlin; Bruun Yde, Marie

Sie haben Anfang des Jahres die Position des Intendanten und Chefkurators des Hauses der Kulturen der Welt (HKW) übernommen. Am ersten Juniwochenende eröffnet das Haus mit neuem Programm. Was erwartet uns?
Wir arbeiten an mehreren interdisziplinären Formaten: Diskursreihen, Ausstellungen, Musikreihen, Architekturprojekten, Wissenschaftsreihen, viele Kurzzeit-, aber auch Langzeitprojekte über mehrere Jahre, die sich alle in Konversation miteinander befinden und vernetzt sind. Es wird intellektuell anspruchsvoll bleiben. Wissen steckt aber nicht nur im Kopf, sondern im ganzen Körper. Etymologisch bedeutet der Begriff Symposium: zusammen trinken. Es wird am HKW also nicht nur kognitiv, sondern auch sensuell zugehen.
Was ist ein Haus der Kulturen der Welt für Sie?
Das ist eine Frage, die ich selbst noch nicht abschließend beantworten kann. Zunächst ein­-mal müssen wir verstehen, dass es viele Welten da draußen gibt, nicht nur die eine. Wie können wir mit diesen Welten verhandeln, wie können wir sie wahrnehmen? Die Welt ist außerdem keine Konstante. Vor 100 Jahren haben wenige große Mächte die Welt bestimmt. Heute ist das anders. Die Welt ist ein sich stetig verändernder Prozess.
Was bedeuten diese Verschiedenheit und Veränderlichkeit für Ihre Aufgabe?
Unsere Aufgabe hier am HKW ist, unterschied­liche Epistemologien von unterschiedlichen Welten auszustellen. Die Definition dessen, was als anerkanntes Wissen gilt, ist die vielleicht höchste politische Frage. Der Kolonialismus ist so gesehen ein epistemologisches Projekt. Es ging dabei nicht zuvorderst darum, Territorien einzunehmen, sondern eine Wissensvorherrschaft zu generieren. Wie es der kenianische Denker Ngũgĩ wa Thiong’o in „Decolonizing the Mind“ formulierte, geht es darum, das vom Kolonialismus verdrängte Wissen wieder zu erlernen – und das aufgedrängte Wissen zu verlernen.
Der erste Präsident Ghanas, Kwame Nkrumah, hat in seinem Essay „Neo-Colonialism, the Last Stage of Imperialism“ 1965 klargemacht, dass man sich mit der nationalen Unabhängigkeit nicht zufriedengeben kann, sondern sich auch um wirtschaftliche und epistemische Unabhängigkeit bemühen muss
Sie sprechen von Machtasymmetrien.
Diese Asymmetrien existieren bis heute auf vielfältige Weise. Sie sind wirtschaftlicher Natur: In den frankophonen Ländern auf dem afrikanischen Kontinent wird noch der CFA-Franc als Währung verwendet. Er ist an den französischen Franc gebunden – welcher seit der Einführung des Euros nicht einmal mehr existiert.
Die Asymmetrien sind aber auch ökologisch: Bis heute wird chemischer und anderer Abfall aus Europa im Rest der Welt ausgelagert. Bis heute kommen die größten Ölunternehmen an der westafrikanischen Küste aus Europa und den USA, wo sie die Lebensgrundlage der Menschen zerstören. Wenn Menschen von dort nach Europa kommen, werden sie als „Wirtschaftsflüchtlinge“ deklariert.
Sie haben im Zusammenhang mit der Berufung als Intendant von Versöhnung gesprochen. Kann es eine Versöhnung geben und was verstehen Sie darunter?
Man kann Unrecht nicht ungeschehen machen. Aber man kann heilen. Die Narben werden nicht verschwinden, aber sie können aufhören zu schmerzen. Mein Projekt ist Gerechtigkeit: epistemisch, sozial, geographisch, ökologisch und auch andere Formen von Gerechtigkeit.
Welche Rolle spielt Architektur dabei?
Architektur ist so ungemein interessant, weil sie immer politisch ist. Eine spannende Figur ist Hassan Fathy, der seit den 1950er Jahren das Bauen in Ägypten und der arabischen Welt neu gedacht hat – mit traditionellen Adobe- und Lehmbautechniken. Damals, übrigens nicht anders als heute, baute man dort überwiegend große Glas- und Betonkästen. Diese Architektur ist für das Klima der Region aber nicht geeignet. Bei 40 Grad Celsius erhitzt sich der Innenraum erheblich, was zu einem immensen Energieverbrauch durch Klimaanlagen führt und Menschen krankmacht. Fathy sagte schon damals, dass Häuser nicht mehr gebaut werden, um darin zu wohnen, sondern um Klimaanlagen zu verkaufen.
