„Archiv, Bibliothek, Werkstatt und Infrastruktur für weitere Forschung“
Interview mit Zvi Efrat und Hubertus Adam
Text: Ballhausen, Nils, Berlin; von Beckerath, Verena, Berlin
„Archiv, Bibliothek, Werkstatt und Infrastruktur für weitere Forschung“
Interview mit Zvi Efrat und Hubertus Adam
Text: Ballhausen, Nils, Berlin; von Beckerath, Verena, Berlin
Ein Gespräch mit dem Architekten und Kurator Zvi Efrat und dem Künstlerischen Leiter des Schweizerischen Architekturmuseums Hubertus Adam über die Ausstellung „The Object of Zionism. Architektur und Staat Israel 1948–73“.
Ist die Ausstellung „The Object of Zionism“ die umfangreichste, die Sie bislang im S AM ausgerichtet haben?
Hubertus Adam | Mit all diesen Archivalien ist sie es sicher. Die etwa 1500 Bilder und Pläne sind eine Herausforderung, und denkt man noch an die Videos und Filme, so kann man sich als Besucher für die Ausstellung einen ganzen Tag oder auch länger Zeit nehmen.
Welches Publikum wird durch das Thema angesprochen?
HA | Nicht das typische Publikum einer Architekturausstellung, sondern auch viele, die am arabisch-israelischen Konflikt interessiert sind.
Zvi Efrat | Es dürfte die umfangreichste Ausstellung über israelische Architektur sein, die je außerhalb Israels gezeigt wurde. Ich habe zwei unterschiedliche Gruppen ausgemacht: Ältere Besucher, die sich an die 50er und 60er Jahre in Israel als eine Epoche voller Optimismus und an den damaligen gesellschaftlichen und politischen Idealismus erinnern. Architektur galt als Vehikel, um Ideen zu realisieren. Einige dieser Besucher hatten sich damals als Architekten entschlossen, nach Israel zu gehen, um Teil des Experiments zu sein. Jüngere Besucher fühlen sich von Themen angesprochen, die für Architekten heute wieder relevant sind, etwa die im damaligen Israel extrem ausgeformte Variante des Wohlfahrtsstaats, die Solidarität der Gemeinschaft und das öffentliche Bauen. Ich werde oft um Pläne von Projekten aus jener Zeit gebeten, auf die sich die Kollegen in Wettbewerben beziehen möchten, etwa Prototypen von Häusern für das Existenzminimum.
Das Archivmaterial wurde erstmals 2001 im Tel Aviv Museum of Art gezeigt. Gab es damals eine andere Resonanz auf die Ausstellung als in Basel?
ZE | Eine völlig andere. Als ich die Ergebnisse meiner Forschung vor zehn Jahren in Israel zeigte und anschließend ein Buch darüber publizierte, gab es noch eine große Voreingenommenheit gegenüber der Architektur der 50er und 60er Jahre. Diese Zeit war aus verschiedenen Gründen konnotiert als die „der schlechten Jahrzehnte“, in denen ein Ausnahmezustand herrschte. Um das Jahr 2000 wuchs das Interesse am Bauhaus, an der weißen Architektur der dreißiger Jahre in Tel Aviv und an der Transformation der europäischen Moderne in Israel. Aber die 50er und 60er Jahre und ihre Architektur waren weiterhin verpönt, kaum jemand beschäftigte sich damit. Selbst die Architekten verleugneten ihre Bauten aus dieser Zeit und ließen es zu, dass sie verunstaltet wurden. Es waren aber nicht nur die Gebäude, die missachtet wurden, sondern vor allem die Werte, für die sie standen.
Wie muss man sich das vorstellen?
Die Gesellschaft hatte sich Mitte der 70er Jahre sehr schnell und grundlegend verändert, von einem Sozialstaat – man kann sogar sagen, einem sozialistischen Staat –, in ein Land mit einer rechtsgerichteten Regierung und einer radikal liberalisierten Wirtschaftspolitik. Niemand wollte mehr an die Gebäude der Gewerkschaften und der sozialen Institutionen erinnert werden, an Sanatorien und andere „überflüssige“ Einrichtungen, die die alten „bolschewistischen“ Zeiten repräsentierten. Die Kibbuzim zum Beispiel wurden über Jahrzehnte gesellschaftlich und wirtschaftlich von einer reichen Elite ruiniert, die sich von der israelischen Gesellschaft abgelöst hatte und nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht war.
