Bauwelt

„Architekten sind zu sehr auf Gebäude fixiert“

Interview mit Fritz Haeg

Text: Meyer, Friederike, Berlin; Haeg, Fritz, Los Angeles

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Foto: Leslie Furlong/„Edible Estate Regional Prototype Garden #06: Baltimore, Maryland“ Commissioned by the Contemporary Museum Baltimore, 2008

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„Architekten sind zu sehr auf Gebäude fixiert“

Interview mit Fritz Haeg

Text: Meyer, Friederike, Berlin; Haeg, Fritz, Los Angeles

Seit mehreren Jahren legt der Architekt und Künstler Fritz Haeg gemeinsam mit den Bewohnern US-amerikanischer Vorstädte Obst- und Gemüsegärten an. Er sieht darin eine Metapher dafür, wie ein gutes Gebäude funktionieren kann.
Mit Ihrem Projekt „Edible Estates“ gestalten Sie in mehreren Städten der USA Vorgärten von Einfamilienhäusern um, indem Sie Rasen durch Beete ersetzen. Welche Rolle spielt der Vorgarten in den USA?
Ursprünglich waren diese Vorgärten als Gemeinschaftsgrün gedacht, ganz anders als der europäische Vorgarten, der fast immer umzäunt ist. Inzwischen ist der Rasen vor dem amerikanischen Einfamilienhaus, der Front Lawn, zu einem isolierten Raum geworden. Er ist ein Zeichen für Komfort, Luxus, Kontrolle, auch für Unabhängigkeit. Der amerikanische Traum manifestiert sich ja unter anderem im eigenen Haus, das auf eigenem Grund steht. Der Rasen zeigt, dass man es geschafft hat. Der Zustand dieses Rasens sagt viel darüber aus, wie es seinen Besitzern geht, und er charakterisiert ganze Nachbarschaften. Wenn man so will, stelle ich mit meinem Projekt nicht nur den Front Lawn in Frage, sondern in gewisser Weise auch das Wertesystem der Gesellschaft.
Gibt es da nicht erheblichen Widerstand?
Ich will niemanden bekehren. Ich gestalte in der Regel einen Garten pro Jahr, wo immer mich ein Museum oder eine Kunst­institution dazu einlädt. Ich suche die Leute sorgfältig aus, die wissen alle, was sie tun. Der nächste Garten wird in Minneapolis entstehen.
Sie sind Architekt, arbeiten aber eher als Künstler.
Meine Arbeit streift viele Bereiche, für manche bin ich ein Gärtner, für andere ein Künstler. Architekten sind ja dafür ausgebildet, komplexe Situationen und Aufgaben zu bewältigen. Das ist eine großartige Fähigkeit. Sie verschwenden diese Fähigkeit aber oft, weil sie zu sehr auf Gebäude fixiert sind. Wenn sich mehr Architekten als „Aktivisten“ begreifen würden, die die Welt verändern wollen, brächte uns das wesentlich weiter.
Müssen sich Architekten mit Urban Farming beschäftigen?
Ein Nutzgarten ist die Metapher dafür, wie ein gutes Gebäude funktionieren kann. Er ist entworfen und angelegt, um sich über die Zeit zu verändern – wie ein Gebäude auch. Wenn es fertiggestellt ist, fängt seine Geschichte ja eigentlich erst an. Viele Architekten haben einen zu engen Blick auf dieAnpassungsfähigkeit der Architektur. Im Studium bekamen wir beigebracht, dass Architekten einen festen Rahmen vorzu­ge­ben haben, nach dem sich die Menschen zu richten haben.
Warum liegt das Thema Urban Farming derzeit im Trend?
Ich sehe das nicht als Trend, eher als eine Verschiebung der Mentalität. Das Interesse daran kommt ja aus allen Schichten der Gesellschaft, nicht nur von Künstlern oder Garten­akti­visten. Alle suchen offenbar nach etwas, und es zeigt, wie krank unser System ist.
Wird es die Arbeitsweise der Architekten verändern?
Ich bin schockiert über die Architekten, die wir als radikal, experimentell und fortschrittlich bezeichnen, die ihre Gebäude mit giftigen Materialien umhüllen, damit diese skulptural aussehen. Sie benutzen den Freiraum, um ihr Gebäude als Objekt wirken zu lassen. Ich bin interessiert an einer Haltung, bei der die Gebäude hinter dem Freiraum rangieren oder ihm wenigstens gleichgestellt sind. Gebäude sind nicht die Hauptsache, sie sind Teil der Landschaft. Manche Architekten sagen: „Ich habe ein Haus gebaut, auf einem Grundstück, auf dem vorher nichts war.“ Das ist doch schon der erste Trugschluss.
Fakten
Architekten Haeg, Fritz, Los Angeles
aus Bauwelt 39.2012
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