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„Beim Crowd-Funding ist das Narrative stabiler als das Bauwerk“

Interview mit Kristian Koreman

Text: Kraemer, Oriana, Dublin

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„Beim Crowd-Funding ist das Narrative stabiler als das Bauwerk“

Interview mit Kristian Koreman

Text: Kraemer, Oriana, Dublin

Der Landschaftsarchitekt Kristian Koreman vom Büro ZUS über Crow-Funding
Auf Ihrer Webseite heißt es, dass Sie seit 2006 ungebeten Ratschläge erteilen, um Diskus­sionen in Gang zu bringen. Was war passiert?
Es gab damals große Probleme in der Stadt. Trotz massiven Leerstands im Stadtzentrum gab es Planungen für weitere 500.000 Quadratmeter. Die Leute hatten keinen Zugang zu leeren Flächen, obwohl genug davon vorhanden waren. Es gab eine große Kluft zwischen den Erwartungen und den kapitalgetriebenen Spekulationen auf der einen Seite und der bitteren Wahrheit, die man auf der Straße erleben konnte, auf der anderen. Die Straßen wurden allmählich zu einem Fall für Law-and-order-Politik.
Dann kam die Architektur-Biennale in Venedig ...
... auf der wir auf Einladung des Kurators Aron Betsky eine Kampagne für public domains, für Gemeingüter, starteten. Wir wollten zeigen, dass das Recht auf Nutzung des öffentlichen Raums nirgendwo gesetzlich geregelt ist, dass es keinen Rechtsanspruch darauf gibt. Weder im Völkerrecht der UN noch im EU-Recht noch in natio­nalen Rechtssystemen gibt es dieses Recht auf Raumnutzung. Bei einem Besuch in Irland wurde uns klar, was es bedeutet, wenn größere Teile des Landes in der Hand von Banken sind. Die Stadtverwaltung ist dann von privaten Unternehmen abhängig. Wir sahen die Gefahr, dass der öffent­liche Raum immer weiter privatisiert wird.
Welche Schlüsse zogen Sie daraus für sich?
Statt nur dagegen zu wettern, wie die Occupy-Bewegung, nutzten wir unsere Profession und entwarfen Bilder, die zeigen, was „Glocality“ sein kann. Wir wollten einen Stadtteil, der globales und lokales miteinander verbindet, statt riesiger Masterpläne und schillernder Büroflächen-Renderings. Wir wollten deutlich machen: Hier geht es an die Wurzeln der Demokratie, ein Menschenrecht steht auf dem Spiel!
Durch die Biennale wurde die Stadt auf das Projekt aufmerksam und nahm Kontakt mit Ihnen auf. Wie ging es weiter?
Wir starteten, ohne zu wissen, ob wir es schaffen. Also das genaue Gegenteil von Masterplanung. Aber bevor wir überhaupt an eine Fußgängerbrücke dachten, mussten wir herausfinden, wie wir zum Stakeholder, zum Teilnehmer an dem Diskurs werden können. Dazu mussten wir uns mit der Ökonomie beschäftigen. Das Schieblock-Gebäude stand seit fast fünfzehn Jahren leer. Es war verwahrlost, galt als unvermietbar und sollte eigentlich abgerissen werden. Wir bestanden auf einer Sanierung. Wir gründeten mit CODUM eine GmbH und erarbeiteten eine Entwicklungsstrategie. Hier dachten wir das erste Mal an Crowd-Funding, denn wir hatten ja kein Kapital, mussten aber 1,5 Mio. Euro in das Gebäude investieren.
Woher kam das Geld dann?
Wir haben mit Bauunternehmern und möglichen Mietern gesprochen, um ein Geschäftsszenario zu entwickeln, das funktionieren könnte. Den Bauunternehmern sagten wir, dass sie bezahlt werden würden, sobald wir das Geld von unseren Mietern erhalten hätten – das war heikel, aber sie haben uns vertraut. Nach einem dreiviertel Jahr war das Gebäude komplett vermietet. Wir haben jetzt 80 verschiedene Unternehmen in diesem Gebäude, von denen jedes seinen Anteil an Sanierungskosten zahlt. Ein unübliches Geschäftsmodell, denn normalerweise nimmt man einen Kredit auf und muss dann sehen, wie man ihn über die nächsten zehn Jahre tilgt. Bei uns geht das Geld, das rein kommt, sofort wieder raus – eine neue finanzielle Basis für diesen Block.