Wie sind Sie an dieses außergewöhnliche und umfangreiche Material gelangt?
ZE | Wir kamen 1994 aus Princeton nach Israel zurück, in einer Zeit, die von einer gewissen Hoffnung geprägt war, kurz vor dem Anschlag auf Premier Yitzhak Rabin. Ich war gerade dabei, eine Dissertation über die New-Deal-Economy im Amerika der 1930er Jahre abzuschließen. Aber als ich sah, wie wenig geachtet die Architektur der 50er und 60er Jahre in Israel war, mit ihren städtebaulichen Experimenten und Beispielen der internationalen Architekturmoden der Nachkriegszeit, des Brutalismus und des Strukturalismus – Israel war diesbezüglich ein wahres Versuchslabor –, da begann ich mich für diese Zeit zu interessieren; so begann meine Forschung. Dabei musste ich mich beeilen, denn die Architekten jener Jahre kamen in ein Alter, in dem es schwierig wird, Interviews zu geben und persönliche Aufzeichnungen herauszusuchen.
Wie sind Sie vorgegangen?
ZE | Wir retteten zunächst die Unterlagen, die wir bei unseren Besuchen in den Büros vorfanden. Mit dem Künstler und Fotografen Daniel Bauer, einem guten Freund und ehemaligen Studenten von mir, der glücklicherweise ein großes Motorrad besitzt, fuhr ich kreuz und quer durch das Land. Wir haben die privaten Archive der Architekten, Pläne, Fotos, Zeichnungen und Texte, digitalisiert. Außerdem hielten wir alle Interviews auf Videos fest. Leider sind viele im Tel Aviv Museum of Art, das unsere Recherche finanzierte, beim Kopieren in andere Formate verloren gegangen – ein unersetzlicher Verlust, denn die meisten der Interviewten sind längst verstorben. Aber auch in den öffentlichen Archiven fanden wir Material aus dieser Zeit, in den nationalen und den städtischen und in den Archiven der Kibbuzim. Allein in den hunderten von Kibbuz-Archiven existiert eine Fülle von Materialien, die noch längst nicht erfasst ist. Als wir die Ergebnisse unserer Recherche 2001 in der Ausstellung zeigten, stießen wir in Israel einen völlig neuen Diskurs über Architektur an. Im Anschluss an die Publikation des Ausstellungskatalogs 2004 sind zehn, fünfzehn Bücher über das Thema erschienen, darunter Biografien über Architekten jener Zeit. Zurzeit schreibt Haim Yacobi an einem Buch über israelische Architekten, die in den 60er Jahren in Afrika arbeiteten; auch der Export von Architektur war bereits Thema eines Kapitels in unserem Katalog. Und Eyal Weizman, ursprünglich Mitarbeiter in unserem Forschungsteam, führte die begonnene Diskussion in seinem Buch „Hollow Land: Israel’s Architecture of Occupation“ (2007) über unseren Bearbeitungszeitraum hinaus weiter.
Das Bildmaterial ist jeweils mit einem Text versehen. Die Kapitel tragen Überschriften wie Detail, Housing Typologies, Instant Villages, Luxus, Occupation, um nur einige zu nennen. Wie haben Sie eine Ordnung für das „Laboratory of Modernism“ im Israel der 50er und 60er Jahre gefunden?
Das Bildmaterial ist jeweils mit einem Text versehen. Die Kapitel tragen Überschriften wie Detail, Housing Typologies, Instant Villages, Luxus, Occupation, um nur einige zu nennen. Wie haben Sie eine Ordnung für das „Laboratory of Modernism“ im Israel der 50er und 60er Jahre gefunden?