Mich interessiert auch das Bauen der Samen in Finnland, das ich 2019 als Co-Kurator des finnischen Pavillons auf der Biennale in Venedig thematisierte. Auch sie bauen unter Berücksichtigung der gegebenen Umweltverhältnisse.
Wie wird Architektur im HKW zu sehen sein?
Vor einigen Jahren habe ich den indonesischen Architekten Eko Prawoto in der Nähe von Yogyakarta besucht. Er „sammelt“ auf den tausenden Inseln von Indonesien Architektur in Form von Resten indigener Bauten, die seit der holländischen Kolonialzeit vernachlässigt wurden. Wenn wir uns mit den Kulturen der Welten beschäftigen, müssen wir auch die Wohnkulturen mitdenken. Welche Hüllen bauen Menschen, um sich zu beheimaten?
Wir werden jährlich einen Architekten oder eine Architektin einladen, um einen Pavillon im Haus beziehungsweise in der Umgebung des Hauses zu errichten. Dieser Ort soll als Anker fungieren, um über Architektur in der Welt nach­zudenken. Der Architekturpavillon soll außerdem eine Art Prisma werden, durch das man das bestehende Haus bewusster sehen kann. Das Haus soll nicht nur als Hintergrund für Ausstellungen dienen, sondern selbst zum Gegenstand von Betrachtung werden.
Das HKW befindet sich in der 1957 von Hugh Stubbins errichteten ehemaligen Kongress­halle – die „schwangere Auster“ ist ein be­son­derer Bau der Moderne mit ausladender Dachkonstruktion.
Architektur kann einladen, aber auch abschrecken. Stubbins hat einen imposanten Bau geschaffen, bei dem Architekten vor Bewunderung weiche Knie bekommen. Aber für viele Menschen sind monumentale Strukturen eher angstein­flößend. Die damalige Kongresshalle wurde im Tiergarten so angelegt, dass man sie nicht wirklich zu Fuß erreichen sollte. Stattdessen fuhr man als Delegation mit dem Auto über das weitläufige Gelände vor den Haupteingang und befand sich direkt auf dem roten Teppich. Man muss erst diese Distanz überwinden, um ins HKW zu kommen.
Gleichzeitig ist die Architektur des Hauses eine besondere: Die schrägen Wände und „Unformen“ des Baus machen ihn viel spannender als einen einfachen White Cube mit vier rechten Winkeln. Damit möchten wir arbeiten. Die Offenheit des Hauptraums ist eine große Chance. Wir werden uns viel mit dem Gebäude auseinandersetzen, um es zu einem konvivialen Ort zu machen. Gleichzeitig wollen wir Schwellen abbauen und über die Grenzen des eigenen Hauses hinausgehen.
Der öffentliche Raum wird stärker in das Programm integriert?
Wir wollen nicht nur zu uns einladen, sondern auch zu den Menschen gehen. Das HKW wird sich insofern stärker im Stadtraum vernetzen. Das kann mit verschiedenen Aktivitäten passieren, zum Beispiel Skulpturen, Performances oder Murals. Es geht aber zugleich darum, Raum als Archiv zu denken. Wie ist die Stadt aufgebaut, welche Menschen leben an welchen Orten? Mit dem neuen Programm des HKW im öffentlichen Raum geht es auch um Teilhabe. Unterschiedliche Identitäten und Bevölkerungsschichten sollen sich angesprochen fühlen.
Seit einem Jahr herrscht wieder Krieg in Europa. Stehen Sie mit ukrainischen oder auch mit russischen Künstlerinnen in Kontakt?
In unseren Programmen beschäftigen wir uns unter anderem mit dem postsowjetischen Raum: Wir sprechen mit verschiedenen Künstlern aus der Ukraine, die wir unterstützen möchten, und für die wir dazu beitragen wollen, dass ihre Stimmen in Berlin gehört werden. Außerdem richten wir den Blick auf Künstlerinnen und Communities aus dem gesamten postsowjetischen Raum und fragen nach den Auswirkungen des russischen Imperialismus.

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