Wie kam es zur „Luchtsingel“?
Die Pläne der Stadtverwaltung für das Areal sahen neben Mischnutzung und Grünflächen auch Verbindungen zwischen den Stadtteilen Noord, Zentrum und Bahnhofsviertel vor. Alle diese Konzepte waren im Schieblock bereits enthalten, nur die Verbindung nach Noord fehlte noch. Also zeichneten wir mit einem Edding eine Verbindungslinie auf den Plan, und fast genauso ist der Verlauf der Brücke geblieben. Eine lineare Verbindung.
Wie autonom waren Sie im Entwurf, welche Interessen mussten Sie berücksichtigen?
Wir haben unseren Entwurf der Stadtverwaltung vorgeschlagen und im Vorfeld der ersten Bauanträge auch die „7 x 7 sessies“ eingeführt, eine Art Vorplanungstreffen mit allen Beteiligten: mit dem Eigentümer des Schieblocks, dem des Hofboogens (auf dessen Dach die Luchtsingel endet), mit der Stadt und ihren Experten für Brandschutz etc. und mit der Bahn. In diesen Meetings hatten die sieben Beteiligten jeweils sieben Minuten Zeit, um ihre Anliegen und Kommentare vorzubringen. Eine effektive Art, um zu Beginn der Planung alle Probleme in Bezug auf die Bauordnung und andere Vorschriften zu klären. Im Laufe dieser Treffen hat sich die Haltung der Vertreter der Stadt von einer eher ablehnenden zu einer regelrecht begeisterten entwickelt. Der Entwurf selbst aber kommt von uns. Es gab keine Bürgerbeteiligung oder der­gleichen.
Warum haben Sie eine Stiftung gegründet?
Wir brauchten eine rechtskräftige Einheit, mit der wir als Bauherr agieren konnten. Im Vorstand der Stiftung ist auch die Stadt vertreten, wir brauchten deren Input, das Wissen anderer Experten.
Was passierte nach den Vorplanungstreffen?
Im Rahmen der Architekturbiennale haben wir für unsere Pläne werben können und dann auch bald den Bauantrag für den ersten Brückenabschnitt gestellt. Für temporäre Bauvorhaben sind die Vorschriften um einiges lockerer. Bei einer zweimaligen Verlängerung der vorgeschriebenen Frist von fünf Jahren darf die Brücke bis zu 15 Jahre stehen bleiben. Weil wir für Instandhaltung keine Mittel und auch nicht die Erfahrung haben, geht die Luchtsingel nach Fertigstellung an die Stadt über.
Die Luchtsingel ist auf Ihrer Webseite unter der Kategorie „Urban Politics“ zu finden. Was bedeutet das?
Der ganze Prozess erinnerte uns an die sechziger und siebziger Jahre, als viele Architekten eine eigenständige politische Position vertraten. Team 10 ist für uns nach wie vor das beste Beispiel dafür, wie Architekten und Stadtplaner sich der Verantwortung ihres Berufs stellen. Es geht nicht darum, ein cooles Gebäude hinzustellen. Die Luchtsingel haben wir als politisches Projekt begonnen, nicht als gestalterisches. Es ging uns nicht darum, eine Brücke zu bauen oder ein Gebäude umzubauen. Wir benutzen sie, um etwas anderes zu thematisieren.
Wie kann Crowd-Funding von Architekten genutzt werden?