ZE | Als wir in den 90er Jahren mit dem Sammeln begannen war es nicht möglich, das Material typologisch, alphabetisch, z. B. nach Architekten, oder geografisch zu sortieren, und ich suchte nach einem Ordnungssystem. Schließlich fand ich eine Taxonomie von Gegenständen und Begriffen, die miteinander in Beziehung stehen und die ein vollständiges, aber kein einheitliches Bild liefert. Die Zeit um die es geht, darf keinesfalls als einheitlich und eindimensional betrachtet werden; sie war sehr vielfältig und oft auch widersprüchlich. Die Ordnung ist eine Infrastruktur für weitere Forschungsarbeiten, die Ausstellung ist sowohl Werkstatt als auch Bibliothek. Ihre Anordnung ist andererseits ziemlich willkürlich, man kann sich darin frei bewegen, sie ist ein experimenteller Raum.
Sie sind Architekt, Kurator, Forscher und Autor. Worin unterscheidet sich die Ausstellung eines Architekten zu diesem Thema von, beispielsweise, der eines Historikers?
ZE | Für mich als Architekt ist der visuelle Eindruck im musealen Raum am wichtigsten. In Basel zeigen wir im ersten Raum, quasi als Einführung, den Film „Sopraluoghi in Palestina“ von Pier Paolo Pasolini. Dabei sollen keine Informationen zum Thema der Ausstellung transportiert werden. Es geht vielmehr um emotionale Eindrücke und persönliche Zugänge, die eines Reisenden oder eines Fremden. Wir haben uns dafür nicht aus rein künstlerischen und ganz gewiss nicht aus wissenschaftlichen, sondern ganz und gar aus architektonischen Gründen entschieden. In einem bestimmten Sinne sind die bildlichen und textlichen Informationen auf architektonische Weise organisiert. Die Architektur der Ausstellung im S AM entstand, wie auch die in Tel Aviv, in Zusammenarbeit mit meiner Partnerin Meira Kowalsky. Ein Grundgedanke war, einen Zusammenhang zwischen den Räumen der Ausstellung und der Stadt herzustellen. Das ist im S AM nicht selbstverständlich, denn die Fensteröffnungen werden meist verdeckt, um eine größere Hängefläche zu erhalten. Wir haben historische Gründe für die Öffnung, denn schräg gegenüber steht das Stadtcasino, in dem 1897 erstmals der Zionistische Kongress zusammenkam. Dort hat alles begonnen. Um die Unmittelbarkeit zwischen innen und außen etwas einzuschränken, haben wir Rahmen und Jalousien aus Kunststoff eingesetzt, ein emblematisches Detail der Architektur der 50er und 60er Jahre in Israel, eine bestimmte Art von Sonnen- und Sichtschutz, den es heute nicht mehr gibt.
HA | Auch viele Architekten erkennen das nicht auf Anhieb. Wir mussten bei Führungen oft erklären, dass die Blenden nicht zum Gebäude gehören, sondern eigens für diese Ausstellung angefertigt wurden.
Im zweiten und dritten Saal gibt es neben den Exponaten an den Wänden auch Archivkästen mit Schubladen, die bestimmten Projekten gewidmet sind und dazu einladen, Bilder und Dokumente in die Hand zu nehmen.
ZE | Man muss Sammlungen aus Archiven so zeigen, dass die Besucher aktiv einen eigenen Weg durch die Ausstellung nehmen können. In Tel Aviv war es wunderbar zu sehen, wie viele Leute ihre eigenen Geschichten in der Ausstellung wiedergefunden haben – Häuser, in denen sie aufgewachsen waren, oder sie entdeckten ihre Eltern auf Fotos. Diese Rückschau erinnerte die Besucher auch an die damalige Harmonie zwischen dem gesellschaftlich-politischen Zeitgeist und der Architektur. Ich hatte ein überraschendes Gespräch mit Meiras Schwester. Sie hatte als Biologiestudentin in einem der Modellhäuser in Beer Sheva gewohnt, im Carpet House. Wie es kam, dass sie als Intellektuelle mit einem entsprechenden Lebensstil ausgerechnet dort lebte, wollte ich gerne wissen. Und sie beschrieb die damalige internationale Gemeinschaft von linksorientierten Akademikern, jungen Leuten und Professoren der neu gegründeten Universität von Beer Sheva, die, gefördert von der Regierung, in den Negev kamen. Es war ein Architektur- und ein Städtebauexperiment, und junge Bohemiens wollten genau dort leben. Sie sagte, es sei großartig gewesen, und auch die Blocks in der Nachbarschaft funktionierten für eine gewisse Zeit. Aber dann, nach der politischen Wende, verließen die Leute den Ort wieder. Abgesehen von den Carpet Houses ist heute alles in einem schaurigen Zustand und von armen Leuten bewohnt.
