Auf der Suche nach dem offenen Modell
Das Instrument IBA
Text: Geipel, Kaye, Berlin; Meyer, Friederike, Berlin; Friedrich, Jan, Berlin
Auf der Suche nach dem offenen Modell
Das Instrument IBA
Text: Geipel, Kaye, Berlin; Meyer, Friederike, Berlin; Friedrich, Jan, Berlin
Internationale Bauausstellungen wohin man schaut. Allein in Deutschland sind aktuell vier IBAs am Start. Zugleich entdecken auch unsere Nachbarn in den Niederlanden, in der Schweiz und in Frankreich die Vorteile des temporären Stadtplanungsinstruments und entwickeln es weiter. In dieser Ausgabe stellen wir ihre Ansätze und Programme vor und ermöglichen einen Vergleich.
Wie unterscheiden sich die neuen Bauausstellungen von ihren Vorgängern? Wo liegen die Grenzen des Formats IBA? Und weshalb ist es auf einmal so beliebt?
Mehr Masse geht nicht. Der Wilhelmsburger Flakbunker ist das fetteste Stück Architektur, das man sich vorstellen kann. Der zum „Energiebunker“ transformierte Betonkoloss, der auf dem Foto von Oliver Heissner aus dem Jahr 1995 noch bemoost und wehrhaft aussieht, ist ein Leitprojekt der Hamburger Bauausstellung, die am 23. März ihre Tore geöffnet hat. Sie basiert auf dem Erfolgsmodell der großen IBAs „alten Stils“, wie es zuletzt die Berliner Bauausstellung von 1987 war: Sie ist mit der Elbinsel Wilhelmsburg auf einen klar umgrenzten städtischen Raum konzentriert, der räumliche und soziale Probleme aufweist; sie verfügte über großzügige finanzielle Mittel; und sie wird durch eine klassische Bauausstellung, die „IBA in der IBA“, mit neuer Architektur unterfüttert.
Doch das ist nur die eine Seite der IBA Hamburg. Mit ihrem zweiten Bein steht diese Bauausstellung auf der Seite der neuen, in Netzwerken denkenden IBAs, wie sie gerade in Basel und in Berlin, in Limburg und in Heidelberg an den Start gehen. Diese zweite Seite der Hamburger IBA kombiniert denn auch mit Leichtigkeit so unterschiedliche Themen wie Stadt im Klimawandel, Metrozonen und Kosmopolis – letzteres ein vager und modischer Begriff, für den IBA-Geschäftsführer Uli Hellweg anfangs noch Kritik einstecken musste, der sich aber im Zuge der IBA-Laufzeit als Katalysator für die Suche nach Lösungen in den ethnisch gemischten Quartieren als wirkungsvoll erwies.
Stolperfalle Themensuche
Weitgehend unbemerkt von der Fachdiskussion hat sich das Format Internationale Bauausstellung in den Programmen der „Neuen“ weiterentwickelt. Es hat sich gehäutet, ist vielfältiger und offener geworden. Vor allem aber: Neben Heidelberg und Berlin sind mit Basel und Parkstad Limburg plötzlich zwei ausländische IBAs mit von der Partie – ein Beweis für die auch ins Ausland ausstrahlende Attraktivität des Formats. Eigentlich ungewöhnlich in Zeiten nationaler Selbstvergewisserung: Ganz bewusst firmiert die erste niederländische IBA nicht un- ter dem Kürzel IBT – mit BT für „Bouwtentoonstelling“, sondern unter dem deutschen Kürzel IBA. Die Offenheit des Formats ruft aber auch Kritiker auf den Plan: Verliert das Instrument IBA gerade sein Profil? Gibt es nicht bereits zu viele IBAs?
Die Kritik hängt auch mit den schwierigen Anfängen der neuen IBAs zusammen. Ein gutes Thema zu finden und zu fokussieren, das wurde im Stadtbauwelt-Gespräch mit den IBA-Machern deutlich, ist langwierig und politisch knifflig. Auf den ersten Blick mutet diese Themen-Unsicherheit merkwürdig an. Gehört der städtebauliche Problemdruck, der in einem griffigen Thema zu bündeln ist, nicht zu den Grundvoraussetzungen, um sich auf eine IBA einzulassen? Offensichtlich nicht.
Auffällig ist: Die Vorbereitungsphasen brauchen immer mehr Zeit. In Hamburg vergingen von der „Zukunftskonferenz“, auf der über die städtebauliche Erneuerung in Hamburgs Süden diskutiert wurde, bis zum operativen Start der IBA fast sechs Jahre. In Berlin ist es fünf Jahre her, seit Regula Lüscher ihre Idee einer dritten Berliner IBA in den Ring warf – in diesem Jahr wird sie wohl vom Senat beschlossen. In Heidelberg hatte man drei Jahre Diskussion hinter sich, bevor gestartet wurde, in Parkstad Limburg waren es vier Jahre. Manchmal gibt es auch andere Gründe für einen schwierigen Start. In Thüringen wurde zwar Ende 2011 eine IBA GmbH gegründet, nachdem eine Impulsgruppe an der Bauhaus-Universität Weimar ein ambitioniertes Programm vorgelegt hatte. Aber Querelen um die passenden Geschäftsführer und ein womöglich doch zu groß gedachtes IBA-Terrain, das sich auf ganz Thüringen erstreckt, ließen die Sache zuletzt völlig ins Stocken geraten.
