Bauwelt

Bau-Kulturnation Österreich?

Problem­felder und Best-Practices zwischen Flä­chenverbrauch, steigender Motorisierung und peripherem Einzelhandel

Text: Seiß, Reinhard, Wien

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Foto: Nikolaus Korab

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Bau-Kulturnation Österreich?

Problem­felder und Best-Practices zwischen Flä­chenverbrauch, steigender Motorisierung und peripherem Einzelhandel

Text: Seiß, Reinhard, Wien

Das Bündnis „Plattform Baukultur“ hat den zweiten „österreichischen Baukulturreport“ vorgelegt. Dieser zeige enormen politischen Handlungsbedarf, aber auch ermutigende Lösungsmodelle, meint unser Autor. Er ist Mitglied im österreichischen Beirat für Baukultur und Mitverfasser des Reports.
„Volk begnadet für das Schöne“, heißt es in der ersten Strophe der österreichischen Bundeshymne. Was die Architektur betrifft, so kann die – laut Selbstdefinition – „Kulturnation“ zweifellos auf ein reiches Erbe verweisen, das über die Habsburgerzeit hinaus bis in die 1960er Jahre vermehrt wurde. Seither aber sei das Land immer hässlicher geworden, so der architekturaffine und keineswegs rückwärtsgewandte Grünen-Politiker Christoph Chorherr. Dass Österreich bis heute immer wieder respektable Architekten hervorbringt, ändert daran wenig, bedeutet Baukultur doch viel mehr als einige ansprechend gestaltete Stecknadeln in einem Heuhaufen aus expressiv-kitschigen Einfamilienhäusern, Massenwohnbauten von der Stange, billigen Handels- und Gewerbehallen, minderwertiger Investorenarchitektur, auf fragwürdige Weise entstandenen öffentlichen Bauten, flächen- und infrastrukturvergeudender Zersiedlung und autogerechten Städten.

Baukultur ohne Baukulturstiftung

Baukultur ist eine Frage des öffentlichen Bewusstseins und in Zeiten von Immobilien- und Finanz-, Klima- und Energiekrise eine Frage von ökonomischer und ökologischer Nachhaltigkeit – weit über „das Schöne“ hinaus. Hier einen überfälligen Bewusstseinswandel vor allem in den Reihen der Politik herbeizuführen, ist seit bald zehn Jahren das Ziel der Plattform Baukultur, eines unabhängigen Bündnisses der maßgeblichen Architektur- und Planungsinstitutionen des Landes, das freilich weder über die Mittel noch über die öffentliche Verankerung der Deutschen Bundesstiftung Baukultur verfügt. Immerhin gelang es aber, die Bundesregierung zur Einrichtung eines Baukulturbeirats im Bundeskanzleramt und zur Beauftragung eines Baukulturreports im Fünfjahrestakt zu bewegen.

Nach dem ersten Report 2006 – einer kritischen Bestandsaufnahme von Architektur und Bauwesen, Raumplanung und Landschaftsplanung in Österreich auf rund 500 Seiten – konzentrierte sich das interdisziplinäre Autorenteam der Plattform Baukultur im nun präsentierten Baukulturreport 2011 vor allem auf die Darstellung modellhafter Strategien und Projekte zu den drängendsten Themen des heimischen Planens und Bauens: thermische Sanierung, ökonomische Nachhaltigkeit von Gebäuden sowie Innovation in Architektur und Bauwesen, des Weiteren Raumplanung, kommunale Bauverwaltung und Bauherrenschaft, Bildungsbauten sowie Baukulturvermittlung für junge Menschen.

Besonders augenfällig sind die Folgen jahrzehntelanger politischer Versäumnisse im Bereich der Raumplanung, die sich mit wenigen Maßzahlen illustrieren lassen. So verbraucht Österreich tagtäglich 24 Hektar Siedlungsfläche, was dem Zehnfachen des bundespolitischen Zielwerts entspricht. Damit einher gehen ein nach wie vor steigender Motorisierungsgrad von derzeit 512 Pkw pro 1000 Einwohner – ein Spitzenwert innerhalb der EU – sowie das ungebrochene Wachstum an peripheren Einzelhandelsflächen, das viele Orts- und Stadtzentren an den Rand des Aussterbens gebracht hat: Während in Deutschland 17 Prozent der Handelsflächen auf Randlagen entfallen, sind es in Österreich 51 Prozent – wobei die Einzelhandelsdichte in Österreich um ganze 35 Prozent über jener in Deutschland liegt.

Lienzer Altstadt-Revitalisierung

Umso erstaunlicher ist da das Beispiel der Stadt Lienz in Osttirol, der es gelang, ihre von Geschäftsleerstand betroffene Altstadt neu zu beleben. Nach einem dreijährigen kooperativen Entwicklungsprozess mit 250 öffentlichen und privaten Akteuren erfolgte ab 2004 die Umsetzung der erarbeiteten Maßnahmen: ein gemeinsames Marketingbudget für die Innenstadt, einheitliche Kernöffnungszeiten, der Umbau der Hauptstraße zu einer Fußgängerzone, generell die Bevorrangung von Fußgängern und Radfahrern, die Umgestaltung des Hauptplatzes, Begrünung, Beleuchtung und eine neue Straßenmöblierung, die Neugestaltung vieler Fassaden und Geschäftsauslagen bis hin zum Abriss einzelner verwahrloster Häuser und zur Errichtung neuer Bauten. Von zentraler Bedeutung war auch, dass man mit planungspolitischen Mitteln weitere Handelsansiedlungen am Stadtrand verhinderte.

Nach nur vier Jahren gab es in der Altstadt keinen Leerstand mehr, die Unternehmer verzeichneten eine Frequenzsteigerung von 61 Prozent und ein Umsatzplus von 7,7 Prozent. Gleichzeitig sank der Kfz-Verkehr im Zentrum um 40 Prozent, während der Radverkehr um 56 Prozent zunahm und der Fußgänger­verkehr um 76 Prozent. Und nicht zuletzt führten die Investitionen zu einer Wertsteigerung der Liegenschaften um bis zu 10 Prozent.

Strukturreformen in der Steiermark

Auf Ebene der Landesplanung nimmt das Land Steiermark seit einigen Jahren eine Vorbildfunktion ein. Dies betrifft zum einen politische Reizthemen wie die Limitierung der Handelsflächenentwicklung, die Einschränkung des Siedlungswachstums in peripheren Gemeinden oder die klare Festlegung geeigneter und ungeeigneter Standorte für Großprojekte – aber auch die Koppelung neuer Baulandwidmungen an privatrechtliche Verträge, um Baulandhortung und Spekulation zu verhindern oder um den widmungsbegünstigten Grundeigentümern die Kosten der Erschließung ihres Baulands zu übertragen.

Zum anderen ist die Steiermark das einzige Bundesland, das selbst vor einschneidenden strukturellen Reformen nicht mehr zurückschreckt. Nach dem Zusammenschluss der bisherigen 17 Bezirke zu sieben Großregionen wird nun auch über das jahrzehntelange Tabuthema Gemeindezusammenlegung diskutiert. Hilfreich hierfür mag gewesen sein, dass die Steiermark mit 542 Kommunen über die kleinteiligste Verwaltungsstruktur aller Länder und darüber hinaus über den Großteil der ärmsten Gemeinden Österreichs verfügt – doch müssen leere Kassen für die heimische Politik noch lange kein Beweggrund sein, um das Wohl des ganzen Landes über die Begehrlichkeiten einzelner Kommunen zu stellen.

www.baukulturreport.at
www.plattform-baukultur.at

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