Haben Ihre Forschung und die Veröffentlichung irgendeine Auswirkung auf die Wahrnehmung der israelischen Siedlungspolitik?
ZE | Architekten können wahre Opportunisten sein, viele von ihnen haben weiterhin Aufträge im Westjordanland, der einzigen Gegend, in der die Regierung noch Siedlungen baut. Aber die junge Generation beginnt, das damit verbundene Problem zu verstehen und verzichtet darauf. Ich selbst war mit diesem Thema schon früh konfrontiert. Mein Vater war Architekt und arbeitete für den Siedlungsbau, in unserem Haus wurde viel darüber diskutiert. Als Teenager habe ich ihm und seinen Kollegen beim Modellbau geholfen und gemerkt, dass das, was wir tun, ein Problem darstellt. Eyal Weizman hat systematische Untersuchungen zum Siedlungsbau angestellt, diese veröffentlicht und daraus ein wirkliches Thema gemacht. Obwohl er nicht Teil des akademischen Betriebs ist, hat er inzwischen große Resonanz in Israel gefunden.
Hatten Sie die Absicht, mit der Ausstellung das kritische Gegenwartsbild Israels zu verbessern?
HA | Es ist ein Versuch, mit den Mitteln der Ausstellung die Situation in Israel zu zeigen, Hintergründe und Hinweise zu liefern, um so einen besseren Einblick in die Verhältnisse zu gewinnen. Weder handelt es sich hierbei um eine Pro- noch um eine Anti-Israel-Veranstaltung. Aber es gibt wohl kein Land auf der Welt, in dem Architektur stärker mit Politik verwoben ist, als Israel. Es ist geradezu ein Musterbeispiel.
In Ihrem Artikel „The Politics of New Towns in Israel“, der Teil der Ausstellungszeitung des S AM ist, beschreiben Sie die Beziehung zwischen der räumlich-sozialen Utopie des Kibbuz und dem weiter entwickelten Konzept der staatlichen New Towns in den 50er und 60er Jahren. Während der fortwährende Bau von Siedlungen in den besetzten Gebieten sich in gewisser Weise auf die New Towns bezieht, scheinen sich deren Ideen und die damit verbundenen Werte in ihr Gegenteil verkehrt zu haben.
ZE | Heute haben wir in Israel nicht nur neue Trends in der Architektur und der Planung, sondern eine ganz andere Politik. Die sozialistische New Town war ehemals auch als Ort der Produktion gedacht, mit eigenen Unternehmen und Fabriken. Sie haben, wie ich beschrieben habe, nie als solche funktioniert, erst recht nicht in Folge der Globalisierung: Die einfachen Arbeiten werden weitgehend in den Fernen Osten verlagert. Die Siedlungen, die später gebaut wurden, sind im Wesentlichen suburbane Gated Communities, Schlafstädte, umgeben von Zäunen und Beleuchtungsanlagen, in denen die gesicherten Straßen, die sie von den palästinensischen Dörfern trennen, enden. Die Bewohner sind gezwungen zu pendeln, denn die Städte haben keine Umgebung. Die heutige Rhetorik spricht von der hohen Lebensqualität, der herrlichen Umgebung und der bevorzugten Lage auf den Hügeln mit ihrer schönen Aussicht. Es sind größere Häuser, die sich junge Paare dank staatlicher Subventionen leisten können, und für deren Preis man in Tel Aviv nur ein kleines Apartment bekäme. Deswegen und weil die Schulen gut sind und die Kinder eine gute Ausbildung erhalten, sind viele Leute dort hingezogen. Auch alte New-Towners, die sich verbessern wollen, ziehen in die neuen Siedlungen mit eigenen Häusern. Sie sind auf der Gewinnerseite des Lebens, eine sublime Rache an der Arbeitspartei, gegen die es weiterhin eine große Animosität gibt.
