100 Prozent und mehr
Erweiterung des Umweltbundesamtes in Dessau-Roßlau
Text: Meyer, Friederike, Berlin
100 Prozent und mehr
Erweiterung des Umweltbundesamtes in Dessau-Roßlau
Text: Meyer, Friederike, Berlin
Das Umweltbundesamt in Dessau von Sauerbruch Hutton galt bei seiner Eröffnung 2005 als Modellprojekt für ökologisches Bauen. Jetzt soll es erweitert werden. Und wieder stellt der Bund höchste Nachhaltigkeits-Anforderungen. Ein Vergleich.
Als 1998 der Wettbewerb für den Dienstsitz des Umweltbundesamtes in Dessau ausgelobt wurde, sprach man von einem Modellprojekt. Mit dem Bau sollte demonstriert werden, dass Verwaltungsgebäude ökologisch gebaut und wirtschaftlich betrieben werden können. 20 Prozent des Gebäudeenergiebedarfs sollten aus regenerativen Quellen kommen. Umweltfreundliche Baustoffe waren gefordert und Komfortbedingungen, die nicht über Technik, sondern über natürliche Prozesse erreicht werden. Der Entwurf von Sauerbruch Hutton gewann. Im Wettbewerb hatten die Architekten u.a. vorgeschlagen, das Tiefenwasser als Wärme- und Kältespeicher zu aktivieren, auf dem Dach Solarzellen zu installieren, eine individuelle Lüftung zu ermöglichen und zwei Windkrafträder aufzustellen. Sieben Jahre später wurde der viergeschossige Bürozellenmäander für rund 800 Mitarbeiter, mit Atrium, Holzelementefassade und individuell zu öffnenden Fenstern bezogen (Bauwelt 23.05). Ein Erdwärmetauscher, eine solarunterstützte Kälteanlage und eine Photovoltaikanlage produzieren heute zusammen 10 Prozent des Gebäudeenergiebedarfs. Das geplante Deponiegaskraftwerk, das diesen Wert deutlich verbessern würde, hat die Stadt nie gebaut.
Mehr als 100 Prozent
Bei dem kürzlich entschiedenen Wettbewerb für die Erweiterung des Dienstgebäudes wird wieder eine Vorbildfunktion für das nachhaltige Bauen angestrebt. Entsprechend hoch liegen die Kriterien: Regenerative Quellen sollen mehr Energie liefern, als das Haus insgesamt verbraucht, also mehr als 100 Prozent des Gebäudeenergiebedarfs produzieren. Doch damit nicht genug. Seit 2010 gibt es ein Bewertungssystem für Nachhaltiges Bauen für Bundesgebäude (BNB). Anhand dessen wird die Nachhaltigkeit unter Berücksichtigung von 46 Faktoren mit unterschiedlicher Gewichtung (u.a. Treibhauspotenzial, Umnutzungsfähigkeit, visueller Komfort) berechnet. Beim Neubau in Dessau wird erstmalig ein Gesamterfüllungsgrad von über 80 Prozent (Gold) angestrebt.
Für die 21 ausgewählten Teilnehmer – Teams aus Architekten, TGA-Fachingenieuren und Beratern für thermische Bauphysik – hieß das nicht nur, rund 2000 m² Bürofläche für 100 Mitarbeiter und einen Konferenzbereich in einem möglichst kompakten Baukörper unterzubringen und diesen städtebaulich sinnvoll neben das rund acht mal so große Hauptgebäude zu platzieren. Sie mussten vor allem auch berechnen, wieviel PV-Elemente für die Energiegewinnung gebraucht werden und diese gestalterisch überzeugend in die Außenhülle integrieren. Denn nicht zuletzt ging es um eine dem Modellcharakter angemessene Gestaltung.
Das Abwägen zwischen der Gestaltung und der von den Vorprüfern prognostizierten technischen Performance war auch die Herausforderung für die Jury (Vorsitz: Eckhard Gerber). Den Vorschlag von Anderhalten Architekten (1. Preis) beurteilte sie als „herausragende gelungene Lösung. Intelligente Architektur und energetisches Konzept bilden eine schlüssige Einheit“. Die Architekten schlagen einen 4-geschossigen Stahlbetonbau auf amorphem Grundriss vor, dessen Fassade durch die dem Sonnenverlauf entsprechend optimierte Stellung der PV-Elemente strukturiert wird. Den 2. Preis erhielt der Entwurf von Alten Architekten, die einen Kubus mit einer zweischaligen Ganzglasfassade vorsehen, welche die Jury laut Protokoll kontrovers diskutierte und „ein vollverlgastes Gebäude als eine nicht angemessene Antwort auf die sehr komplexe Frage“ bewertete.
Mehr Mut zum Experiment!
Auch wenn die Entscheidung der Jury zwangsläufig auf Annahmen basiert und erst Jahre nach Inbetriebnahme des Gebäudes wirklich beurteilt werden kann, ob das Konzept der Sieger aufgeht, wirft das Wettbewerbsergebnis Fragen auf: Hätte man bei diesem vergleichsweise kleine Verwaltungsbau (Bausumme: 8 Millionen Euro) nicht mehr Mut zum Experiment haben können? Zum Beispiel was die Verwendung nachwachsender und natürlicher Baustoffe betrifft? Immerhin fordert die Auslobung einen „minimierten Energie- und Stoffeinsatz bei der Erstellung und Beseitigung des Baus“, und schließlich ist es längst möglich, vielgeschossige Bauten aus Holz zu errichten. Wäre nicht auch Lehm ein geeignetes Material, wenn „die Komfortbedingungen möglichst über die Ausnutzung natürlicher Prozesse, Effekte und Prinzipien erreicht werden sollen, statt über technische Maßnahmen“? Und könnte man nicht auch eine flexiblere Form des Zusammen-an-der-Zukunft-Arbeitens zum Beispiel in Form von Kombizonen statt Einzelzellen ausprobieren?