Immer größere Teile der Bevölkerung wollen – und müssen – gehört werden, wenn es um die Bestimmung der Problemfelder geht, die eine IBA in Angriff nehmen soll. Gesucht werden Schlüsselbegriffe in der Form von wahren Alleskönnern: allgemein verständlich und populär, Neugierde weckend, politisch gut zu verkaufen und dann noch mit dem Anspruch ausgestattet, die avancierten Planer- und Architektengarden aus dem In- und Ausland zum Mitmachen anzuregen. Aus diesen divergierenden Ansprüchen entstehen die IBA-Themen. Bei der IBA Berlin heißt es Sofortstadt.Raumstadt.Hauptstadt (seit Anfang des Jahres erweitert durch Draußenstadt wird Drinnenstadt); bei der IBA Basel Gemeinsam über Grenzen wachsen; bei der IBA Parkstad Limburg Recyclestad, Energiestad, Flexibele Stad, gekoppelt unter den Oberbegriff Parkstad; und bei der IBA Thüringen heißt es vorläufig Orte, Netze, Landschaften.
Nur die IBA Heidelberg fällt durch ihr spezifisches Thema aus dem Rahmen: Wissenschafft-Stadt.
Nur die IBA Heidelberg fällt durch ihr spezifisches Thema aus dem Rahmen: Wissenschafft-Stadt.
Ad-hoc-Konferenzen und Allianzfabriken
Zwei Gründe für eine Stadt respektive eine Region, sich auf das Abenteuer IBA einzulassen, werden immer wieder genannt: Zum einen ist es die Abgehobenheit der administrativen Planung, zum anderen sind es die Wunden, die die neoliberale Stadtplanung in den letzten Jahren in viele Städte geschlagen hat. Wie aber begegnen sich Stadtplanung und Bevölkerung „auf andere Weise“? Eine große Anziehungskraft des Formats IBA liegt darin, dass es einen akzeptierten experimentellen Rahmen zur Verfügung stellt, die Uhren zurück zu drehen und neue Formen der Kooperation und des Mitentscheidens auszuprobieren. (Übrigens liegt hier auch die Ursache dafür, dass festivalähnliche Formate wie die Internationale Gartenbauausstellung IGA so veraltet wirken: Ihnen fehlt die Prozessqualität, eine kleine Gruppe von Spezialisten entscheidet, wer eine IGA ausrichten darf.)
Bei den neuen IBAs sind die Zeiten vorbei, in denen das Programm in den Köpfen einzelner entsteht und im Anschluss top-down in die Ausführung diktiert wird. Heute geht es darum, in Gesprächsrunden mit möglichst vielen Teilnehmern Meinungen zu bewegen und Ideen zu sammeln. Dafür gibt es jede Menge von „Plattformen“. Es scheint, als habe sich die Stadtplanung bei der Kunst umgesehen, wie sich mögliche Themen diskursiv aufspalten und dann auf „Internationalen Plattformen“ für die weitere Bearbeitung stoßfest machen lassen. Bei der Berliner IBA hat man das perfektioniert; wohl kein anderes Prä-IBA-Team hat so viele Formate abgearbeitet, die für das Zusammenkommen von Fachleuten und Interessierten zur Verfügung stehen. Es gab IBA-Studios, -Workshops, -Labore, -Werkstätten, -Symposien und -Kongresse in derartiger Fülle, dass der Überblick schwierig wurde.
Auch die Suche nach privaten Partnern ist in Zeiten abnehmender öffentlicher Förderung ein wichtiger Teil der Anfangsphase, eine Conditio sine qua non. Mit wie wenig Geld manche IBAs auskommen müssen, ist in den Antworten auf die acht Fragen nachzulesen, die wir allen IBA-Machern gestellt haben. In Limburg-Parkstad, so erläutert es Geschäftsführer Peter Bertholet im Stadtbauweltgespräch, hat man so genannte „Allianzfabriken“ eingerichtet. Es handelt sich um zweitägige, moderierte Veranstaltungen, an denen Unternehmer, Kulturorganisationen, Wohnungsbaugesellschaften, Schulen und Klein-Investoren mit der projektinteressierten Bevölkerung zusammenkommen, um über ihre Pläne zu reden und Realisierungsmodelle zu erkunden. Neun solcher Allianzen sind inzwischen auf den Weg gebracht.