Um auf den Begriff der Authentizität zu sprechen zu kommen, den Sie im Zusammenhang mit Ihren Ausführungen zum Brutalismus in der israelischen Architektur verwenden: Es gibt in der Ausstellung interessante Beispiele dafür, darunter der Kernforschungsreaktor von Philip Johnson und das Arbeitersanatorium Mivtakhim von Yacov Rechter, das nicht nur außen- und innenräumliche Qualitäten besitzt, sondern auch perfekt in die Landschaft eingefügt ist.
ZE | Der Brutalismus verbreitete sich, als er Israel erreichte, wie ein Strohfeuer und wurde quasi zum Nationalstil. Ganz gleich, ob öffentliche Gebäude, Verwaltungsbauten, Kulturbauten, Denkmäler oder Wohnhäuse, innerhalb einer bestimmten Zeitspanne war alles Brutalismus. Dabei ging es gar nicht um die Hülle, sondern es gab einen psychologischen und einen generationsbezogenen Subtext. Wir sprechen hier über eine neue Generation von Architekten, den Sabres, die in Israel geboren sind und auch dort studiert haben. Sie rebellierten gegen ihre Eltern, gegen die Generation der so genannten Bauhaus-Architekten – europäische Immigranten mit ihrer weißen Architektur des International Style –, und sie wehrten sich gegen die immer gleichen weißen Hemden und die Jacketts. Sie wollten, im übertragenen Sinne, Jacke und Hemd ausziehen und die nackte Haut darunter zeigen. Es war die Zeit, in der nicht nur Architekten, sondern auch Künstler und Literaten den neuen Israeli suchten, der direkt, ungehobelt und rau, sehr sinnlich und stark sein sollte und nicht länger der Jude der Diaspora. Auch die Architektur sollte stark sein und Gewicht, Unmittelbarkeit, Struktur, Taktilität und Sinnesfreude zeigen. Eine Architektur, die sowohl an der Oberfläche, als auch räumlich mehr Plastizität und Materialqualität aufweist, eine materielle Architektur. In diesem Sinne war der Brutalismus eine authentische Architektur.
Welchen Einfluss haben die Erkenntnisse Ihrer Forschungsarbeit auf die Praxis und die Projekte jüngerer Architekten, insbesondere auch auf die Ihres eigenen Büros Efrat-Kowalsky Architects?
ZE | Nach so vielen Jahren der Beschäftigung mit dieser Zeit und ihren Gebäuden haben wir nicht nur ein großes Wissen, ein Verständnis für ihren Spirit erworben, sondern auch den Wunsch entwickelt, etwas für sie zu tun. Wir möchten herausfinden, ob man den New Towns, ihren öffentlichen Gebäuden und auch einzelnen Wohnanlagen, eine Erneuerung, eine Verlängerung ihrer Existenz ermöglichen kann. Zu beachten ist, dass die New Towns trotz ihres Potenzials einen sehr schlechten Ruf haben. Um eine Umkehrung der gegenwärtigen Abwanderung in neue Siedlungen zu bewirken, muss man dieses Potenzial zunächst aufzeigen und für heute zugänglich machen. Hierfür können wir sowohl in der öffentlichen Debatte, als auch in der beruflichen Praxis einiges tun. Für viele leerstehende Gebäude, stillgelegte Fabriken und ungenutzte öffentliche Bauten haben wir Anstrengungen für die Wiedernutzung unternommen. Aber es gibt auch den öffentlichen Wohnungsbau, nicht nur in den New Towns, sondern auch an den Rändern der Großstädte, die heute Zentren von Armut und Verwahrlosung sind. Ich denke, die Zeilenbauten der 50er und 60er Jahre haben ein gewisses typologisch-architektonisches Potenzial, mit dem wir arbeiten können. Wegen der gestiegenen Ansprüche an die Wohnungsgröße, den allgemeinen Wohnstandard und die Infrastruktur können wir das sicher nicht im Maßstab 1:1 fortführen und übernehmen. Aber die Anlage dieser Wohnsiedlungen, landschaftlich eingebettet im Sinne des Gartenstadtgedankens, lässt heutigen Architekten Raum, die Qualitäten herauszuarbeiten und zu intervenieren, anstatt das Areal den Immobilienentwicklern zum Abriss zu überlassen, die dort dann als Kapitalanlage hochverdichteten Wohnungsbau errichten.
