Bilder von der Stadt, die es nicht gibt
Ludwig Forum Aachen
Text: Winterhager, Uta, Bonn
Bilder von der Stadt, die es nicht gibt
Ludwig Forum Aachen
Text: Winterhager, Uta, Bonn
Was für ein wunderbar lyrischer Titel, den sich die Ausstellung im Ludwig Forum mit dem Hit der Fantastischen Vier teilt. „In der Stadt, die es nicht gibt, geht der Beat ab“, besingen die Stuttgarter Rapper ihre Idealstadtvision, „weil alle ohne Ende grooven, stylen oder rocken.“
Doch das hat mit dem, was in Aachen gezeigt wird, nichts zu tun. Also muss dieser Exkurs hier enden.„Die Stadt, die es nicht gibt“ ist eine stille Ausstellung, die sich mit subjektiven Betrachtungen des Realen befasst. Positionen von 20 internationalen Film-, Foto- und Videokünstlern hat die Direktorin des Museums Brigitte Franzen im Laufe der Jahre gesammelt, seit ihr der Titel in den Sinn kam. Die beteiligten Künstler verwenden Stadt synonym für Gesellschaft. Diese Idee einer Stadt, die selbst Produkt ist und zugleich immer weiter Neues produziert, dient ihnen als Projektionsfläche, als Labor, als Objekt.
Die Schau zeichnet kein positives, kein lebendiges Stadtbild, eher ein melancholisches. Es ist auch nicht kritisch oder gar anklagend, es ist scheinbar nur abbildend. Doch bei vielen Arbeiten täuscht dieser erste Eindruck. Nie weiß man, ob das, was man sieht, „echt“ ist. Ist es manipuliert durch das Auge des Künstlers, der anderes wahrnimmt als man selbst? Ist es inszeniert? Oder ist es die Auswahl des Standpunkts, die das Gewöhnliche verzerrt? Nicht zuletzt die digitale Bildbearbeitung macht alles möglich und fordert, Abgebildetes in Frage zu stellen.
Die Stadt, die es nicht geben darf
2008 entstand die Serie „Portraits from Above – Hongkong’s Informal Rooftop Communities“ von Rufina Wu und Stefan Canham. Ihre Fotografien, Zeichnungen und Texte dokumentieren akribisch diese illegale, aber doch geduldete Siedlungsform, die aus der Fußgängerperspektive nicht zu erahnen ist. Wand an Wand stehen die Hütten auf den Dächern der Hochhäuser und bieten jenen Wohnraum, die sich die legalen, teuren Wohnungen nicht leisten können. Aglaia Konrad dokumentiert in ihrem Foto-Projekt „Desert Cities“ gescheiterte Sozialwohnungsprojekte in der Peripherie von Kairo. Die unvollendeten Rohbauten sind in der Wüstenlandschaft zu unheimlichen Skulpturen erstarrt. Beide Arbeiten sind sehr nah am Ausstellungstitel – wenn man ihn so interpretiert, dass die Art von Stadt gemeint ist, die es offiziell nicht geben darf.
Tobias Zielony hält in seinen Fotoserien „Le Vele di Scampia“ und „Quartiers Nord“ den Alltag von Jugendlichen in den Vorstädten von Neapel und Marseille fest. Den Porträts und Posen dieser Jugendlichen stellt er die Architektur gegenüber, die ihr Lebensumfeld prägt: brutale Wohnmaschinen – Kulisse und Beispiel gescheiterter Utopien.
Michael Krumm weitet mit „Das Gebäude der Institute für Nachrichtentechnik und Hochfrequenztechnik der RWTH Aachen, Konzeptionen für Sanierung und Umbau“ das Thema aus. Seine Fotos des Gebäudes wirken seltsam entrückt. Man mag kaum glauben, dass dieser Ort aktiver Teil des Aachener Hochschullebens sein soll. Natürlich sind die Situationen aufgeräumt und die Fotos digital bearbeitet, aber nur so weit, wie die Realität dies auch zuließe. Maja Weyermann geht mit ihrem Chandigarh-Projekt einen Schritt weiter: Sie mischt Fotos und computergenerierte Bilder. Ihre Interieurs aus der Corbusier-Stadt wirken überaus glaubhaft. Wo die Grenze zwischen dokumentarischer Abbildung und Interpretation überschritten wird, ist kaum wahrnehmbar.
Schroffe Felsen im Iran, großformatige Straßenstücke in Peru, eine Demo in Berlin, eine Brücke in Bratislava, die Zerstörung nach der Katastrophe in Fukushima – auch das sind flüchtige Momente einer Stadt, die es nicht gibt. In Aachen ist sie nicht wirklicher, aber Bild geworden.
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