Bauwelt

Der Zukunft zugewandt

An vielen Orten feiert München sein Olympiajahr 1972. Die umfangreichste und zugleich interessanteste Ausstellung zum Planen, Bauen und Gestalten zeigt das Architekturmuseum der TU München.

Text: Stock, Wolfgang Jean, München

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    Behnischs „Nicht-Architektur“ in der artifiziellen Landschaft des Olympiaparks während der Spiele im Sommer 1972.
    Foto: Christian Kandzia

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    Behnischs „Nicht-Architektur“ in der artifiziellen Landschaft des Olympiaparks während der Spiele im Sommer 1972.

    Foto: Christian Kandzia

Der Zukunft zugewandt

An vielen Orten feiert München sein Olympiajahr 1972. Die umfangreichste und zugleich interessanteste Ausstellung zum Planen, Bauen und Gestalten zeigt das Architekturmuseum der TU München.

Text: Stock, Wolfgang Jean, München

Schon seit Monaten steht das Münchner Kulturleben im Zeichen der Erinnerung an die „heiteren Spiele“ im Sommer 1972. Viele Institutionen, von der Rathausgalerie bis zur staatlichen Neuen Sammlung in der Pinakothek der Moderne, wetteifern beim 50-Jahr-Jubiläum mit Ausstellungen und Gedenkorten. Da stellte sich für das Architekturmuseum der TU München die Frage, was es selbst zu diesem Jubeljahr beitragen kann.
Dass eine umfassende Schau mit höchstem Anspruch entstand, ist vor allem der Kuratorin Irene Meissner zu verdanken. Fast im Alleingang hat sie mit viel Spürsinn die Dokumente, Objekte und Zeugnisse zusammengetragen. Deshalb ist hier einiges zu sehen, das bisher noch nicht zu sehen war. Ein Beispiel: Die Modelle der prämierten Mitbewerber beim Entwurf der Olympiabauten hatte die Kuratorin nach langer Recherche in der Eichstätter Außenstelle des Münchner Staatsarchivs ausfindig gemacht. So kann man nun im direkten Vergleich erkennen, wie epochal der siegreiche Vorschlag für die Zeltlandschaft war – eben keine Anordnung massiver Bauten auf einer riesigen Betonplatte.
Aufgrund der in verschiedenen Medien anschaulich präsentierten Themen lädt die Ausstellung zum intensiven Besuch ein. Schon die Filmstationen mit den Interviews der damaligen Protagonisten und zeithistorischen Aufnahmen beanspruchen viel Zeit. Die Interviews unterstreichen, dass das aus dem Nichts geschaffene Olympiagelände eine beispielhafte Gemeinschaftsleistung war: mit Behnisch und Partner als Architekten, mit Frei Otto und dem Schweizer Heinz Isler als beratende Ingenieure, mit Günther Grzi­mek als Landschaftsarchitekt, mit Otl Aicher als Gestaltungsbeauftragten samt Karsten de Riese, dem offiziellen Olympiafotografen.
Die alle Museumsräume einnehmende Schau lässt sich auf mehreren Ebenen erschließen. Auf großen Tafeln werden die sieben Themen in den drei IOC-Sprachen Deutsch, Englisch und Französisch knapp erläutert. Zur Ergänzung liegen in Vitrinen jeweils zahlreiche Fotos und schriftliche Zeugnisse aus, die das kulturelle Aroma der damaligen Jahre vor Augen führen. Am Beginn der Ausstellung zeigen Filme, wie sich das „Millionendorf“ München unter dem jungen Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel (SPD) zielstrebig der Zukunft zuwandte: Ausbau des öffentlichen Verkehrs mit der gleichzeitigen Abkehr von der autogerechten Stadt. Als München 1966 in Rom den Zuschlag für die XX. Olympiade erhielt, wirkte dies als großer Modernisierungsmotor.
Nicht nur Fachleute werden die schönen Modelle in der Ausstellung schätzen, darunter das Messmodell für das Probedach von Frei Otto aus dem Jahr 1969. Neben den „Hauptsportstätten“ im Olympiapark kommt auch die Kleinarchitektur der silberfarbenen Kioske und Kassenhäuser vor, die Jochem Jourdan mit entworfen hatte. Im Interview beklagt er zu Recht, dass das Olympiagelände inzwischen mit klobigen Holzkiosken und anderen temporären Bauten zugestellt sei. Diese Verschandelung ist aber eine Kleinigkeit im Vergleich zur „Stadiondebatte“ in den späten 1990er Jahren, als Behnisch und Partner selbst das Stadion zur Fußballarena umbauen wollten. Dieser Anschlag konnte erst abgewehrt werden, als auf Initiative von Uwe Kiessler hin die statische Unmöglichkeit erwiesen war.
Irene Meissner hat auch den kritischen Stimmen aus der Entstehungszeit des Olympiaparks Raum gegeben. Die einen, wie die „Wortgruppe München-links“ um Uwe Timm und Dagmar Ploetz, verurteilten die Olympia-Euphorie als Ablenkung von den großen Zeitproblemen wie dem Vietnamkrieg – dazu gibt es ein bemerkens­wertes Gedicht. Andere warnten davor, dass mit dem olympischen Bau-Boom die Lebenshaltungskosten und die Mieten in die Höhe schießen würden. Diese Warnung hat sich dann leider bewahrheitet: Seither wird München, und nicht nur in den inneren Bezirken, einer fast ungebremsten Gentrifizierung unterzogen (Bauwelt 7.2022).
Das Olympiagelände mit seiner Hügellandschaft als einer Gebrauchsarchitektur, in der „nichts verboten ist“ (Grzimek), ist zu einem Ort der Münchner Naherholung geworden, der es an Beliebtheit mit dem Englischen Garten aufnehmen kann. Als ebenso positives Erbe von 1972 hat sich das riesige Olympische Dorf mit seinen Hoch- und Flachbauten erwiesen. Vor allem die Terrassenbauten zählen heute zu den bevorzugten Münchner Wohnlagen. Diese nachhaltige Stadtentwicklung unterscheidet München fundamental von Olympia-Städten wie Athen, Montréal und Rom, wo die dortigen Anlagen dem endgültigen Verfall entgegen gehen. Auch deshalb hat München allen Anspruch darauf, seinen Olympiabezirk von der Unesco zum Weltkulturerbe erklären zu lassen.

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