Derartige Treffen finden nicht in der Behörde und auch nicht in der städtischen Kongresshalle statt. Vielmehr werden Orte mit Arbeitscharakter gewählt: eine alte Zollgarage im ausgedienten Flughafen Tempelhof in Berlin, ein leerstehendes Konsumgebäude in der Wilhelmsburger Mitte, bevor man später in ein schwimmendes Haus umzog. Im sonst eher betulichen Heidelberg ist die ganze Planungsbehörde provisorisch in die alte Feuerwache hinter dem Bahnhof umgezogen. Die IBA Basel logiert in einem 50er-Jahre-Industriegebäude über einem Techno-Club. Großzügig Platz ist vorhanden, aber wenig Komfort. Wer heute IBA macht, muss bereit sein, die Ärmel hochzukrempeln, auf harten Stühlen zu sitzen und notfalls unterm Heizpilz zusammenzurücken.
Wunderwerkzeug (öffentliche) Auswahl-Kriterien
Eine der auffälligsten und interessantesten – bisher leider wenig untersuchten – Veränderungen der neuen IBAs liegt in der Projekt-Findung. Mit einem mehrstufigen Verfahren sucht zum Beispiel die IBA Basel nach Projekten, die in ihr Konzept passen. Seit dem offiziellen Start gab es zwei Runden mit offenen Bewerbungsverfahren, bei denen über einhundert Vorschläge eingingen, wovon 45 vorausgewählt wurden. Davon sind inzwischen vier Projekte nominiert, vier haben Kandidatenstatus und 37 sind vornominiert. Bei der IBA Hamburg gingen die Projekte, die ein Expertenrat vorausgewählt hatte, jeweils wieder zurück in eine monatlich stattfindende Bürgerversammlung, die sie begutachtete. Erst danach wurden für die Bauprojekte entsprechende Wettbewerbe für Architekten und Investoren durchgeführt. Für die erste Beurteilung hatte die IBA einen Kriterienkatalog erarbeitet, der sowohl die städtebauliche, als auch die soziale Relevanz im Blick hat: „multitalentiert“ nennt das u.a. die IBA. Verfahren mit einer derartigen Rückkoppelung können dem Instrument des Architekturwettbewerbs an sich einen zusätzlichen Input geben.
Und wie sieht das Ergebnis solcher experimenteller Auswahlverfahren aus? Aus der Fülle an Projekten, die in Basel, Heidelberg, Berlin und in Parkstad angedacht und im Falle Hamburg bereits realisiert sind, zeigen wir ab Seite 28 eine Auswahl, die uns für die Labor-Situation der neuen IBAs charakteristisch erscheint. Erstaunlich ist das Nebeneinander von großen und kleinen Projekten, die Bottom-up- und Top-down -Verfahren kombinieren. Da gibt es etwa bei der IBA Basel einerseits die simple Idee, die Schweizer und die französische Seite an einem neuralgischen Punkt mit der Verlängerung einer alten Straßenbahnlinie zu verbinden, und andererseits eine milliardenschwere Uferbebauung, die den alten Hafen ersetzen soll.
„Wir haben immer vermieden, einen Unterschied zwischen Leuchtturmprojekt und Projekten der Vielfalt zu machen“, sagt Uli Hellweg von der IBA Hamburg. Es scheint gerade zur Legitimation der neuen IBAs zu gehören, dass sie sich in die Lage versetzen, kleine bewohnernahe und großen investorennahe Entwicklungsperspektiven zusammenzudenken und glaubwürdig zu bündeln.
Temporärer Katalysator
Nicht zu vergessen: Das Instrument IBA steht der normalen Stadtplanung immer nur für einen beschränkten Zeitraum als Katalysator zur Seite, kann sie aber in keiner Weise ersetzen (siehe Polemik von Ursula Baus auf Seite 64). In punkto sozialer Verantwortung im Stadtraum ist der temporäre Ansatz einer IBA grundsätzlich bloß eine Ergänzung. Es entstehen zwar vorbildliche Konzepte, sie betreffen aber immer nur einen Teil der Stadt. Das Instrument IBA kann keinesfalls eine konsistente städtische Sozialpolitik ersetzen, die die Fragen der Mieten, der Verteilung und Verbindung, mit langfristigen Perspektiven durchsetzt.
Eines wurde im Gespräch mit den IBA-Machern deutlich: Die thematische Geschlossenheit der alten IBAs wird es nicht mehr geben. Sie ist nicht mehr zeitgemäß. Das Bild der europäischen Stadt, das die IBA Berlin 87 noch wie ein fixes Idealmodell vor sich hertragen konnte, taugt heute nicht mehr für die stark divergierenden Probleme, mit denen die Metro-zonen in Basel, die kommunalen Verbände in Limburg oder die von ihrer Science City unter Druck gesetzte Stadt Heidelberg konfrontiert sind.
P.S.: Als wir dieses Heft Mitte März imprimierten, stand von Oswalt Mathias Ungers’ Schlüsselbau der IBA 87 am Berliner Lützowplatz gerade noch ein trauriger Rest mit drei quadratischen Fenstern. Ungers, so ist bekannt, war seinerzeit einen Tag lang als IBA-Direktor im Gespräch. Wie sich der Verfechter eines Inselurbanismus wohl zu den Themen und Projekten der neuen IBAs geäußert hätte?
0 Kommentare