Zu Ihren Projekten, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dieser Zeit und ihrer Architektur stehen, gehören öffentliche Bauten, insbesondere Museen. Ihre architektonische Strategie liegt dabei in der Fortschreibung des ursprünglichen Entwurfsgedankens. Wie sind Sie bei der Neuorganisation und Erweiterung des Israel Museums in Jerusalem (2001–10) vorgegangen?
ZE | Hier hatten wir das Glück, nicht nur eine Erweiterung des Museums planen zu dürfen, sondern mit der Ergänzung, der Instandsetzung und Modernisierung des Gebäudes auch einen öffentlichen Diskurs über Architektur initiieren zu können. Wir haben zeigen können, dass die Befreiung der Anlage von später hinzugefügten Teilen es ermöglichen würde, die Logik des ursprünglichen Museums fortzuführen. Es besteht eigentlich aus Pavillons, die nach einem mathematischen Prinzip angeordnet sind. Ein weiteres Beispiel ist der bereits erwähnte nukleare Forschungsreaktor von Philip Johnson, ein Monolith aus Beton, geometrisch, komplex und schön. Der Beton hat mit den Jahren gelitten, man hat das Gebäude mit dicker Teerpappe zugedeckt und weiß gestrichen – ein Verbrechen! Inzwischen hat man seinen architektonischen Wert erkannt. Wer weiß, vielleicht haben sie es in meinem Buch wiederentdeckt? Man achtet in Israel inzwischen mehr auf die Architektur dieser Zeit.
Das Thema hat spätestens mit der Ausstellung in Basel den israelischen Kontext verlassen. Worin könnte das internationale Fachinteresse bestehen?
ZE | Aufregend und hoffentlich erfolgreich sind die aktuellen Protestbewegungen – in Israel, wie auch anderswo in der Welt –, die an den sozialen Wert dieser Architektur erinnern, an den Wohlfahrtsstaat und den öffentlichen Wohnungsbau. Hier liegt unsere Auffassung von einem politischen Architekten begründet. Es ist eine Vorstellung der Moderne, dass Architektur den entscheidenden Unterschied ausmachen könnte. Es ist an der Zeit, Architektur als Instrument für einen wirklichen Wandel zu betrachten, auch wenn er nur auf lokaler Ebene stattfindet, klein und beschränkt. Aber sie spielt sich im wirklichen Leben ab, schafft Räume für die Menschen, die Stadt und bleibt nicht auf der Ebene der Theorie stehen. Zusammen mit dem Bürgermeister von Beer Sheva möchte ich ein neues Modellhaus-Projekt in Gang zu setzen, eine Internationale Bauausstellung.
HA | Auch in Europa gibt es ein wachsendes Interesse an der Architektur der 50er und 60er Jahre, vor allem unter den jüngeren Architekten. Es hat damit zu tun, dass diese Architektur mit einer Utopie verbunden war, die wir heute vermissen und wir das Gefühl haben, etwas von ihr lernen zu können.
ZE | Man kann auch aus den Fehlern jener Zeit lernen, nicht zuletzt in Israel. Das, was ich „The Israeli Project“ genannt habe, dieser Prozess des Nation Building und die Errichtung der New Towns, war ein indoktrinärer und problematischer Prozess, völlig unsensibel gegenüber ethnischen und gesellschaftlichen Unterschieden. Auf der anderen Seite handelte es sich um eine Architektur ohne Zynismus, eine verpflichtete und verpflichtende Architektur. Und um eine Zeit, in der,
so glaube ich, die Bürger den Architekten vertrauten und sich als Teil einer gemeinsamen gesellschaftlichen Überzeugung sahen. Architektur sollte wieder wesentlich werden.
so glaube ich, die Bürger den Architekten vertrauten und sich als Teil einer gemeinsamen gesellschaftlichen Überzeugung sahen. Architektur sollte wieder wesentlich werden.
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