Boden zu Wand, zu Dach, zu Wand, zu...
Sou Fujimoto in der Kunsthalle Bielefeld
Text: Kuhlmann, Elmar, Minden
Boden zu Wand, zu Dach, zu Wand, zu...
Sou Fujimoto in der Kunsthalle Bielefeld
Text: Kuhlmann, Elmar, Minden
Von schöner, waldreicher Landschaft umgeben – so wuchs Sou Fujimoto nach eigenem Bekunden bis zu seinem 18. Lebensjahr auf der dünn besiedelten Insel Hokkaido auf. Möglich, dass er deshalb heute Städte mit Wäldern und Bauten mit Bäumen vergleicht. „In einem Haus zu wohnen, ist wie in einem Baum zu wohnen“, plakatiert die Bielefelder Kunsthalle anlässlich der ersten monografischen Ausstellung des japanischen Architekten in Europa. Ein einnehmender Gedanke. Es ist Sommer.
Der neue Leiter der Kunsthalle, Friedrich Meschede, der sich mit dem Coup der Fujimoto-Werkschau gelungen einführt, kam zur Eröffnung möglichen Einwänden zum Ausstellungsort zuvor. Man präsentiere keine Architektur, vielmehr Ideen über Architektur – und ein Museum sei ein Ort der Ideen. Fujimoto selbst zeigte sich von Philip Johnsons Bielefelder Kunstkubus angetan: Er habe darin zwei Eigenschaften vorgefunden, die seine eigene Architekturauffassung spiegeln. Durch die von Verhang befreiten, großzügigen Glasfassaden hat er einerseits einen ausgeprägten Innen-Außen-Bezug zwischen den rund 120 präsentierten Objekten und dem Kunsthallen-park herstellen können. Andererseits nutzt er die offene Raumfolge der Ausstellungsflächen, um sein eigenes Entwurfsprinzip der floating spaces zu demonstrieren. Der Besucher „fließt“ förmlich durch einen Wald aus schlanken Stelen, die Modelle des Tokioter Büros tragen. Pläne sucht man vergebens, die Wände bleiben frei. Wenige Fotos gebauter Projekte ergänzen die Objektsammlung, die der Modellbauwerkstatt einer Architekturhochschule entsprungen scheint: Arbeits- neben Präsentationsmodellen, Utopisches im Wechsel mit Realem, Städte- bauliches mit Kleinmaßstäblichem. Ein Ideen-Labor.
Fast macht der spielerische Charakter der Ausstellung vergessen, dass Sou Fujimoto längst zum Aushängeschild des japanischen Architekturgeschehens geworden ist. Spätestens seit dem Wettbewerbsgewinn für den Taiwan Tower, mit dessen Realisierung er gerade beauftragt wurde, ist ihm internationale Aufmerksamkeit gewiss. „The structure is not yet fixed“, verrät er zum Entwicklungsstand des Entwurfs, der eine Art Mikadostab-Wald in den Hochhausmaßstab zu vertausendfachen wagt. Bisher war der Architekt durch kleinere, stets radikal konsequente Projekte in Japan hervorgetreten. Ob mit dem Haus N, das die gesamte Grundstücksfläche mit drei freitragenden Wand- und Deckenschalen überformt, oder dem Haus H, einer offenen, geschossübergreifenden Raumkomposition ohne jegliche Flur- und Wegzonen (Bauwelt 47.09) – stets zeigt sich die Aufhebung der klassischen Trennung von Innen-, Binnen- und Außenraum zugunsten jener Differenzierung, die Kisho Kurokawa einmal als „Unbestimmtheit des japanischen Raumes“ beschrieb.
Hinsichtlich der Strahlkraft von Fujimotos Häusern fühlt man sich an Bruno Tauts Huldigung der japanischen Bautradition in den 1930er Jahren erinnert: „Unschuld der Form, Reinheit des Materials, Transparenz und völlige Offenheit der Struktur ... sublimierteste Einfachheit.“ Letztere macht das Final Wooden House körperlich erfahrbar: Eine begehbare 1:1-Replik des würfelförmigen Ferienhauses unweit von Kumamoto (Bauwelt 39–40.09) ließ die Kunsthalle in ihrem Park aufbauen. Geschichtete Holzbalken quadratischen Querschnitts scheinen einen massiven Block zu formen, dem durch Kürzung der Hölzer im Inneren eine bewegte Raumdramaturgie ausgehöhlt wurde. Die unterschiedlich langen Balkenstutzen dienen wahlweise als Stufe, Sitz- oder Liege-, Abstell- oder Arbeitsfläche. „Die Trennung in Boden, Wand, Dach, Träger entfällt. Der Boden setzt sich in der Wand fort, die Wand im Dach, das Dach in der Wand, die Wand im Boden.“ Visionen wie diese von Friedrich Kiesler aus dem Jahr 1934 weiß Fujimoto zu realisieren; der proklamatorische Ausstellungstitel „Futurospektive Architektur“ aber irritiert ein wenig.
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