Es gibt zu viele Architekten, die nur auf den An­ruf eines Projektentwicklers warten. Dabei gibt es Wege, eigene Projekte anzuschieben, und dabei geht es nicht in erster Linie um das Geld, sondern darum, Partner zu finden, die etwas Substanzielles beitragen können. Den Leuten, die uns über das Crowd-Funding jeweils 25 Euro gezahlt haben, ging es nicht um die Summe. Sie wollten auch Wertschätzung bekunden. Die Unterstützung muss aber nicht finanzieller Art sein. Der Bauunternehmer hat uns Arbeitskraft und Fachkenntnis zur Verfügung gestellt. Jedes Projekt braucht starke Verbündete, um es resilient zu machen. Die Beziehung Architekt – Bauherr ist dagegen sehr verwundbar.
Bestimmt die Art der Finanzierung, also Crowd- Funding, das Programm der Projekte oder gar den Entwurf?
Nein, es gibt verschiedene Möglichkeiten. Sehen Sie nur mal in die USA, dort findet man eine verblüffende Bandbreite im Funding. Den Trust beispielsweise, mit anonymen Teilhabern, die un­erkannt etwas Gutes tun wollen. Aber die Crowd kann auch an der Gestaltung beteiligt werden. Unsere Brücke wäre ohne die Schrift­-züge der Spender vielleicht nicht so attraktiv. In dieser Hinsicht wird das Bauwerk zu etwas Narra­tivem, etwas anderem als einem statischen Objekt. Das ist das Wichtigste am Crowd-Funding: Das Narrative ist stabiler als das Bauwerk.
Ist es deswegen temporär?
Ja, genau. Wenn es sich als tauglich erweist und von mehr als 15.000 Leuten als Co-Eigentümer geteilt wird, die sich lautstark bemerkbar machen, wenn die Brücke nach fünf Jahren wieder abgebaut würde, dann wissen wir, dass das Projekt gelungen ist.
Wie geht es weiter?
Wir arbeiten zurzeit an einem ähnlichen Projekt, es geht da um eines dieser leerstehenden Gebäude in Rotterdam, 25.000 Quadratmeter groß. Der Eigentümer will kein Geld mehr reinstecken. Wir planen, die gesamte Fassade zu entfernen. Nur die Konstruktion bleibt, und das einzige, was bereitgestellt werden soll, ist die Infrastruktur: Strom, Wasser und WLAN. Jeder Mieter erhält ein Modul, und es wird Stück für Stück finanziert. Man muss nur seinen Anteil an der Infrastruktur bezahlen, faktisch handelt es sich dabei um eine Art Docking-Station, und das macht das Ganze als Geschäft erst möglich. Es wird so zu einem Ko- oder Gemeinschaftseigentum. Auf solche Modelle werden sich künftig auch die Banken einstellen müssen.
Was meinen Sie damit?
Wenn man sich einmal die Sicherheiten ansieht, die Banken für die Kreditvergabe fordern, etwa einen unbefristeten Arbeitsvertrag – so etwas gibt es heute ja kaum noch! Wir müssen eine neue Form finden, ein neues finanzielles „Ökosystem“. Nicht mehr die Riesensumme, die von einem Entwickler in ein Gebäude gesteckt wird, sondern Mikro-Funding. Das Geld ist ja vorhanden, in dieser Hinsicht gibt es keine Krise.
Crowd-Funding verlangt also ein schrittweises Vorgehen und eine Architektur, die in indivi­duellen Komponenten verkauft werden kann?
Auf der konstruktiven Seite kann ich dem zustimmen. Es ist nicht der Entwurf, sondern der Entwurfsprozess, der sich unterscheidet, und letztlich denke ich, dass dieser Entwurf anpassungsfähiger ist als ein Reißbrett-Entwurf mit einem Planungsvorlauf von 20 Jahren, der bei Baubeginn schon überholt ist. Wenn man das Feedback der Nutzer bekommen hat, kann man den nächsten Planungsschritt entsprechend anpassen. Die Unsicherheit muss in den Planungsprozess integriert werden. Wir haben das bei
der Luchtsingel als eine Qualität verkauft: Es ist gut, dass wir nicht gleich das Ganze bauen, falls durch das Feedback ein Denkfehler zutage tritt, können wir noch korrigieren.
Fakten
Architekten Koreman, Kristian, Rotterdam
aus Bauwelt 12.2014
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