Interdisziplinärer Wettbewerb
1. Preis Anderhalten Architekten, Berlin; Winter Beratende Ingenieure für Gebäudetechnik Berlin; Müller BBM GmbH
2. Preis Alten Architekten, Berlin; VIKA Ingenieur GmbH
3. Preis Knerer und Lang Architekten, Dresden; GESA Ingenieurgesellschaft für Technische Gesamtplanung; Krebs und Kiefer
Anerkennung BHBVT Gesellschaft von Architekten mbH, Busmann, Haberer, Bohl, Vennes, Tebroke, Berlin; Ingenieurgesellschaft W33 mbH, Müller BBM GmbH
Anerkennung Code Unique Architekten, Dresden; CSZ Ingenieurconsult GmbH NL Berlin und Dresden
Mehr als 100 Prozent
Bei dem kürzlich entschiedenen Wettbewerb für die Erweiterung des Dienstgebäudes wird wieder eine Vorbildfunktion für das nachhaltige Bauen angestrebt. Entsprechend hoch liegen die Kriterien: Regenerative Quellen sollen mehr Energie liefern, als das Haus insgesamt verbraucht, also mehr als 100 Prozent des Gebäudeenergiebedarfs produzieren. Doch damit nicht genug. Seit 2010 gibt es ein Bewertungssystem für Nachhaltiges Bauen für Bundesgebäude (BNB). Anhand dessen wird die Nachhaltigkeit unter Berücksichtigung von 46 Faktoren mit unterschiedlicher Gewichtung (u.a. Treibhauspotenzial, Umnutzungsfähigkeit, visueller Komfort) berechnet. Beim Neubau in Dessau wird erstmalig ein Gesamterfüllungsgrad von über 80 Prozent (Gold) angestrebt.
Für die 21 ausgewählten Teilnehmer – Teams aus Architekten, TGA-Fachingenieuren und Beratern für thermische Bauphysik – hieß das nicht nur, rund 2000 m² Bürofläche für 100 Mitarbeiter und einen Konferenzbereich in einem möglichst kompakten Baukörper unterzubringen und diesen städtebaulich sinnvoll neben das rund acht mal so große Hauptgebäude zu platzieren. Sie mussten vor allem auch berechnen, wieviel PV-Elemente für die Energiegewinnung gebraucht werden und diese gestalterisch überzeugend in die Außenhülle integrieren. Denn nicht zuletzt ging es um eine dem Modellcharakter angemessene Gestaltung.
Das Abwägen zwischen der Gestaltung und der von den Vorprüfern prognostizierten technischen Performance war auch die Herausforderung für die Jury (Vorsitz: Eckhard Gerber). Den Vorschlag von Anderhalten Architekten (1. Preis) beurteilte sie als „herausragende gelungene Lösung. Intelligente Architektur und energetisches Konzept bilden eine schlüssige Einheit“. Die Architekten schlagen einen 4-geschossigen Stahlbetonbau auf amorphem Grundriss vor, dessen Fassade durch die dem Sonnenverlauf entsprechend optimierte Stellung der PV-Elemente strukturiert wird. Den 2. Preis erhielt der Entwurf von Alten Architekten, die einen Kubus mit einer zweischaligen Ganzglasfassade vorsehen, welche die Jury laut Protokoll kontrovers diskutierte und „ein vollverlgastes Gebäude als eine nicht angemessene Antwort auf die sehr komplexe Frage“ bewertete.
Mehr Mut zum Experiment!
Auch wenn die Entscheidung der Jury zwangsläufig auf Annahmen basiert und erst Jahre nach Inbetriebnahme des Gebäudes wirklich beurteilt werden kann, ob das Konzept der Sieger aufgeht, wirft das Wettbewerbsergebnis Fragen auf: Hätte man bei diesem vergleichsweise kleine Verwaltungsbau (Bausumme: 8 Millionen Euro) nicht mehr Mut zum Experiment haben können? Zum Beispiel was die Verwendung nachwachsender und natürlicher Baustoffe betrifft? Immerhin fordert die Auslobung einen „minimierten Energie- und Stoffeinsatz bei der Erstellung und Beseitigung des Baus“, und schließlich ist es längst möglich, vielgeschossige Bauten aus Holz zu errichten. Wäre nicht auch Lehm ein geeignetes Material, wenn „die Komfortbedingungen möglichst über die Ausnutzung natürlicher Prozesse, Effekte und Prinzipien erreicht werden sollen, statt über technische Maßnahmen“? Und könnte man nicht auch eine flexiblere Form des Zusammen-an-der-Zukunft-Arbeitens zum Beispiel in Form von Kombizonen statt Einzelzellen ausprobieren?
Interdisziplinärer Wettbewerb
1. Preis Anderhalten Architekten, Berlin; Winter Beratende Ingenieure für Gebäudetechnik Berlin; Müller BBM GmbH
2. Preis Alten Architekten, Berlin; VIKA Ingenieur GmbH
3. Preis Knerer und Lang Architekten, Dresden; GESA Ingenieurgesellschaft für Technische Gesamtplanung; Krebs und Kiefer
Anerkennung BHBVT Gesellschaft von Architekten mbH, Busmann, Haberer, Bohl, Vennes, Tebroke, Berlin; Ingenieurgesellschaft W33 mbH, Müller BBM GmbH
Anerkennung Code Unique Architekten, Dresden; CSZ Ingenieurconsult GmbH NL Berlin und Dresden
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