Bauwelt

Beobachter und Sammler

James Stirling in der Staatsgalerie Stuttgart

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

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© Ray Williams

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Beobachter und Sammler

James Stirling in der Staatsgalerie Stuttgart

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

Seine frühen Bauten werden gemeinhin dem Brutalismus zugeordnet, seine späten der Postmoderne. James Stirling hat diese Begriffe für sich selbst stets abgelehnt. Die opulente Stirling-Schau in der Staatsgalerie Stuttgart entwirft das Bild eines lustvollen Zitierers auf der Suche nach der Weiterentwicklung einer längst zu Formeln erstarrten Moderne.
Zwei Porträtfotos im Entree der Ausstellung stecken die durchaus irritierende Bandbreite der Werke des James Frazer Stirling (1924–1992) ab. In den 50er Jahren sitzt der junge Architekt, dezent schwarz gekleidet, hinter einem Stahl-Glas-Ensemble aus Klassikern von Alvar Aalto und Marcel Breuer am Zeichen­tisch. Der arrivierte „Big Jim“ der 80er Jahre hin­gegen trohnt, mit lilafarbenen Socken an den Füßen, auf einem mit Löwenköpfen und -tatzen verzierten Sessel des Regency-Designers Thomas Hope im Treppenhaus seines Wohnhauses.
„Notes from the Archive“ – der Ausstellungs­titel verrät: Kurator Anthony Vidler hat für die vom Canadian Centre for Architecture in Montréal und dem Yale Center for British Art im US-amerikanischen New Haven organisierte Wanderausstellung nach jahrelanger Sichtung aus den 44.000 Archivalien des „James Stirling/Michael Wilford fonds“ mehr als 300 Pläne, Skizzen, Modelle und Fotos ausgewählt. Zusammen mit Exponaten aus dem Besitz von Stirlings Witwe erlauben sie einen erhellenden Blick auf den Architekten und seine Entwurfsmethodik.
Der Vogelfan
Das akkurat geführte „Bird Watching Expeditions“-Notizbuch belegt Stirlings präzise Beobachtungsgabe bereits im Teenageralter, ebenso seine früh beginnende Sammelleidenschaft. Immer mit dem neusten Kameramodell ausgerüstet, fertigt er ab den 50er Jahren Unmengen Architekturfotos als persönliche
Gedankenstütze an; er lichtet die Ikonen der klassischen Moderne ab, genauso aber auch historische oder traditionelle, für die jeweilige Region typische Bauten („vernacular architecture“).
Stirlings Leidenschaft für Vögel findet, mit ei­nem kräftigen Augenzwinkern, Eingang in diverse Museumsentwürfe. Auf den Grundrissen markieren kleine, an Krallenabdrücke erinnernde Pfeile die Besucherführung. Das „Black Notebook“ enthält neben zahllosen Skizzen auch Notizen darüber, welche Fassadenöffnungen und Wasserspeier an Le Corbusiers Bauten das Nisten von Vögeln ermöglichen. Und am höchsten Gebäude der Braun-Werke in Melsungen (1986–92) lässt Stirling Falkenkästen anbringen.
Sein spielerischer, geradezu lustvoller Umgang mit architektonischen Vorbildern und Versatzstücken bricht sich schon bei Studienprojekten an der Liverpool University Bahn. Das „House for the Architect“ (1948) zitiert Wohnhäuser von Gropius und Breuer an der US-Ostküste. Die „Forest Ranger Lookout Station“ (1949), ein allseitig abgespannter sechseckiger Pavillon à la Buckminster Fuller, steht auf dem Gip­-fel eines blauen, kristallinen Bergmassivs – unverkennbar eine Hommage an Bruno Tauts „Alpine Architektur“. Im Hubschrauber über die Felsen fliegend, genehmigt sich Stirling auf dieser Planzeichnung auch einen ersten Cameo-Auftritt – ein Vorgeschmack auf die spätere Vorliebe, sich effektvoll mit ins Bild setzen zu lassen.
Stirling verwendet auch seine eigenen Ideen weiter: Die offene Rotunde, zentrales Motiv der Stuttgarter Staatsgalerie (1977–83), zeichnet er bereits beim Flug nach Chandigarh auf die Rückseiten seiner Bordkarten, damals noch als Schemaskizze für den Wettbewerb zum Nordrhein-Westfalen-Museum in Düsseldorf (1975).
Jenseits weißer Kisten
Originalpläne, von ersten Skizzen bis zu Präsenta­tionszeichnungen, illustrieren den Entwurfsprozess zahlreicher Projekte: die frühen Wohnanlagen, die Universitätsbauten aus Sterlings „roter Phase“ – mit ihrem Materialmix aus Backstein, Beton, Stahl und Glas –, die späten Museumsentwürfe. Stirlings oft winzige Isometrien beeindrucken mit ihrer ungeheuren Informationsdichte, immer wieder tauchen sie auch als Korrekturhinweise auf Plänen auf.
1981 wird James Stirling, vor allem für seine skulptural-konstruktivistisch anmutenden Bauten wie das Engineering Building der Universität Leicester (1959–63), die History Faculty in Cambridge (1964–67) und das Florey Building der Universität Oxford (1966–71), mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet. Seine späteren postmodernen Projekte mit ihrem schwungvollen Griff in die Stilkiste lösen dagegen heftige Kontroversen aus. Die Staatsgalerie wird anfänglich gar als „Naziarchitektur“ verunglimpft. Stirling konnte diese Kritik nicht nachvollziehen. Er sah sich, ähnlich dem Kunst- und Antikensammler Thomas Hope (1769–1831), dessen Objekte er mit wahrer Leidenschaft zusammentrug, in der Tradition des (Neo-)Klassizismus, und die Postmoderne begriff er als Weg, die Moderne weiterzuentwickeln. Die Ausstellung dokumentiert anhand ganzer Serien von Entwurfsvarianten Stirlings Versuche, den starren Formeln der Moderne zu entkommen, den austauschbaren weißen Kisten, und zu regional typischen Materialien und Strukturen zu finden, die sich in das jeweilige städtische Umfeld einfügen.
Fakten
Architekten Stirling, James (1924–1992)
aus Bauwelt 39-40.2011
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